fragen lernen

  vgl. auch
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Vielleicht sollte es statt "fragen" sogar eher "staunen" oder gar "sich wundern" heißen.
(... wobei mich ollen Literaten natürlich insbesondere das selbstreflexive "sich" freut bzw. wundert:
"Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner!")

  Warum ist die Banane krumm?

Die Antwort darauf kann man leicht erkennen, wenn man sich nicht eine einzelne Banane, sondern eine ganze Bananenstaude anschaut. [...] Die einzelnen Bananen, bis zu 16 Früchte, spriessen in mehreren Kränzen, die an der Staude dicht übereinander liegen. Beim Wachsen streckt sich jede einzelne Banane nach oben zum Licht. Weil sie aber seitlich aus der Staude herauswachsen, müssen sich die Bananen auf dem Weg zum Licht stark krümmen. [...].
(zitiert nach Bild )

"»Ich habe bemerkt«, sagte Herr K., »dass wir viele abschrecken von unserer Lehre dadurch, dass wir auf alles eine Antwort wissen.«"
(Bertolt Brecht, Geschichten vom Herrn Keuner)

"[...] das Bildungssystem [legt] allzu großen Wert auf das [...], was bekannt ist, und zu wenig auf das Unbekannte oder auch Unerkennbare. [...] [es vermittelt] eine völlig in sich geschlossene, widerspruchsfreie Sicht auf die Wirklichkeit [...]."
(Ralph Gomory)

 

Fragen kann heißen:

  • ich will das wissen

weil da allerdings auch die Gefahr besteht:

"Der Vielwisser ist oft müde von dem vielen, das er wieder nicht zu denken hatte."
(Karl Kraus),

folgt fast automatisch:

  • ich will das selbst herausfinden

(und nicht fertig vorgesetzt/erklärt bekommen),

  • ich möchte das selbst (auch "handwerklich") tun können ("be-greifen").

 

"fragen lernen" scheint mir besonders wichtig zu sein, weil es in sämtlichen Schulfächern (und sowieso jenseits der Schulmauern) nötig ist.

LehrerInnen stehen oft fassungslos vor SchülerInnen, die ihrerseits fassungslos bzw. wie der berühmte "Ochs vorm Berge" vor "Herausforderungen" (???; Aufgaben, Texten, Experimenten) stehen und

(vgl. etwa

(ein Beispiel:

vgl. Bild
     Bild

Ich befürchte, dass viele SchülerInnen den gleichhohen Wasserstand in kommunizierenden Röhren 

... womit aus einem wahrhaft wichtigen Physikexperiment von Anfang an [und uneinholbar] die Luft raus wäre.

[Da stellt sich natürlich die Frage, ob das abgenagte Experiment überhaupt geeignet ist, ein Sich-Wundern hervorzurufen, oder ob das Prinzip der kommunizierenden Röhren nicht in alltäglicher (?; und allemal "verborgenerer") Anwendung doch besser dazu geeignet ist.]

Und selbst wenn solche SchülerInnen der gleichhohe Wasserstand nicht selbstverständlich erschiene, so bezweifle ich doch, dass sie weiterfragen und nach den Ursachen bzw. Besonderheiten [verschiedene Formen, Verdickungen ...] fragen und diese Fragen halbwegs systematisch angehen würden ... oder wollten.)

Was vielen SchülerInnen fehlt, sind nicht mal in erster Linie die Fragen, sondern die

(im üblichen Unterricht oft vorausgesetzte, aber wirkungslose)

"Fragenotwendigkeit" bzw. der Fragewunsch: wer überhaupt fragen (Genaueres wissen) will, bei dem werden sich auch die Fragen einstellen.

Ein subjektives Beispiel: auf Bornholm gibt es das Ekkodalen (Echotal) mit auf beiden Seiten steil aufsteigenden Felswänden.

Mitreisende Jugendliche

  1. sahen überhaupt nicht den grandiosen Riss in der Landschaft

(weil er im Vergleich mit dem Grand Canyon eben doch nur winzig ist?),

  1. und fragten sich - in Folge davon? - auch gar nicht, wie dieser Riss zustande gekommen sein mag

(... während ich brachiale tektonische Kräfte fast schon spürte).

Warum aber sah und fragte ich mehr? Weil ich Vorwissen über Tektonik hatte?

Wird der bornholmer "Canyon"

(anders als der Grand Canyon in den USA, der für sich spricht - und gerade deshalb keine Fragen mehr provoziert? Bild )

überhaupt erst durch Wissen bemerkenswert (des Bemerkens wert)?


Meine folgenden Fragen sind keineswegs nur rhetorisch. Ich bin mir also nicht sicher, ob SchülerInnen das Fragen überhaupt erst lernen oder "nur" wieder lernen müssen.

(Hinter Letzterem steckt die Vermutung, dass

  • zumindest "fortgeschrittene" Fragen nicht auf "natürlich" vorhandenen Denkweisen beruhen, sondern dass typisch fachliche Denkweisen tatsächlich erst vermittelt werden müssen,

  • viele Fragen erst aus [zu vermittelnden] Wissen hervorgehen können - wobei [Pseudo-]Wissen allerdings allzu leicht Fragen auch wieder abwürgt.)

(der berühmte Logiker Kurt Gödel war - wie jedes Kind? - im Kindesalter derart nervtötend, dass er immer "der kleine Herr Warum" genannt wurde),

sind sie nicht derart mit Neugierde (fast als einziger "Dreingabe") ausgestattet, dass sie überhaupt erst dadurch so unendlich Vieles so rasend schnell lernen?

Haben Kinder/Jugendliche also - wenn überhaupt - das Fragen verlernt und müssen es (nur) wieder lernen?


Wenn aber Kindern und Jugendlichen anfangs durchaus vorhandenes Fragen erst nachträglich abhanden gekommen sein sollte: warum - und durch wen?


Es ist ein Riesenirrtum zu meinen, es sei

Ich vermute fast, dass es genau umgekehrt ist: "angelesen" Antworten geben kann jeder, aber fragen zu können

(d.h. auch, nicht alles [autoritativ] Gegebene als selbstverständlich hinzunehmen),

ist wirklich schwierig bzw. bedarf sogar eines gesunden Selbstbewusstseins.

Hinter der Ansicht, Fragen seien einfach, Antworten aber schwierig, verbirgt sich auch das Verständnis, dass jeder Blödmann

Im Grunde liegt damit ein völlig "mathematisches" Verständnis von Antworten vor, nämlich dass es auf bestimmte Fragen nur eine einzige (die einzig wahre) Antwort gebe.

Dasselbe wird aber auch mit "irgendwelche völlig unsachlichen Fragen" suggeriert: man müsse eben die einzig richtige Frage (ebenfalls Singular) stellen:

"[...] die Welt hebt an zu singen,
 Triffst du nur das Zauberwort."

(Ganz falsch ist das ja nicht: beispielsweise Einstein hat als erster einige genau richtigen Fragen gestellt, und daraus ergaben sich seine revolutionären Antworten fast von selbst [?].)

Genau so läuft zumindest konventioneller "fragend-entwickelnder" Unterricht: die Lehrkraft stellt pro forma eine (!) Frage, auf die sie die (ihr selbst natürlich bekannte) richtige (einzige) Antwort erwartet

(böse gewendet: die Lehrkraft erwartet eben nicht immer die richtige, sondern auch "gerne mal" eine falsche Antwort, aus der sie den SchülerInneN einen Strick [eine schlechte mündliche Zensur] drehen kann).

Entscheidend dabei ist, dass da die Antwort vorweg feststeht

(bzw. abweichende Antworten sind schlichtweg falsch)

und die Frage erst nachträglich, von der passenden Antwort aus gestellt wird.

Dieses Frage-Antwort-Spiel ist im üblichen Unterricht allzu selbstverständlich, als dass man (LehrerInnen, aber auch SchülerInnen?) noch bemerken würde, wie absurd es doch gleichzeitig ist:

wie sollen SchülerInnen denn etwas lernen, wenn sie immer bereits die richtigen Antworten geben sollen?Wo haben sie denn diese gelernt? Und umgekehrt, wenn sie also falsche Antworten geben (sollen): sie werden da andauernd an einer Richtigkeit gemessen, die sie nie vorher gelernt haben.

(Kommt hinzu: wenn immer nach der angeblich einzig richtigen Antwort gefragt wird, überhören LehrerInnen allzu leicht

Wie absurd das Frage-Antwort-Spiel ist, kann man sich besonders gut an dem hypothetischen Fall klarmachen, dass tatsächlich sämtliche SchülerInnen andauernd die richtigen Antworten gäben. Heraus käme dabei ein - zumindest für jeden Außenstehenden - urkomisches Frage-Antwort-Frage-Antwort-Trommelfeuer (vgl. Bild "Fragen, Fragen, nichts als Fragen").

Nun stimmt all das bisher über den "fragend-entwickelnden" Unterricht Gesagte ja nicht ganz:

  1. werden ja oftmals, um der dargestellten Absurdität zu entgehen, Suggestiv- bzw. rhetorische Fragen gestellt

(insbesondere wird meist nach vorher Durchgenommenem, also bereits vorhandenen Antworten gefragt - und sind sich einige SchülerInnen, die schweigen, nur zu schade, den Papagei zu spielen);

  1. soll hier nicht grundsätzlich das Fragen durch LehrerInnen schlechtgemacht werden.

(Es wäre ja sogar wiederum absurd, wenn die SchülerInnen dringend fragen lernen, die LehrerInnen hingegen es sich aber abgewöhnen sollten.)

Es gibt auch ein positives Bild "sokratisches Fragen", mit dem echtes Fragen gelehrt wird. Und so glaube ich auch, dass es gute (Lehrer-)Vorträge (!) geben kann, die echtes Fragen vormachen

(ohne fertige Antworten bzw. ohne bereits von der Antwort aus gedacht zu sein).

Einem guten Vortragenden gelingt es zumindest, sich nochmals überzeugend in seine eigene frühere Unwissenheit hinein zu versetzen - wenn er nicht sogar noch selbst echte Fragen (hinter den Scheinantworten) hat.

Das Fragen lehren kann also nur einE LehrerIn, die/der selbst fragen gelernt hat, also

(insbesondere - zumindest ab und zu - die eigenen Selbstverständlichkeiten bzw. Vorurteile)

hinterfragen kann, statt es einfach zu schlucken,

"Echte" Fragen heißt dabei:

(mit "Fragenotwendigkeit" bzw. Fragewunsch; s.o.)

sind oder bei denen es der Lehrkraft gelingt, sie für die SchülerInnen wieder zu solch "echten" Fragen zu machen.

Es gibt aber verdammt viele (nicht nur) LehrerInnen, die keine wirklichen (Grundsatz-)Fragen an ihr Fach

(geschweige denn darüber hinaus)

mehr haben (nie hatten), sondern es nur "vollziehen".

Aber das soll's zu "fragend-entwickelndem" Schulunterricht auch schon gewesen sein, weil

  1. dazu schon anderweitig (allzu) viel gesagt worden ist,

  2. seine Fraglichkeit eine oftmals nur nachgeplapperte Binsenweisheit ist,

  3. er oftmals zum Buhmann gemacht wird, ohne dass konkrete (und bessere) Alternativen vorgeschlagen werden,

  4. ihm teilweise durch Pauschalverurteilung auch Unrecht getan wird.


Vielleicht können die meisten SchülerInnen ja durchaus "ansonsten" fragen

(z.B.: "Wie sehen die hinterletzten genealogischen Verflechtungen in »Star Wars« aus?")

- nur nicht im Schulunterricht

(gegenüber der Lehrkraft, aber auch - viel häufiger? - gegenüber KlassenkameradInnEn)


Im Folgenden ist es mir nun herzhaft egal, ob viele Jugendliche

Mich interessiert vielmehr, wie man sie denn (wieder) ans Fragen "kriegen" kann - und zwar (mangels anderer Eingreifmöglichkeiten) in der Schule.


Ein fetter Irrtum scheint mir zu sein, "jugendnahe" (Mode-)Themen würden "Fragenotwendigkeit" herstellen. Ein erstaunlich weitverbreitetes Beispiel ist da im Matheunterricht:

"Welcher Handy-Tarif ist für welche Telefoniergewohnheiten der günstigste?"

Mag sein, dass Jugendliche, die ja in der Tat andauernd "handy-fonieren", sich diese Frage ab und zu auch so stellen. Aber sie würden nie die im Mathematikunterricht gegebene Antwort (lineares Optimieren) geben: Bei der Auswahl von Handy-Tarifen fängt keiner mit Mathematik an.

Um aber gerecht zu sein: vielleicht sollen SchülerInnen ja auch nach dem Mathematikunterricht nicht die verschiedenen Tarife durchrechnen, sondern vielmehr ein (besseres) Gespür dafür bekommen, dass ein günstiger Einstiegstarif nicht erstrebenswert (nur ein Lockvogel) ist, wenn nachher die Dauerkosten sehr hoch sind.


Als Einstiege ins "Fragen" scheinen mir vielmehr geeignet - und vorerst nur ganz knapp angedacht:

  1. die vorfachlichen "ewigen" Fragen, aus denen sich überhaupt erst sehr spät Fachliches ergibt.

Vgl.

Dazu müsste die (weiterführende) Schule allerdings massiv umdenken, nämlich mit einer Art "Sachunterricht" anfangen, statt gleich alles aus Fächerperspektive zu betrachten bzw. ihr unterzuordnen.

  1. im laufenden Fachunterricht immer mal wieder (durchaus fachimmanente) Fragen, die aber eben "Fragehunger" wecken bzw. längst vorhandenem "Fragehunger" Nahrhaftes bieten.

Dabei bin ich mir durchaus bewusst, dass hier die eigentliche Schwierigkeit (unter den gegebenen Umständen) liegt: gibt es überhaupt etwas Innerfachliches, was SchülerInnen reizen könnte???

Hier nur drei erste Beispiele:

Bemerkenswert (schwierig) daran ist, dass das Buch bzw. der Film nicht in den Standardunterricht passen:

Man müsste sich also (etwa in einer 9. Klasse) enorm viel Zeit für das Buch bzw. den Film nehmen - und dazu vielen anderen Standardstoff ausfallen lassen. Die SchülerInnen würden bei der Behandlung des Buchs bzw. Films aber viel anderes Wichtiges über Mathematik lernen, ja geradezu, "was Mathematik [statt des ewigen üblichen Rechnens] wirklich ist".

(Nebenbei: obwohl oder gerade weil die astronomische Uhr so uralt ist, ist sie

[und zwar insbesondere mittags, wenn verschiedene Uhren läuten und "tuten" sowie sich bewegen]

offensichtlich auch für heutige Menschen ungemein faszinierend: bei diesem Schauspiel herrscht immer staunende Stille.)

Das Thema wird nur behandelt, wenn "wir" auch tatsächlich vor Ort Einsicht in die Uhr nehmen dürfen. D.h. Bild ist zwar eine schöne Grundlage, ersetzt aber keine eigenen "handgreiflichen" Begegnungen

(vgl. auch

Bild Bild )

(Das ist keine Utopie, sondern ich habe jüngst noch in einer 10. Klasse eine hochinteressante Facharbeit dazu bekommen.)

Was leider vor lauter oberflächlicher Methodendiskussion viel zu wenig bedacht wird:

wir brauchen auch ganz andere Themen im Unterricht bzw. ein ganz anderes Verständnis der Fächer:

es wird nicht nur das fertige Wissen der Jahrtausende vermittelt, sondern auch immer mal wieder selbst geforscht.

(von wegen "immer mal wieder": natürlich gibt es auch weiterhin - aber eben nicht [wie bislang im Standardunterricht üblich] nur - die ebenfalls wichtige Vermittlung des "Handwerkszeugs"! Vgl. Bild :

aber vielleicht wird diese reine Vermittlung des "Handwerkszeugs"

  • in der Abwechslung mit "richtigen" Fragen,

  • von diesen interessanten Fragen aus

doch weniger quälend.)

Bzw. durchaus wichtige (»Selbstlern«-)Methoden bleiben pseudodemokratischer Etikettenschwindel ohne solch inhaltliches Umdenken.

  1. und allemal sowohl für LehrerInnen wie SchülerInnen am schwierigsten

(bzw. vielleicht ist "nur" die Umstellung der Gewohnheiten schwierig):

das in seiner Unreflektiertheit geradezu gefährlich tautologische "Selbstlernen" wird tatsächlich mal ernst genommen:

(meist von der Lehrkraft auch nur aus Büchern zusammenkopiertes)

Material gesetzt werden

("ihr habt die Wahl zwischen Krebs und Cholera"),

sondern 

(z.B. im Fach Deutsch "Star Wars" oder "Hip-Hop-Lyrik"),

(ein Beispiel: SchülerInnen bekommen die "Satzgruppe des Pythagoras" nicht mehr im Frontalunterricht und anhand eines Schulbuchs vorgesetzt, sondern suchen selbst [angeleitet!] in Büchern und im Internet und erstellen daraus selbst ein Buch bzw. eine [neudeutsch] [Computer-]"Präsentation".)

Das ist für die Lehrkraft eine harte Nuss - und eine enorme (dringend notwendige!) Herausforderung für die SchülerInnen

(reines unverstandenes Abschreiben bzw. Ausdrucken "zählt" nicht, sondern es ist immer der eigene "Forschungsprozess" mit zu dokumentieren; banal: "der Weg ist das Ziel"),

(... und sind hinterher teilweise so stolz wie sonst niemals in der gesamten Schulzeit!).

Nebenbei: 

PS: Vgl. auch

Bild Kinder als Naturforscher

       Warum ist der Himmel blau? Woher kommen die Farben des Regenbogens? Wie kommt das Huhn in das Ei?