- ein einziges Schulfach, ein einziges Schulbuch

vgl. Bücher des Monats 2/2007

Fast 1300 Seiten? Das ist natürlich als Provokation gemeint! Und dennoch war nicht diese Quantität, sondern der fulminante Inhalt des Buchs eigentlicher Grund, es hier auszuwählen.

Und damit gleich der "gefährlichste" Einwand:

"Ein einziges Schulfach anhand eines einzigen, zudem fast 1300 Seiten dicken Buchs, und das zwei oder drei Jahre lang [also die ganze Oberstufe] 30 Schulstunden in der Woche? Datt hältste ja im Kopp nich aus!"


Die Idee "ein einziges Schulfach, ein einziges Schulbuch" ist natürlich "nur" zu ca. einem Neuntel ernst gemeint:

(ein Drittel mal ein Drittel gleich ein Neuntel!)

"nur" noch ein Neuntel.

Es ist für mich ja nach wie vor ein Desiderat, wie man "dickere" populärwissenschaftliche Bücher im Unterricht behandeln könnte

(und doch werde ich unten einige erste Vorschläge machen).

Ich weiß nur, dass das dringend wünschenswert ist - und habe sowieso eine Allergie gegen die üblichen Schulbücher (vgl.   ), wenn diese in letzter Zeit auch tatsächlich endlich mal ein bisschen ansprechender geworden sind.


Das Buch ist eine zwiespältige Sache:

  1. ist es mit fast 1300 (!!!) Seiten enorm (für viele unzumutbar?) dick,

  2. ist es zwar (aus meiner Sicht) sehr populärwissenschaftlich, ja sogar unterhaltsam geschrieben, aber meine Sicht ist nun wahrhaft nicht die typische Schülersicht.

Aber was heißt das schon?:

zu 1.: wenn man das Buch als einziges in der gesamten Oberstufe benutzen würde, wären 1300 Seiten so viel nun auch nicht mehr;

zu 2.:

  1. : selbstverständlich wäre es Aufgabe des Lehrers, den SchülerInnen überhaupt erst einen Zugang zu diesem Buch zu verschaffen (???);

  2. : ein echter "Anspruch" an OberstufenschülerInnen kann nun wahrhaft nicht schaden

(vgl. ):

ich möchte es den SchülerInnen zwar sehr wohl so einfach wie möglich machen, aber sicherlich nicht einfacher als im üblichen Schulunterricht:

der Unterricht mit diesem Buch, bei dem man anscheinend nichts "Richtiges" lernt, würde nämlich erheblich mehr "Selbstdenken" "f&f" (fördern & fordern)!:

jede Wette, wer "nur" dieses Buch durchgearbeitet und ansatzweise verstanden hätte, verdiente ein erstklassiges Abitur und wäre auf jedes (!) Studium bestens vorbereitet!


Nun gibt es da natürlich einen kleinen (?) Haken:

das Wissen, das Watson in diesem Buch ausbreitet

(und - mehr noch - aufarbeitet),

ist derart fulminant, dass ich mich kleinlaut, aber auch voller Bewunderung frage, wie ein Mensch es überhaupt in nur 60 Jahren schaffen kann, sich solch ein umfassendes Wissen anzueignen.

Und wenn ich schon so kleinlaut-bewundernd davor stehe, wie sollen SchülerInnen dem dann folgen können?

Nun,

  1. hat Watson das Wissen ja schon aufgearbeitet,

  2. geht es - wie bei jedem Lesen - natürlich nicht darum, das Gelesene zu "behalten", sondern vielmehr darum, an ihm "Gehirntraining" zu treiben.


Das Beste an dem Buch ist der simple Titel "Ideen": es geht Watson tatsächlich "nur" darum, welche tollen Ideen die Menschheit so alles hatte, d.h. das Buch ist eine einzige "Ideengeschichte" - und so würde ich dann auch das (einzige) Fach, in dem dieses Buch behandelt würde, mit Arbeitstitel nennen (oder doch einfacher "Ideen").

Watsons Anspruch ist typisch englisch unbescheiden

(in Deutschland würde das vor lauter Verzagtheit und Angst vor puristischen Fachwissenschaflern keiner wagen):

alle wichtigen Ideen der gesamten Menschheitsgeschichte!

Das Buch ist also

(mit besonderer Betonung der historischen Perspektive; vgl. )

so fächerübergreifend wie nur eben denkbar und ersetzt damit problemlos alle üblichen Einzelfächer

(natürlich - und auch das zeichnet Watson aus - inklusive Naturwissenschaften und Mathematik).

Das Wichtigste an der historischen Perspektive ist aber, dass die Erkenntnisse nicht mehr - wie meist im üblichen Schulunterricht - fertig vom Himmel fallen, sondern von Menschen entwickelt werden.


So utopisch meine Idee "ein einziges Schulfach, ein einziges Schulbuch" erscheinen mag, so aussichtslos ist sicherlich, was ich damit eigentlich vorhabe: ein Protest gegen

  1. eine stramme Abtrennung der Fächer voneinander

(SchülerInnen sagen ja manchmal schon von sich aus: "wir haben bei Ihnen Deutsch und möchten deshalb bittschön nicht mit Kunst oder Geschichte belatschert werden"),

  1. ein auf Uniformität

(Kernlehrpläne, zentrale Prüfungen)

abzielender "Bildungs"-Begriff, der eben gerade mit Bildung wahrhaft nichts mehr am Hut hat, ja, ihr regelrecht zuwider läuft.


Aber ich halte das Vorhaben "ein einziges Schulfach, ein einziges Schulbuch" keineswegs für so utopisch, wie es auf den ersten Blick scheinen mag

(oder höchstens für in dem Sinne utopisch, dass die unveränderbaren Lehrpläne und Prüfungsanforderungen dem natürlich völlig widersprechen).

Wie also könnte man durchaus mit diesem Buch umgehen:

  1. gibt es in dem Buch

(und sei´s aus dem simplen Grund, dass da jemand noch der Macht des Wortes vertraut)

nur sehr wenige Bilder, und das schreit doch geradezu nach ;

  1. wäre es vermutlich eine Überforderung, ja sogar eventuell kontraproduktiv, wenn alle SchülerInnen das gesamte Buch lesen sollten; aber es lässt sich ja problemlos in kleine Kapitel unterteilen, die dann von "Spezialistengruppe" abgearbeitet und hinterher vorgestellt würden;

  2. verstehen SchülerInnen bekanntermaßen kaum etwas (oder nur scheinbar), wenn sie es einfach nur "runterlesen"; d.h., obwohl Watson seine Geschichte schon so wunderbar aufgearbeitet hat, muss sie noch weiter aufgearbeitet und müssen zusätzliche Hintergründe ergänzt werden:

wenn da also z.B. eine mathematische Erkenntnis genannt wird, muss eben ein mathematischer Exkurs eingelegt werden, in dem kurzfristig mal ausschließlich "richtige" Mathematik betrieben wird

(ich hab´ was dagegen, wenn man von Einstein nur weiß, dass er als typisches Genie verschroben war, eine Mähne hatte, die Zunge rausgestreckt und "irgendwie was ganz Relatives" entdeckt hat: vielmehr sollte man auch halbwegs erahnen, was er da entdeckt hat, weshalb er also überhaupt so berühmt geworden ist);

das kann auch heißen: es gibt ein Zentralfach (einen einzigen "Leistungskurs") "Ideen", um das all die üblichen Fächer gruppiert sind, die Teilaufträge erhalten bzw. "Zuträger" des Zentralfachs sind

(ich kann mir also z.B. durchaus auch vorstellen, dass einzelne Fachlehrer in dem Zentralfach Vorträge über ihr Spezialgebiet halten und sich somit sowas wie ein "studium generale" ergäbe; mehr noch, man könnte ja ab und zu auch "aushäusige" Experten, also z.B. Universitätsprofessoren, einladen);

  1. wäre es natürlich ein Widerspruch in sich bis geradezu pervers, wenn man nur über "Ideen" lesen, aber nicht selbst welche haben würde (dürfte?). Zweifelsohne sehr anspruchsvolles, wenn nicht gar hochtrabendes Ziel des Unterrichts wäre es ja vielmehr, dass SchülerInnen sich in den vom Buch referierten fremden Ideen wiedererkennen

(wie es mir beispielsweise in zartem Schüleralter bei   gegangen ist, als ich andauernd dachte: was die Philosophiegeschichte da permanent gewälzt hat, ist mein eigenes Leben).

Angezielt würde also zumindest ein Nachentdecken

(vgl. ).

Es müsste also, wenn irgend möglich, von den SchülerInnen getan werden, was in dem Buch nur "referiert" wird. Wenn da also beispielsweise physikalische oder chemische Entdeckungen genannt werden, so wären sie in echten Experimenten "nachzuarbeiten".

Der Unterricht zu dem Buch wäre also nicht nur fächerübergreifend, sondern auch permanent projektartig.


Die Vorbereitung einer Unterrichtseinheit zu wäre eine wahrhaft herkulische Arbeit.


Und jetzt kommt der Gag: ich habe das Buch erst gestern gekauft und daher bislang überhaupt nur die ersten zehn Seiten des Buchs geschafft :-) - aber den kompletten Vorgänger (immerhin auch fast 1200 Seiten) in einem regelrechten Leseanfall mit atemloser Spannung verschlungen (vgl. Bücher des Monats 2/2007).