die heilige Kuh "dreigliedriges Schulsystem"

 

Sie öffnen die Tür zum Lehrerzimmer in einem richtig schön konservativen Gymnasium und rufen hinein: "Dies hier ist ab sofort eine Gesamtschule!"
Dabei empfiehlt es sich, die Tür nur einen Spalt weit zu öffnen und sofort danach wieder zu schließen, denn Sie laufen Gefahr, dass umgehend die ersten Wurfsterne und Stilette einschlagen.

Zwar haben sich "die" Deutschen anlässlich von PISA mal wieder als ausgesprochen miesepetrig-masochistisch erwiesen, aber wie Bild im Sommer 2006, als "wir" Bild wurden, bewiesen hat, können "wir" ja auch richtig pflegeleicht mopsfidel sein.

Nur zwei Sachen finden "wir" "nicht mehr lustig":

  1. Wenn wir "Klimakatastrophe" hören, verstehen wir nur "die wollen uns unsere dicken Autos nehmen und - der Gipfel der Diktatur - eine Geschwindigkeitsbegrenzung aufs Auge drücken".

(Als wenn das Auto das einzige und größte Umweltproblem wäre.

Ansonsten: die absurde EU-Kommission in Brüssel regelt ja viel zu viel

[beispielsweise die Krümmung von Gurken],

aber ich mache doch ein Fass auf, wenn sie "uns" endlich die Entscheidung über die Geschwindigkeitsbegrenzung abnimmt, also - was kein deutscher Politiker wagen würde - 120 km/h auf Autobahnen vorschreibt.)

  1. hört der Spaß auf, wenn ein dahergelaufener (dunkelhäutiger) Puerto-Ricaner unser dreigliedriges Schulsystem kritisiert:

Mittwoch, 21. März 2007 18:00 Uhr
UNO-Sonderberichterstatter Munoz kritisiert Schulsystem in Deutschland / KMK weist Vorwürfe zurück

Das deutsche Schulsystem diskriminiert nach Ansicht von UNO- Sonderberichterstatter Munoz sozial benachteiligte, ausländische und behinderte Kinder. Munoz sagte vor dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf, die Bundesregierung solle die dreigliedrige Aufteilung überdenken, um so Ungleichheit und soziale Auslese abzuschaffen. [...] Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Zöllner, erklärte, wer glaube, die Probleme durch die Zusammenlegung von Schulformen zu lösen, der irre. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Kraus, warf Munoz Arroganz vor.
(zitiert nach Bild )

(Ich verstehe allerdings nicht ganz, wie dieser Munoz mutterseelenallein einige wenige Tage Deutschland bereisen und sich dann ein Urteil über "die" deutsche Schule erlauben kann.)

Da verfallen deutsche Kultuspolitiker nach PISA in rasant beschleunigenden Aktionismus und ändern alles und jedes, nur ans dreigliedrige Schulsystem

(Hauptschule, Realschule, [Gesamtschule], hochheiliges Gymnasium)

wollen sie

(außer - wenn auch halbherzig - ausgerechnet die CDU in Hamburg)

zum Verrecken nicht ran.

Sie haben noch immer nicht begriffen, was die erstaunlichste

(und vielleicht einzig wichtige)

Aussage von PISA war:

dass Deutschland sozial gespalten wie kaum ein anderes Industrieland ist

(und wer hat eigentlich dafür gesorgt bzw. es billigend in Kauf genommen?).


Das Hemd ist einem näher als die Hose:

  1. Wenn mein Sohn relativ "gut" in der Schule wäre, aber eben doch auf einer Schule, wo kaum einE MitSchülerIn Deutsch kann oder massive soziale Probleme hochkochen, würde ich auch versuchen, ihn auf eine "bessere" Schule zu bekommen.
  2. bin ich Lehrer an einem relativ geruhsamen Gymnasium, an dem ich mich zudem "sauwohl" fühle

(was nicht heißt, dass ich nicht auch über das eine oder andere klagen darf).

An dieser relativen Geruhsamkeit würde sich allemal gewaltig was ändern, wenn das dreigliedrige Schulsystem und damit "mein" Gymnasium abgeschafft würde.

Aber das können doch keine politischen Kriterien sein!

Das Insistieren auf dem dreigliedrigen Schulsystem

(und das heißt letztlich: auf dem Gymnasium)

ist einfach nur bürgerliches Besitzstandsdenken: "Mein Kind soll es besser haben - und nach ihm die Sintflut."

Was das Bürgertum dabei nicht bemerkt, ist, dass es sich auf die Dauer an ihm selbst rächen wird, wenn ein Teil der Gesellschaft wegbricht

(erst die Unterschicht und dann

[und da wird's dann wirklich gefährlich Bild Bild ]

sukzessive die Mittelschicht; und die Oberschicht lebt auf die Dauer in von privaten Wachdiensten abgeschotteten Luxus-Gefängnissen).

D.h.

es gibt einen gesunden langfristigen Egoismus, der dem kurzfristigen Egoismus radikal widerspricht.


Vgl. nochmals

"Sie öffnen die Tür zum Lehrerzimmer in einem richtig schön konservativen Gymnasium und rufen hinein: »Dies hier ist ab sofort eine Gesamtschule!«  ..."

Woher kommt eigentlich dieser (manchmal ja durchaus angebrachte) schlechte Ruf von Gesamtschulen?:

  1. entspringt er natürlich der Arroganz einiger GymnasiallehrerInnen alten Schlages (Philologen[!]verband), die sich etwas Besseres dünken

(und diese Arroganz teilweise auch auf ihre SchülerInnen übertragen);

  1. gab es von Anfang an einige Konstruktionsfehler von Gesamtschulen, z.B. ihre oftmals gigantische Größe - und eine grauenhafte 70er-Jahre-Architektur;
  2. und vor allem aber sind Gesamtschulen oftmals schlichtweg "Restschulen", die diejenigen sozialen Probleme ausbaden müssen, die sich die Gymnasien hübsch vom Halse halten.

(Ich habe einen Heidenrespekt vor LehrerInneN, die an solch "schwierigen" Schulen arbeiten, und zwar nicht nur arbeiten müssen, sondern es teilweise auch mit großem Engagement tun. Da mögen gewisse GymnasiallehrerInnen mal bitte hübsch stillschweigen.

Nebenbei: woher ich meine

[in der Kürze sicherlich arg pauschalen]

"Urteile" über so einige Gesamtschulen nehme?: von FreundInnEn, die dort arbeiten, und zwar sehr engagiert, aber eben doch nicht blind für die Probleme.)


Nun bin ich ja keineswegs dafür, ganz dem derzeitigen ultraschnellen Reformismustrend folgend nun holterdiepolter das dreigliedrige Schulsystem abzuschaffen. Solch eine änderung bedürfte eines gigantischen Aufwands, und die allzu schnelle Einführung von Ganztagsschulen zeigt doch inzwischen, wie übereiltes Handeln systematisch schiefgehen kann.

(Es ist eben nicht damit getan, Schulen nun einfach länger zu öffnen.

Überhaupt: warum kann die Kultuspolitik eigentlich nicht Neuheiten

[aber auf keinen Fall "evaluieren"],

Rom ist auch nicht in einer Nacht niedergebrannt worden, und Deutschland muss nicht gestern Weltspitze in PISA sein.)


"Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Zöllner, erklärte, wer glaube, die Probleme durch die Zusammenlegung von Schulformen zu lösen, der irre."

Da hat der Mann ja nicht ganz unrecht, wenn man ergänzt: "[...] die Probleme allein durch die Zusammenlegung von Schulformen zu lösen [...]".

Das ja eben ist derzeit der Grundfehler:

  1. der Glaube an Patentrezepte,
  2. die gleichzeitige Anwendung möglichst vieler Patentrezepte

(vgl. Bild ).

Es fehlen die Lust und die Phantasie zu experimentieren - und Freiheit zu ermöglichen, ja, überhaupt noch an sie zu glauben.

Und ein bisschen Demut, meine Damen und Herren!


Zweifelsohne wäre es aber der Untergang des Abendlandes oder gar des gesamten Universums, wenn man die Schule - horribile dictu - zu einer Gesamtschule "degradieren" würde, auf der ich Schüler war, nämlich - trara! -

"die älteste Schule Deutschlands",
das Altehrwürdige Humanistische Gymnasium .............