ich will nicht kreativ sein, sondern was lernen
Dieser Satz kam voller Empörung aus dem Munde einer SchülerIn
(nicht an "meiner" Schule),
die auch ansonsten zur Pampigkeit neigt und der eigentlich nie irgendwas recht ist.
Ziehen wir aber mal solch persönliche Eigenarten ab, so denke ich dennoch:
haben auch SchülerInnen das Recht, dass ihnen mal bei gegebenem Anlass der Kragen platzt
(immer brav oder zumindest sachlich zu bleiben, ist doch eine arge Zumutung und "verdammt friedfertig"),
werden zwar wenige SchülerInnen solch einen Satz aussprechen, aber viele - so unterstelle ich mal - ihn doch immer mal wieder denken, ja, er scheint mir zumindest für eine große Minderheit durchaus repräsentativ zu sein.
Was also mag die bewusste SchülerIn
bewogen haben, derart
(zusätzlich noch mit "Sch..." eingeleitet)
zu explodieren, was also mag der "gegebene Anlass" gewesen sein?:
ist es dem Lehrer immerhin nicht gelungen, der SchülerIn
zu vermitteln, dass kreatives Lernen auch eine Art des Lernens, ja, dass vielleicht überhaupt erst kreatives Lernen "richtiges" Lernen ist;
oder es ist ihm zumindest nicht gelungen, der SchülerIn
zu zeigen, wo beim kreativen Lernen die erkennbaren (und später
dann auch erreichten?) Ziele liegen.
wurde da aber vielleicht auch wieder mal Schindluder mit dem Begriff "Kreativität" getrieben, indem beispielsweise ausschweifendes Diskutieren als "Kreativität" ausgegeben wurde.
(Genau das hat ja mich in meiner Schulzeit bewogen, irgendwann das Fach Religion abzuwählen: weil wir da immer nur moralinsauer diskutieren mussten.
Vielleicht haben einige SchülerInnen auch längst durchschaut, dass
"Kreativität" zur Floskel verkommen ist, wenn sich etwa viele Werbefritzen "Creative" nennen,
"sei kreativ!" genauso bodenlos "double bind" ist wie "jetzt sei doch endlich mal spontan!")
Der Satz "ich will nicht kreativ sein, sondern was lernen" ist durchaus raffiniert, indem er die "Kreativität" ausgerechnet zugunsten der "vornehmste" Aufgabe des Lehrers ausspielt, nämlich zu lehren und die SchülerInnen was lernen zu lassen. Der Satz unterstellt also, dass der Lehrer soeben seine eigentliche Aufgabe vernachlässigt - und zwar zugunsten von (angeblicher) Kreativität.
Der Satz "ich will nicht kreativ sein, sondern was lernen" erinnert an eine häufig vorgebrachte Definition des (fachlich) "guten" Lehrers:
einer, der gut (verständlich, anschaulich und vielleicht auch begeistert) erklären kann.
Indirekt wird mit dieser Definition aber auch der Schüler definiert:
er "bekommt" etwas "beigebracht", ist also reiner Rezipient bzw. Konsument, aber eben nicht seinerseits aktiv oder gar kreativ.
(Hier sei mal undiskutiert,
wo die Schule selbst schuld ist, also solche Konsumhaltung überhaupt erst beigebracht hat,
und wo diese Konsumhaltung allgemeines "gesellschaftliches Phänomen" ist.
Nur soviel: Schule kann nicht
[was ja heutzutage vermehrt geschieht]
für alles haftbar gemacht werden - und nicht alles reparieren.)
Vielleicht ist es aber für viele auch schlichtweg unvorstellbar, dass Lernen überhaupt kreativ sein kann. Sondern Lernen wird als stumpfe Aneignung eines vorgegebenen Kontingents angesehen.
(Weil Unterricht ja in der Tat oftmals so aussieht, darf es kaum wundern, dass SchülerInnen sich dann nichts anderes mehr vorstellen können, ja, es - inzwischen "päpstlicher als der Papst" geworden - sogar so einfordern.)
"Stumpfheit" mag (unvermeidbar) unangenehm, kann aber auch ganz bequem sein.
Reden wir doch mal Tacheles: die Transusigkeit und das vollständige Desinteresse
einiger (?) SchülerInnen mag ja verständlich sein
(vielleicht sind wir LehrerInnen ja sogar teilweise selbst daran schuld),
aber sie können gerade einen begeisterten Lehrer doch auch in Wahnsinn & Verzweiflung treiben.
(Nebenbei:
hat man doch manchmal das Gefühl: "dein Unterricht kann noch so interessant [und pädagogisch genial] sein [und du kannst dir noch so sehr den Arsch aufreißen], einige erreichst du nie [und sei's einfach, weil sie eine erblich bedingte Allergie gegen ein Fach haben]";
sind es ja keineswegs nur "schlechte" SchülerInnen, die denken:
"ich will nicht kreativ sein, sondern was lernen",
sondern oftmals auch sogar die "guten" oder genauer unter diesen die [allein um der Noten willen?] bienenfleißigen.)
Manchmal hat man ja das Gefühl, dass gewisse SchülerInnen gar nicht denken wollen (können?), und ein Schüler hat in der Tat mal gesagt:
"Ich will gar nicht denken!"
(Ob er da wohl meinte, dass er nur nicht über Schulisches nachdenken wollte?)
Heutzutage wird viel von "Selbstlernen", "Selbstreguliertem Lernen", "Eigenverantwortlichen Lernen" etc. pp. gesprochen, und da gibt es geradezu haarspalterische Begriffsunterscheidungen. Und dann wird natürlich immer auch prompt (meist hübsch "konstruktivistisch") ergänzt, dass etwa "Selbstlernen" eigentlich eine Tautologie sei: anders als eben "selbst" könne man schließlich gar nicht lernen.
Doch, kann man sehr wohl
(man komme mir also nicht noch mal mit - hört sich immer toll an!: - konstruktivistischen Banalitäten!),
ja, solch stumpfes Lernen (und damit eine Abstumpfung der SchülerInnen) ist oftmals sogar latente Absicht! - und
"Ein Lehrer hat lieber hundert Esel als ein Genie in seiner Klasse."
(Hermann Hesse)
Immanuel Kant war da erheblich radikaler: er sprach sogar provokativ von "Selbstdenken", das eben nicht automatisch vorhanden sei:
"Es ist für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur zweiten Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar liebgewonnen und ist vor der Hand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit. Wer sie auch abwürfe, würde dennoch auch über den schmalesten Graben einen nur unsicheren Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt ist. [...] Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich. Denn da werden sich immer ein paar Selbstdenkende, sogar unter den eingesetzten Vormändern des großen Haufens, finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken, um sich verbreiten werden."
(Immanuel Kant)(Ich höre da einen ganz erheblichen Anspruch raus: nicht [nur], dass einem das Selbstdenken von anderen [den Mächtigen, "der" Gesellschaft] geraubt wurde, sondern [auch], dass man es gar nicht von Anfang an hat, sondern es sich sozusagen gegen den eigenen inneren Schweinehund erarbeiten muss.)
Was tut, wer nicht selbst denkt? Denkt er überhaupt - oder lässt er denken, d.h. übernimmt er höchstens fremde Gedanken?
Hinter der Aufforderung zum "Selbstdenken" steckt also eine geradezu bodenlose Unterstellung
(und natürlich auch grandiose Arroganz, da, wer das Denken anderer vermisst, natürlich immer meint, dass er selbst längst denkt):
"[...] er hat sein großes Gehirn nur aus Irrtum bekommen, da für ihn das Rückenmark schon völlig genügen würde. "
(Albert Einstein; und ich, H.St., bin durchaus der Meinung, dass man es manchmal so deftig sagen muss!)
Vielleicht hat sich der Schüler, der "ich will gar nicht denken" gesagt hat, nur gegen solch eine infame Unterstellung verwahrt und eine Flucht nach vorne angetreten, indem er die Unterstellung à la "Ich bin dumm? Ja, ich will dumm sein" auf die Spitze trieb
(weil der Lehrer z.B. scheinbar harmlos "jetzt denken Sie doch mal" gesagt hat).
"Der Kopf ist rund, damit die Gedanken ihre Richtung ändern können."
Man muss SchülerInnen manchmal gezielt, ja fast gewaltsam aus den eingefahrenen
(gesellschaftlich gewollten?)
Gleisen ihrer Gedanken werfen, und dafür möchte ich fast ein Schulfach "Denkgymnastik" einführen
(bzw. Elemente davon sollten vermehrt in jeden Unterricht einfließen):
"Heute machen wir 100 gedankliche Liegestützen. Also bittschön im Gleichtakt alle zusammen hoch - runter - hoch - runter ..."
(der Lehrer auch, denn wann machen LehrerInnen mal Denkgymnastik [vor], stellen also nicht Fertiges, sondern eine Auseinandersetzung mit dem Stoff bzw. ihre eigene Entdeckungsreise vor?)
Beispiele solcher "Denkgymnastik" sind:
vermehrtes Brainstorming
(man muss ununterbrochen schreiben und "geht nicht" gibt's nicht, d.h. wer immer sofort Einwände vorbringt, fliegt achtkantig raus),
(man steht ja vor den SchülerInnen leicht als Spinner da, wenn man Ungewohntes berichtet; dabei gilt längst ).