für ein härteres Gymnasium
"Die interessantesten Erkenntnisse liefert die neue [PISA-B-]Studie jedoch, wenn sie die Schulformen miteinander vergleicht. Dabei straft sie all jene Lügen, die meinen, die deutsche Schule sortiere ihre Schüler allein nach Leistung und Begabung. So lesen immerhin 10 Prozent der Hauptschüler auf gymnasialem Niveau. Dieses Können erhöht jedoch kaum ihre Bildungschancen. Der lang gehegte Verdacht, dass Schüler im Gymnasium gefördert werden, während sie – trotz gleicher Voraussetzungen – in der Hauptschule eher resignieren, wird in der neusten Pisa-Analyse bestätigt. |
kleine Vorbemerkungen:
Vielleicht ist es ja ein Intelligenzkriterium, das Abitur mit möglichst geringer Leistung zu erreichen
(immerhin haben die SchülerInnen dann überhaupt mal Bildung gehört),
vielleicht leistet sich das Bürgertum damit aber auch für seine Blagen einen immensen Luxus, den es den Deklassierten vorenthält.
- Wenn ich auch Gymnasiallehrer bin, so halte ich doch weder meinen Job noch das Gymnasium für etwas Besseres:
- andere Schulformen haben andere Aufgaben;
- wie banal: GymnasiastInnEn sind keine "besseren" Menschen
(gerade unter leistungsstärkeren SchülerInnen gibt es manchmal eine eiskalte Intelligenz, die von jedem verständnis- und mitleidsvollen Intellekt unbeleckt ist [1]);- GymnasiallehrerInnen machen keine wichtigere Arbeit, bzw. umgekehrt ist es nicht einzusehen, weshalb Grundschul- oder SI-LehrerInnen weniger verdienen und (angeblich?) schlechter angesehen sind.
(Im Gegenteil: Ich habe einen Heidenrespekt vor Leuten, die
- in Grundschulen die Grundlagen beibringen
[es ist keine Kunst, jemandem das Integral beizubringen, der schon rechnen kann]- oder die - von anderen angerührten - sozialen Probleme am eigenen Leibe ausbaden müssen.)
- Mit "Gymnasium" meine ich eigentlich die Oberstufe (von mir aus auch an einer Gesamtschule); man wird noch sehen, dass ich eiserner Anhänger des zwar mal geplanten, aber leider niemals durchgesetzten Sekundarstufenprinzips bin.
- Mit "Gymnasium" (und deshalb habe ich diesen Begriff dann doch gewählt) meine ich das "humanistische Gymnasium" humboldtscher Prägung (s.u.), das allein zur "allgemeine Hochschulreife" führt.
- Man wird noch sehen, dass ich den Begriff der "Härte" nicht im üblichen Sinne gebrauche, sondern seinen Urhebern sozusagen im Halse umdrehe: angesichts der (angeblichen) Probleme mit "der Jugend von heute" schwadronieren heutzutage ja ausgerechnet immer die dümmsten Nüsse (die Ämter- oder aber Geld-Elite) von "Elitefördernung" sowie "Leistung", und außer pädagogischem Polizeistaat, sprich: neuer "Härte" (prüfen, quälen, vergleichen, reglementieren ...), fällt ihnen eh nichts ein.
- Ich halte es nicht prinzipiell für eine Katastrophe, dass heute (angeblich) jedeR das Abitur schafft: immerhin hat dann auch das Mittelmaß mal gewisse Standards der Differenzierung kennengelernt
(und in einer Demokratie ist das "breite" Mittelmaß [die Mittelschicht] letztlich wichtiger als die [meist nur sogenannte] Elite: nichts ist so tödlich für eine Demokratie wie wenn
- der "Elite" die sozialen Belange herzhaft "sch...egal" sind und
- die "breite" Masse ausgehöhlt [materiell bzw. geistig proletarisiert] wird bzw. sie nicht mehr die Demokratie mitträgt!).
Das Schulsystem ist grotesk überbürokratisiert und -formalisiert. Ein besonders schönes Beispiel dafür sind die Versetzungsordnungen für die verschiedenen Klassen, die eh kein Aas (nicht mal mehr gewiefte Fachleute) versteht:
(gemäß AO-SI vom 21.10.1998 i.d.F. v. 14.12.2000, §§ 21-23, 26)
gültigbereits für Klassen 6-9; für Klasse 10 ab 2001 / 02
Fächergruppen: I = Deutsch, Mathematik, erste Fremdsprache, zweite Fremdsprache
II = übrige Fächer
Fall |
Fächergr. I |
Fächergr.II |
Ausgleich (mind. 3) in ... |
Entscheidung |
Nachprüfung | ||||
| 5 | 6 | 5 | 6 |
Fächergr. I |
Fächergr.II | |||
1. |
0 |
0 |
0 |
0 |
|
|
versetzt |
| |
2. |
0 |
0 |
1 |
0 |
|
|
versetzt | ||
3. |
0 |
0 |
0 |
1 |
|
|
versetzt | ||
4. |
|
|
|
2 |
|
|
nicht versetzt |
nein | |
5. |
0 |
0 |
1 |
1 |
|
|
nicht versetzt | 5 in II | |
6. |
0 |
0 |
2 |
0 |
2 x, davon mind. 1 x in I |
versetzt |
| ||
7. |
0 |
0 |
2 |
0 |
nein |
nicht versetzt |
in II | ||
8. |
0 |
0 |
2 |
1 |
|
|
nicht versetzt |
nein | |
9. |
0 |
0 |
3 |
0 |
2 x, davon mind. 1 x in I |
nicht versetzt |
in II | ||
10. |
0 |
0 |
3 |
0 |
nein |
nicht versetzt |
nein | ||
11. |
|
|
4 |
|
|
|
nicht versetzt |
nein | |
12. |
1 |
0 |
0 |
0 |
ja |
|
versetzt |
| |
13. |
1 |
0 |
0 |
0 |
nein |
|
nicht versetzt |
in I | |
14. |
1 |
0 |
0 |
1 |
|
|
nicht versetzt |
in I | |
15. |
1 |
0 |
1 |
0 |
ja |
|
nicht versetzt | in I od. II | |
16. |
1 |
0 |
1 |
0 |
nein |
|
nicht versetzt |
in I | |
17. |
2 |
0 |
0 |
0 |
ja |
|
nicht versetzt |
in I | |
18. |
2 |
0 |
0 |
0 |
nein |
|
nicht versetzt |
nein | |
19. |
3 |
|
|
|
|
|
nicht versetzt |
nein | |
20. |
|
1 |
|
|
|
|
nicht versetzt |
nein |
Alle Klarheiten beseitigt? Ja ist das nicht zum Totlachen?!
Da hätte ich doch - mit Verlaub - einen kleinen, aber feinen Verbesserungsvorschlag bzw. einen Vorschlag zur Güte (und zwar für die gesamte Schulzeit, also auch die Oberstufe):
Wer - mal großzügig: - drei Fünfen hat (damit es nicht an einem Lehrer mit zwei Fächern scheitern kann), ist (egal, in welchem Jahrgang) bedingungslos sitzen geblieben, kann also
keinen Ausgleich in einem anderen Fach mehr geltend machen
("Religion 6, aber Sport 1"),
keine Nachprüfung mehr ablegen und
vor keinem Gericht Widerspruch einlegen.
Amen!
(Und eine Sechs zählt wie zwei Fünfen [mit zwei Sechsen ist also eh alles vorbei].)
Mit folgender kleiner Zusatzregel bin ich aber bei meinem eigentlichen Thema:
In die gymnasiale Oberstufe kommt man aber nur dann, wenn man zusätzlich einen Notendurchschnitt von - ein erster, allemal diskutierbarer Vorschlag: - "befriedigend" oder besser hat. |
Es ist also durchaus möglich, nach der 10. Klasse zwar seinen Realschulabschluss zu erhalten, aber dennoch nicht in die gymnasiale Oberstufe übergehen zu dürfen.
(Diejenigen, bei denen das der Fall ist, sollten
die 10. Klasse wiederholen können, um doch noch die Oberstufenqualifikation zu erreichen,
dabei aber nicht den Realschulabschluss verlieren können.)
Die "≥ befriedigend"-Regelung impliziert, dass jemand durchaus gewisse Durchhänger haben darf
(z.B. würde ich es jedem bis ins Abitur erlauben, in einem nunmal ungeliebten Fach "ungenügend" zu stehen).
Hauptsache, der Schnitt bzw. Gesamteindruck ist positiv.
Der Sinn und Zweck meines "befriedigend"-Vorschlags ist dabei:
wer in der 10. Klasse zwar nicht sitzen bleibt, aber dennoch großteils mit Vieren am unteren Rand rumkrebst, hat nichts in der gymnasialen Oberstufe zu suchen;
die (immerhin zur allgemeinen Hochschulreife führende) gymnasiale Oberstufe wäre entlastet von Fachidioten;
die gymnasiale Oberstufe wäre ebenfalls auch halbwegs entlastet von Leuten, die nicht den mindesten Hang zur Theorie und Differenzierung haben;
natürlich sind Zensuren alleine dafür noch keine Garantie: dem Rest wären von Anfang der Oberstufe an
(und schon in deren Vorfeld) rigoros gewisse Anforderungen klar zu machen, unter die zu gehen LehrerInnen nicht bereit sind.
Von dem Umstand, dass nach meinem Modell der Übergang in die gymnasiale Oberstufe nicht mehr automatisch stattfindet, verspreche ich mir auch einen klareren Bruch, der neue Anforderungen impliziert.
(Bisher hängen viele Jugendliche doch die Oberstufe nur deshalb ab, weil ihre Eltern sie irgendwann mal auf der[selben] Schule angemeldet haben - und wenn man schon mal da ist, wieso nicht auch bleiben, zumal man sich damit eine Berufsentscheidung [oder überhaupt eine Entscheidung] spart?)
Bei all dem ist mir natürlich klar, dass LehrerInnen keineswegs nur dazu da sind, den Stoff zu vermitteln, sondern auch dazu, Herangehensweisen (auch gegen Widerstände) zu motivieren. Aber
wollen die SchülerInnen, die oftmals (das vergisst man allzu leicht) bis in Abitur auch Kinder sind (vgl. ), doch als Erwachsene behandelt werden, weshalb man von ihnen auch gewisse "erwachsene" Umgangsformen einfordern kann und muss;
hat beispielsweise in einem Deutsch-LK niemand etwas zu suchen, der
freiwillig eh kein Buch "anpackt"
(sich nicht entblödet, die Lektüre eines Werks von mehr als zwei Seiten offen eine Zumutung zu nennen;
und es ist schon wirklich bitter[aber immerhin ist es auch entwaffnend ehrlich und zeugt entweder von rüpelhafter Naivität oder aber von - missbrauchtem - Vertrauen zu mir],
wenn eine SchülerIn
in einer Deutsch-Leistungs(!)kursklausur schreibt:"[...] wenn ich nicht gezwungen werde, [überhaupt irgendwelche] Bücher zu lesen, dann würde ich nie eins anrühren."
Soll man da eigentlich
vor Wut platzen, weil man doch offensichtlich Perlen vor die "Säue" wirft und das eigene Interesse so gering geschätzt wird,
oder Mitleid haben, weil sich da jemand garantiert die nächsten zwei Jahre sowohl durch Bücher als auch den Unterricht quälen wird?
Es kommt sogar noch doller: Als SchülerInnen in einer Unterrichtsreihe ihrer Meinung nach empfehlenswerte Bücher
[gar nicht mal notwendig "Klassiker"]
vorstellen sollten, sagte ein Schüler:
"Ich habe da ein Problem: Ich bin Nichtleser. Wie soll ich da [in einem Deutsch(!)-Leistungs(!)kurs] denn ein Buch vorstellen?
Und anderen im Kurs geht es genauso [zustimmendes Kopfnicken einiger KurskameradInnEn]."
hört sich das an, als wenn sich da jemand "outet"
[was heutzutage in Nachmittagstalkshows aber schon nachgerade ein Volkssport ist];freut mich die Wortneuschöpfung "Nichtleser"
[Nichtraucher, Nichtubahnfahrer, NichtrasenMüher ...: eine Welt aus Menschen, die sich dadurch definieren, dass sie etwas nicht tun;
vgl. auch bleifrei, nikotinfrei, koffeinfrei, alkoholfrei, vitaminfrei ...];heißt es da nicht mal "ich lese ansonsten nicht, aber wohl [notgedrungen] für den Deutschunterricht", sondern
entweder "ich will kein Buch lesen [z.B.: soweit kommt's noch, dass ich außerhalb der Schule ein ganzes (!) Buch lese]", was nackte Arbeitsverweigerung wäre, wozu es aber viel zu freundlich, ja fast verzweifelt vorgetragen wurde;
oder aber "ich kann kein Buch lesen".
Solche Leseunfähigkeit mag in einem Deutsch-Grundkurs noch akzeptabel sein
(weil die SchülerInnen ja neuerdings LEIDER Deutsch bis zum Abitur belegen müssen;
und doch: LeseFähigkeit braucht man doch wohl in jedem Fach),aber in einem Deutsch-Leistungskurs ...???
Da werden sich SchülerInnen zumindest zum Lesen zwingen bzw. das Lesen mühsam lernen müssen.
folgt das alles aber doch der Logik
"Ich habe da ein Problem: Ich bin Vegetarier. Wie soll ich da [in einer Metzger(!)lehre] denn Fleisch anfassen [oder gar essen]?"
Preisfrage: Was tun?
(Kleine "selbst"kritische Rückfrage: was ist das für eine Schule/ein Schulsystem, in der/dem sich in der Oberstufe herausstellt, dass jemand nicht lesen gelernt hat?!)
Ebenso wenig hat in einem Deutsch-LK jemand was zu suchen, der nicht den mindesten Zugang zu (auch fremdartiger) Geschichte hat
("ich habe Goethe zwar nicht gelesen, aber er ist total veraltet")
und auch noch meint, sie im pubertären Bollerton eines ebenso geistig wie emotional kastrierten He(!)-man(!) in den Dreck ziehen zu dürfen
("Brecht ist scheiße, und im Mittelalter lebten nur Idioten, die nicht mal einen Fernseher hatten").Wenn ich nun aber sagen würde, mich wehe doch immer mehr der Eindruck an,
dass sich - allemal mit so einigen Ausnahmen - in Deutsch-LKs zunehmend Leute sammeln, die die Einstellung haben:
"Deutsch kann ja jeder",
so würde man mir das wohl als - zweifelsohne unverzeihliche! - Vorverurteilung von SchülerInnen auslegen; dabei ist es doch "nur" ein - außerdem unsicherer - Gesamteindruck, ich bin und bleibe aber neugierig auf einzelne SchülerInnen. Wenn an dem Eindruck allerdings was dran sein sollte, wird man ihm entgegen arbeiten müssen!
Mein Traum von einem Deutsch-Leistungskurs:
höchstens 15 SchülerInnen, denn mit mehr ist keine intensive Arbeit möglich, die den Namen "Leistungskurs" verdienen würde;
SchülerInnen, die nachweislich nicht "aufs Maul gefallen sind", denn ein Deutschleistungskurs bedeutet nunmal Kommunikation und - ich freue mich drauf!: - pfiffige Auseinandersetzung;
ansonsten würde ich bei der Besetzung sogar weniger auf Leistung
[abgesehen von einer gewissen sprachlichen Grundfertigkeit, d.h. halbwegs Rechtschreibefehlerfreiheit und AusdrucksFähigkeit]
als auf politische, soziale, emotionale, historische sowie künstlerische Aufgeschlossenheit und Ehrgeiz achten:
"Jadoch, ich will beispielsweise die »Blechtrommel« durchnehmen, gerade weil ich sie alleine nie verstehen würde; bzw. ich will einfach wissen, ob und wie ihre Berühmtheit gerechtfertigt ist.
Und um erwachsen zu werden, will ich auch mal sogenannte Erwachsenenliteratur mit angeblichem »Anspruch« lesen."
Und mir scheint tatsächlich, dass es oft einfach an Aufgeschlossenheit und Neugierde als [auch außerschulischen?!] Grundeinstellungen fehlt: eine ganze Menge SchülerInnen ist keineswegs dumm, interessiert sich aber nun mal nicht im mindesten [und durchaus verständlicherweise!] für das, was in der Schule "da vorne" passiert.
Natürlich ist "da vorne" [also Frontalunterricht] schon entlarvend, aber ein besserer, interessanterer, auffordernderer Unterricht würde sie auch nicht interessieren, d.h. da sind nicht die pädagogischen Grenzen der Lehrkraft, sondern die Grenzen solcher SchülerInnen erreicht.
Es gibt sie eben [nur "sagt man das ja nicht laut"], die SchülerInnen, die
beispielsweise a2 + b2 = c2 gar nicht lernen wollen
[was noch lange nicht heißt, dass sie mathematisch unbegabt wären],gar keine halbwegs guten Zensuren wollen
[es ist ja eben auch eine Form der Intelligenz, mit absolutem Minimalaufwand immer noch so grade versetzt zu werden].Eine ganz andere Frage ist dabei, wie sie so geworden sind.)
Nebenbei: neuerdings können SchülerInnen nach der 11. Klasse ja nicht mal mehr einen falsch gewählten Leistungskurs umwählen, denn die Leistungskurse fangen ja erst mit der 12. Klasse an, d.h. man kann nur noch sitzen bleiben.
(Einziger denkbarer Grund für den Beginn der Leistungskurse erst mit der 12. Klasse ist aber wohl, dass man demnächst die 11. Klasse wegamputieren kann, also die zwölfjährige Schulzeit einführt [auch so ein Mythos!].)
Ich empfinde es nur noch als unfair, dass man sich nicht mehr "vertun" darf. Ich halte nichts von solcher Härte, bei der man keine gerechte Chance hat.
Damit hier aber nicht der Eindruck resignierten Frusts aufkommt:
für solchen Frust werden LehrerInnen aber überhaupt bezahlt:
Das tut manchmal weh und ist schrecklich langwierig - und eben doch das eigentliche Lehrergeschäft. Und der "Erfolg" ist, dass man bei einigen wenigen SchülerInnen eine Entwicklung bemerkt, zu der man vielleicht beitragen konnte (man konnte die Blumenzwiebel nur gießen, der Rest kam aus ihr selbst), und vielleicht auch zunehmenden Spaß: wenn man zwei oder drei pro Kurs erreicht, hat es sich gelohnt! Und selbst das ist mir noch zu negativ gesagt: Es sollte erst gar nicht FachlehrerIn werden, wer nicht seinen ganz eigenen Spaß daran hat, mit (offenen) SchülerInnen zusammen neu zu entdecken, was der/dem FachlehrerIn natürlich längst bekannt ist. |
(Vor allem erinnere man sich immer wieder daran, wie "naiv" man selbst noch zu Abiturzeiten war [und dass 90 % der KlassenkameradInnEn sich auch schon "zu meiner Zeit" für rein gar nichts Schulisches interessierten]. Es dauert halt ewig [bis lange nach dem Abitur], bis sich Wissen halbwegs zusammensetzt.
Das ja gerade ist eins der wichtigsten Ziele der Schule wie allen Wissens: dass es sich sukzessive zu einem "Wissensnetz" zusammensetzt, in das immer neue Fakten eingebaut werden, das aber auch immer wieder anhand neuer Fakten umgebaut wird:
"In einer künftigen Welt, die sich für die altmodische, auf Spezialistentum ausgerichtete Erziehungsmethode viel zu schnell verändert, könnten wir davon profitieren, wenn wir den jungen Menschen das Reisen durch das [Wissens-]Netz als primäre Lernerfahrung nahebringen würden. [...] In den Schulen könnten die Jugendlichen dazu angeleitet werden, sich ihren individuellen Weg durch das [Wissens-]Netz zu bahnen und sich selbst Lösungswege auszudenken [...]"
(James Burke, der dennoch einen entscheidenden Fehler macht: das Netz [unter dem er ja keineswegs das splitterfaserdumme Internet versteht] durch die allgemeine Beschleunigung zu begründen, statt es um seiner selbst willen - in aller Ruhe - zu fordern.)Beispielsweise sollte einE SchülerIn
auf die Dauer assoziieren:Physik → Dampfmaschine → erfunden 1789 → Goethe ist gerade 20 Jahre alt → 20 Jahre vor der Französischen Revolution → erstaunlich, wie früh die Dampfmaschine erfunden wurde
Das Problem dabei ist nur, dass
einerseits anfangs noch gar keine Vernetzung da ist, sondern nur unverbunden-langweilige Einzelfakten,
andererseits aber immer schon ein Netz vorausgesetzt werden muss.
Erst viele Punkte eines Netzes zusammen ergeben ein Bild
,
bzw. was anfangs noch nur scheinbar "verstanden" wurde, wird später
durch Einordnen durchdrungen.)
Alles oben Gesagte schlage ich auch vor
zum Selbstschutz
(nach einigen schlechten, aber auch vielen guten Erfahrungen; und überhaupt bin und bleibe ich
gerne Unter- und Mittelstufenlehrer mit allen SchülerInneN),
wie ja überhaupt frischer Egoismus viel ehrlicher ist als vorgeschobene, meist penetrant moralische Sorge für
andere;
zum Schutze lernwilliger (was keineswegs unbedingt synonym ist mit "streberhafter" oder "lammfrommer") SchülerInnen
(ein
einziger Stinkstiefel in einer Klasse kann dauerhaft das gesamte Lernklima zerstören).
Vor allem geht es mir aber doch um zweierlei:
Ich spreche sozusagen im "wohlverstandenen eigenen Interesse" vieler leistungsschwächerer SchülerInnen
(wobei mir durchaus bewusst ist, dass diese Floskel oft nur Machtinteressen kaschiert und einem anderen Menschen perfide einen angeblich eigenen Wunsch unterstellt):
Es gibt eine Menge SchülerInnen (schätzungsweise mindestens die Hälfte), für die die gesamte Oberstufe eine einzige Langeweile, wenn nicht gar Qual ist.
Und es gibt welche, bei denen jedeR LehrerIn (ohne jede Vorverurteilung) schon spätestens von der 7. Klasse an weiß: das kann nichts werden - und dann vergibt man das Abitur (eventuell nach einem einzigen Hängen und würgen aus mehrfachem Sitzenbleiben) eben doch noch.
für solche SchülerInnen wäre es doch viel besser, d.h. erfüllender und das Selbstbewusstsein stärkender, früher (nach der Mittelstufe) einen anderen Weg zu gehen - oder sie dazu zu zwingen, denn es gibt einige SchülerInnen (die mir sogar wirklich leid tun), die an rein gar nichts (nicht mal außerschulischen Hobbies) Interesse haben.
Ebenfalls geht es mir um das, was das Gymnasium (oder genauer: die gymnasiale Oberstufe) im eigentlichen Sinne sein sollte:
Wilhelm von Humboldt
(1767-1835)
»Der "Zögling" soll zum "geistigen Schaffen" angeregt werden. "Verstehen" und "Wissen" sollen ihren Reiz "nicht durch äußere Umstände, sondern durch [...] innere Präzision, Harmonie und Schönheit" gewinnen. Das Ziel liegt somit im Aufbau einer eigenen Motivation, damit jeder aus eigenem Antrieb zu Erkenntnis und Einsicht streben kann. Dazu bedarf es einer "harmonischen Ausbildung aller Fähigkeiten" [...], was natürlich nur möglich ist, wenn jeder "seine Kraft in einer möglichst geringen Anzahl von Gegenständen", darin aber so intensiv wie möglich übt. In allgemeiner Hinsicht sind lediglich die Fähigkeiten zu fördern, die eine breite Beschäftigung auf möglichst vielen Feldern möglich machen. Also stehen Mathematik und die allgemeine Schulung des "Denkvermögens" im Vordergrund. Was Humboldt hier mit wenigen Bemerkungen skizziert, ist die Idee des forschenden Lernens. Und da er weiß, dass der Impuls zur Einsicht und Erkenntnis nur produktiv werden kann, wenn er den ganzen Menschen erfasst, dringt er auch auf die Bildung des ganzen Menschen. Der junge Mensch muss so erzogen werden, dass er "physisch, sittlich und intellektuell der Freiheit und Selbsttätigkeit überlassen werden kann" [...].
Heute dürfte offensichtlich sein, dass wir ein solches Ideal nicht nur für die Forschung brauchen, sondern für alle Lebensbereiche, in denen Menschen innovativ und produktiv sein wollen.«
(zitiert nach Volker Gerhardt: Humboldts Idee; Zur Aktualität des Programms Wilhelm von Humboldts)Bildung, der Begriff B. bezeichnet die Entwicklung des Menschen im Hinblick auf seine geistigen, seelischen und kulturellen Fähigkeiten. - Alle B.begriffe der europ. Tradition gehen auf die griechisch- röm. Antike zurück. Der Vergleich der "Formung" des Menschen mit der künstler. Formung einer Plastik ist auf Platon zurückzuführen. Der Mensch wird Mensch, wenn er sich selbst zum Abbild dessen gestaltet, was göttlich ist. Die Lehre, daß das wahre Wesen des Menschen ("humanitas") sich in der Harmonie seiner Person manifestiert, hat v. a. die Renaissance und die Goethezeit beeinflußt: B. und Humanismus sind identisch; in diesem Sinne unterscheidet sich der Begriff der allgemeinen B. von der speziellen Berufsausbildung. - Ein zweiter Ausgangspunkt für die B.tradition war das Wort 1. Mos. 1, 27: "Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde; zum Bilde Gottes schuf er ihn". In diesem Sinne hat Paulus die platon. Lehre als "Angleichung des Menschen an Gott" umgedeutet. Die Mystiker (Meister Eckhart, Seuse, J. Arndt, J. Böhme) beschreiben die Wiedergeburt des Menschen als "Ein-Bildung" in das Bild Christi. Herder hat alle diese Traditionen mit seinem Begriff der Humanität in Verbindung gebracht und so das geistige Medium für das "B.zeitalter" des dt. Idealismus geschaffen. - Der dritte Faktor unserer B.tradition ist die Sophistik, in der sich zum ersten Mal der Anspruch menschl. Wissens auf Aufklärung und Autonomie als polit. Macht manifestiert. Das Werkzeug dieser ersten "Intellektuellen" ist die Rhetorik. Die rhetor. Bildungstheorie der Sophisten entwickelt den Kanon der "freien Künste" (Artes liberales), also jener Wiss., durch die sich der Mensch der polit. Freiheit als würdig erweist. Sie sind "frei" im Unterschied zu den Spezialkenntnissen der Handwerker. Bei Platon stand im Zentrum die Mathematik, bei den Sophisten eine literarisch-polit. Rhetorik. Daraus ergab sich später
die Trennung der Geisteswiss. von Naturwiss. und Technik.
(Meyers Lexikonverlag)(Ich bin mir nebenbei nicht mal so sicher, ob es nur abgrundtief falsch war oder auch nur so eindeutig überholt ist, dass Naturwissenschaften kaum im humanistisch-klassischen Bildungsideal vorkamen. Immerhin hat der weltberühmte Physiker Heinrich Hertz [1857-1894] - oder war es doch der Physiker Hermann von Helmholtz [1821-1894]? - mal gesagt, er habe auf der Schule fast nur Latein und Griechisch, aber nie Physik gelernt. Dennoch - oder gerade deswegen - sei das eine erstklassige Vorbereitung auf Physik [nämlich eben Denken!] gewesen.
Aber natürlich würde gerade ich Naturwissenschaften massiv in die kulturelle Bildung der Schule einbeziehen. Genau da, im kulturellen Zusammenhang (beim Bild von uns selbst in der Umwelt), sind Naturwissenschaften aber überhaupt erst wichtig - und nicht als Berufsvorbereitung: die allermeisten SchülerInnen werden naturwissenschaftlich-technische Dinge nach dem Abitur wohl nutzen, sie aber nicht verstehen müssen: der Siegeszug der Technik ist ja gerade dadurch zu erklären, dass sie unsichtbar hinter den Gehäusen funktioniert.
Und es ist in diese Geräte auch kein Expertenwissen eingebaut, das man kennen müsste, bzw. die Technikfolgen kann auch jeder Laie, der sich ein wenig weiterbildet und umschaut, erkennen und verstehen - und jeder technische Fachmann übersehen.
Was für Latein und Griechisch gilt, trifft genauso auch für die Naturwissenschaften und insbesondere Mathematik zu: wirklich lebensnaher Anwendungsbezug ist die denkbar schlechteste Legitimation.)(wobei natürlich zu ergänzen ist, dass
- das Leugnen ökonomischer Zwänge auch nur idealistisch ist - bzw. der Luxus derer, die es sich [eben ökonomisch] leisten können,
- es gerade vermehrt an der Zeit ist, penetrant und immer wieder auf die ökonomische Vereinnahmung der Bildung hinzuweisen,
es nur arrogant bis geradezu menschenverachtend wäre, Bildung im o.g. Sinne nur GymnasiastInnen zuzugestehen).
"Ich glaube überhaupt, daß in unseren gegenwärtigen, vorwiegend auf äußere Nützlichkeitsinteressen eingestellten Zeiten das humanistische Gymnasium wichtiger ist als je. Denn die Jugend muß darauf hingewiesen werden, daß es noch Genüsse anderer Art gibt als solche, die sich auf materielles Gebiet oder auf Ersparnis von Zeit und Geld beziehen."
|
Unter (Allgemein-)"Bild"ung ist gerade nicht eine direkte Berufsvorbereitung bzw. Anwendbarkeit zu verstehen
(wenn vermehrt nur diese gefordert wird, ist das nur geschichtsblind, und der ideologische Rohrkrepierer schlechthin ist es, wenn die baden-württembergische Kultusministerin [und Speerspitze des sogenannten Fortschritts] Schavan sich folgendermaßen äußert: Die Schule könne einiges von der Wirtschaft lernen, und zwar vor allem "den effizienten Einsatz von Ressourcen". Die Modernisierung der Bildung sei vor allem dort auf den Weg gebracht worden, wo Schule und Wirtschaft kooperiert hätten.
[Quelle: , 15.1.02]Es wäre fast zum Verzweifeln, dass man solchen Marionetten billig ökonomischen Denkens nicht ihr blindwätiges Handwerk legen kann, wenn sich nicht - wie ich eher vermute - alles bald als bloße Modetorheit erweisen würde.)
Sondern "Bildung" meint
- und zwar gerade unter der Perspektive des inzwischen fast zur Drohung werdenden lebenslangen Lernens und beruflicher Mobilität -
die Entwicklung einer Potentialität, sich selbstbewusst jedes Fachgebiet anzueignen:
"Nein, Computerwissen habe ich bisher nicht, kann ich mir aber natürlich schnell aneignen."
Solch eine Potentialität aber ist nur denkbar, wenn die SchülerInnen (exemplarisch) verschiedenste Sichtweisen (und ihren Theoriecharakter) erfahren, die einander ergänzend "die" Welt ausleuchten:
Faktenwissen
+ Kenntnis der kulturellen Zusammenhänge zwischen den Fakten
+ kritische Aneignung: "Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen."
_____________________________________________________
= "Allgemeinbildung" (Hochschul"reife")naturwissenschaftliche
+ mathematische
+ künstlerische
+ sprachliche
+ philosophisch-theologische
+ psychische
+ körperliche
+ historische
+ soziale (u.a. ökonomische, juristische, politische)
________________________
= kulturelle ZusammenhängeEs ist nebenbei ein fataler Irrtum, wenn die "freie" Wirtschaft oftmals besser auf Berufe vorbereitete SchülerInnen fordert. Im Gegenteil, sie braucht - zumindest an den Schaltstellen - offene, flexible, denkfähige, kritische Menschen. Oder ist die Forderung der Wirtschaft nach (Fach-)Idioten einfach nur ehrlich?
Ein immenser Fehler, weil letztlich ein Rohrkrepierer ist es auch, wenn man den "praktischen" Nutzen eines Fachs begründen will, wie beispielsweise in die Defensive getriebene Altphilologen es versuchen (vgl. etwa ). Nein, das Zweckfreie, dessen Ziel nicht mal mittelfristig klar ist, ist - wie immer schon - angesagt! Bzw. jenseits der allemal wichtigen ökonomischen Zwänge fängt das Leben überhaupt erst an, wo es zweckfrei-spielerisch ist.
Wenn ich von SchülerInnen beispielsweise nach dem Zweck (und damit ist immer die Anwendbarkeit gemeint) von Mathematik gefragt werde, antworte ich
anfangs:
seien wir ehrlich: mehr als die Mathematik der 7. Klasse braucht man nirgends (und wer will schon Mathematik oder Naturwissenschaften studieren?; wer's aber will, kann's noch immer nachholen);
ihr braucht Mathematik nur, weil ihr die nächste Klassenarbeit, das nächste Zeugnis und das Abitur bestehen wollt und Mathematik da nun mal ein (weshalb auch immer) vorgeschriebenes Fach ist;
und später
dann vielleicht auch:
weil ihr eine gewisse, unseren Alltag durchdringende - und nebenbei auch hochinteressante - Denkweise kennenlernen sollt (aber doch bittschön nicht Einzelfakten, die "nur" notwendiges Handwerkszeug sind) .
Wenn ich derart auf der Allgemeinbildung als (Ideal-)Ziel der gymnasialen Oberstufe bestehe, muss das Konsequenzen haben:
andere Ausbildungsgänge sind genauso wichtig, und ihnen gebührt (etwa in den Augen der Arbeitgeber) dieselbe Anerkennung;
aber andere Ausbildungsgänge liefern eben nicht gleichwertige Abschlüsse:
ein "Wirtschaftsabitur" sollte ein Fachabitur bleiben und somit "nur" zum Studium von Wirtschaftswissenschaften befähigen (nicht nur an der Fachhochschule, sondern durchaus auch an der Uni)
(dasselbe gälte analog für ein "Mathematik-Gymnasium"; sollen einseitige Genies doch ihren Weg gehen - nur bittschön keine allgemeine Hochschulreife bekommen);
oder umgekehrt: nur die "gymnasiale Oberstufe" (von mir aus gerne auch an einer Gesamtschule) vergibt eine allgemeine Hochschulreife für alle Studienfächer - und da brauchen wir (abgesehen von Abendgymnasien) auch keine neuen "Kollegs", die diese allgemeine Hochschulreife ebenfalls vergeben
(wenn ich mir Feinde schaffen wollte, hätte ich fast gesagt: oftmals verschleudern);
wir brauchen mehr praktische "Gymnasien"
(also sowas ähnliches wie in der DDR "polytechnische Gymnasien"),
die aber eben "nur" ein Fachabitur vergeben;
Quereinsteiger sollten ermutigt und gefördert werden:
nach einem Kolloquium
(also nicht nach einer standardisierten Prüfung und auch nicht einfach nur nach Vornoten),völlig "quer", also z.B. sollte eine (auch theoretisch) exzellente Krankenschwester problemlos Medizin studieren dürfen
(in Deutschland gibt's viel zu wenig Quereinstiegsmöglichkeiten, sondern hier braucht man für alles ein Zeritifikat - außer zum Fachleiter-Werden).Eine Quereinstiegsmöglichkeit wäre auch wichtig für "Spätzünder" und "Nachzügler", die sich irgendwann doch noch für einen anderen Weg interessieren - und qualifizieren.
Zwar ist die gymnasiale Allgemeinbildung theoretisch gerichtet, was aber Praxis und Anschaulichkeit keineswegs ausschließt
(die alleinige Betonung der Kognition hat ja das "humanistische Gymnasium"
- neben seiner oftmaligen, Humboldt radikal widersprechenden erzkonservativen bis geradezu paramilitärisch-reaktionären Ausrichtung und seiner Arroganz, es allein bilde "bessere" bzw. überhaupt erst "richtige" Menschen aus -
zu Recht in Verruf gebracht).
Einige Beispiele:
selbstverständlich hat der Englisch-Unterricht des Gymnasiums auch Wirtschaftsenglisch (das es so ja gar nicht gibt!) zu umfassen, ist aber doch vor allem Länder- und Literaturkunde;
selbstverständlich geht es im Mathematik-Unterricht des Gymnasiums vor allem um die "eigentliche", also Inner-Mathematik, was aber doch weder praktische Anwendungen noch ausschließen darf;
selbstverständlich machen GymnasiastInnen auch Berufspraktika und treten - etwa in Projekten - in Kontakt mit der außerschulischen Welt
(und dennoch sollte es schlichtweg ausgeschlossen sein, was etwa in Baden-Württemberg in sogenannten Seminararbeiten möglich ist und aller Allgemeinbildung widerspricht: dass SchülerInnen eines Gymnasiums beispielsweise für
ein reines
Computerprojekt, aus dem sie zudem schon eine eigene Firma entwickeln, ein fünftel aller Abiturpunkte ziehen können).
Eigentlich mäßig zu ergänzen, dass ich selbstverständlich nicht Humboldt in allem folge und nicht bei ihm stehen geblieben bin bzw. reaktionär und geschichtsblind auf ihn zurückgreife: ich verstehe das Individuum nicht als aus sich selbst bzw. höchstens in Analogie zur Natur zu bildendendes, a-soziales, d.h. mono- statt dialogisches und letztlich außerhalb von Geschichte, Ökonomie und Politik stehendes Wesen (vgl. Werner Kutschmann: Naturwissenschaft und Bildung). Und dementsprechend bleiben mir im Gegensatz zu Humboldt bzw. dem Bildungsbegriff der Klassik "Zusatzfächer" wie beispielsweise Biologie, Physik, Soziologie und Ökonomie keineswegs dem Menschen äußerlich im Sinne von verfügbarem Stoff, "an" dem der Mensch sich nur empor arbeitet, sondern der Mensch ist - bei aller äußeren Unverfügbarkeit - er selbst erst in äußerlichen (naturwissenschaftlichen, sozialen, ökonomischen, historischen ...) Bezügen.
Praktische Folgen:
selbstverständlich umfasst für mich der Fächerkanon auch jene "Zusatzfächer", die Humboldt noch äußerlich und damit überflüssig erschienen;
natürlich sollen die zukünftigen Abiturienten nicht in einem "Elfenbeinturm" weit jenseits der sozialen und ökonomischen Zwänge aufwachsen, wenn sie diese auch zusätzlich theoretisch abzuarbeiten lernen (pars pro toto gehört die Analyse von Karl Marx in jede Oberstufe!).
Und jetzt kehrt-schwenk-marsch!:
Innerhalb der gymnasialen Oberstufe würde ich aber die allermeisten Regelungen abschaffen und
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(Das ist dasselbe wie beim Studium:
an seinem Anfang würde ich die "Lehre" deutlicher betonen, also die StudentInnEn bei ihrem Kenntnisstand und ihren Einstellungen abholen;
dann aber käme im Grundstudium knallhartes Pauken von Grundlagen [in Germanistik Interpretationsverfahren, Literaturtheorie und -geschichte];
nach der Zwischenprüfung, also im Hauptstudium, herrschte hingegen "die Große Freiheit Nr. 7" unter persönlicher tutorieller Anleitung.)
Z.B. muss niemand ein völlig ungeliebtes Fach bis zum Ende durchziehen, sondern kann aus gewissen Gebieten wählen: letztlich ist es nämlich schnuppe, ob man
Mathematik oder Physik bzw.
Musik oder Kunst bzw.
die eine Sprach- und Literaturwissenschaft (Englisch) oder die andere (Deutsch)
belegt, Hauptsache, man lernt ein Denkfeld bzw. eine Denkmethode kennen.
(Besonders schlimm finde ich - wohlgemerkt: als Lehrer für Deutsch und Mathematik - den neuen Superlativ zu "Hauptfach", also "Kernfach", nämlich Deutsch, Mathematik und irgendeine Fremdsprache:
und wieder aus reinem Egoismus, weil man damit als Deutsch- bzw. Mathelehrer bis ins Abitur Riesenkurse [und Berge an Korrekturen] hat und auch leider nicht mehr diejenigen los wird, die zu diesen Fächern einfach keinen Draht haben;
weil damit Mathematik und Deutsch völlig überbetont werden.
Dafür scheint es mir nur zwei Gründe zu geben [die natürlich nicht meine Gründe für diese Fächer sind]:
Mathematik ist so hübsch "objektiv" hammmerhart, also bestens geeignet für Sozialdarwinismus;
und für Deutsch [Rechtschreibung, Bewerbungen!] spricht nur eins: Nationalismus.
Freiheit hieße auch:
zwar auch regulärer Unterricht, aber gleichzeitig auch sehr viel mehr tutorielle Anleitung (Forschungsprojekte, Gruppenarbeiten, Facharbeiten ...),
interdisziplinäre Seminare ...
Wichtig wäre mir vor allem Diversifikation bzw. Ergänzung: Z.B. würde ich auch eine Leistungskurskombination wie Mathematik/Physik (die ich selber früher hatte) oder Englisch/Deutsch nicht zulassen, weil sie zu einseitig ist.
Es geht nicht an, dass jemand die allgemeine Hochschulreife erhält, der z.B.
in Mathematik nie die kulturell-historischen Implikationen dieses Fachs kennen lernt und sich beispielsweise um alle Kunst und Sozialwissenschaft herum drückt,
in Geschichte nicht die kulturell-historische Bedeutung etwa von Galilei, Newton und Einstein (samt deren Inhalten) kennen lernt.
Als kleine Einschränkung würde ich außerdem noch hinzufügen: keiner darf einen Leistungskurs in einem Fach wählen, in dem er vorher zwei Halbjahre nacheinander schlechter als "befriedigend" gestanden hat.
(Ihm bleiben ja noch immer andere Fächer zur Leistungskurswahl; bzw. wenn sie ihm nicht bleiben, hat er eben nichts in der Oberstufe zu suchen.)
Noch ein hübscher kleiner Hammer:
für den Abgang gelten dieselben Bedingungen wie für den Zugang: ein Abitur mit einem Schnitt unter "befriedigend" ist nicht bestanden. |
(Und nebenbei: das Fachabitur wird - wenn überhaupt noch an einem Gymnasium - nicht mehr "nachgeschmissen", sondern erhält nur, wer das Abitur nicht geschafft, aber eine einseitig gute Begabung gezeigt hat.)
Dabei meine ich den Schnitt aus allen Oberstufenhalbjahren, denn die punktuelle Abiturprüfung würde ich selbstverständlich (!) ersatzlos streichen:
und wieder ganz egoistisch, weil ich mir dann nicht mehr regelmäßig mit elendigen Abi-Vorschlägen die Weihnachtsferien versauen muss und mir dann auch kein Dezernent mehr reinquatschen kann,
, weil die Abiprüfung nicht prüft, was jemand kann, sondern nur, was er unter Stress kann.
(Ich fordere also das glatte Gegenteil von einem sowieso nur autoritären Zentralabitur, auf das zudem meist durch höchst einseitiges Pauken vorbereitet wird. Vgl. auch
Dabei bin ich ja - um realistisch zu bleiben - beim Zentralabitur, das doch
- nur eine gefährliche Pseudoobjektivierung ist [Messbarkeitswahn],
- maßlos in die pädagogische Freiheit der LehrerInnen eingreift,
- allemal die Gefahr einseitiger Ideologisierung birgt
[auch und gerade im pseudoobjektiven Fach Mathematik, wo ja standardmäßig ein höchst einseitiges Bild dessen, was Mathematik ist und sein kann, geliefert wird; vgl. ],durchaus kompromissbereit:
- die eine Hälfte der Aufgaben wird zentralisiert,
- die andere Hälfte bleibt völlig den LehrerInnen überlassen [die da schon verantwortlich auswählen werden!], also ohne jegliches, sowieso schwachsinniges Genehmigungsverfahren:
beide Elemente zusammen würden uns LehrerInneN erheblich [unsinnige!] Arbeit und ärger ersparen.)
Eine Abschaffung der Abiturprüfung hätte zudem den Vorteil, dass die SchülerInnen die vorherigen Halbjahre ernster nähmen, weil sie wüssten, dass diese massiv in die Endnote eingehen.
(Der einzige - und allemal gewichtige! - Grund für die Abiturprüfung ist, dass sie eines der letzten Initiationsrituale unserer Gesellschaft zu sein scheint:
"Mensch ist man erst mit Abitur"?
"Was uns nicht tötet, macht uns hart", und wenn man dann erstmal das Abitur [und sei's mit Ach und Krach] geschafft hat, ist man angeblich hart: dementsprechend artet es dann oftmals auch in ein richtig "männliches" Komasaufen aus.)
Weil der Schnitt sich aber aus vielen und langfristigen Einzelleistungen (bei unterschiedlichsten Lehrkräften) zusammensetzen würde, wäre natürlich mal wieder jeder Einspruch (vor Gericht) ausgeschlossen.
Ausgesprochen skeptisch bin ich zudem bei "der Vorbereitung aufs Leben"
("früh krümmt sich, was ein Häkchen wird, und was uns nicht tätet, macht uns hart"):
SchülerInnen müssten durch punktuelle Abiturprüfungen auf später
e punktuelle Prüfungen im Leben vorbereitet werden.
Die Angst in solchen später
en Prüfungen wird das auch nicht vermindern.
Das konzentrierte Lernen für Fixpunkte lässt sich in der Schule auch ohne Abiturprüfungen erreichen.
Zuguterletzt halte ich es für dringend geboten, erheblich mehr als bisher in ausnahmslos jedes Fach historische und erkenntnis- sowie wissenschaftstheoretische Überlegungen (natürlich auf Schulniveau) einzubringen.
[1] | für Menschen ohne (Sprach-)Witz = Intelligenz: Folgendes ist nicht ganz ernst gemeint -:) Manchmal träume ja sogar ich vom Credo der Reaktionäre, also sogenannten "Kopfnoten" auf den Zeugnissen, nur eben nicht in der Form
sondern folgendermaßen:
Und manchmal ist man versucht nachzutragen:
Bei einigen SchülerInneN weiß man ja schon leider im Voraus
dass sie gemeingefährlich werden, wenn sie erst mal Karriere machen, die sie eiskalt durchziehen werden. Solche SchülerInnen haben auf einem Gymnasium nichts zu suchen,
Sowas dürfe man nicht sagen, ja nicht mal denken? Ich glaube vielmehr, dass sich selbst belügt, wer sagt, er möge alle SchülerInnen gleichermaßen
Nur kann man von einem Lehrer erwarten, dass er sich bewusst ist, dass er selbstverständlich nicht alle SchülerInnen gleichermaßen mag (man ist auch nur Mensch) - und dann gerecht und offen zu sein versucht und nach der Widerlegung seiner Vorurteile regelrecht sucht bzw. sich darüber freut. |