das (zunehmende) Problem "Männlichkeit"
Einige Vorbemerkungen:
es scheint fast eine Naturkonstante zu sein, dass 90 % aller Gewalt von Männern ausgeht und -ging
(und doch kommt wohl jedem halbwegs würdevoll "männlichen" [nicht mit einem "Softie" zu verwechselnden] Mann der latente Rassismus [!] zum Halse raus:
- alle Juden sind geldgierig,
- alle Deutschen sind Nazis,
- alle Männer sind Schweine [zu schnell, denken nur an "das Eine" ...]
Da wäre es sogar mal probeweise an der Zeit, den Spieß umzudrehen: dass einigen Frauen aufgrund der nach wie vor stattfindenden Erziehung zum Mauerblümchen der Mut und Spaß fehlt, mal richtig hübsch schweinisch zu sein.)
das heißt dennoch nicht, dass man (frau!) es nur noch hinnehmen oder gar flau entschuldigen sollte ("die [Männer] können nunmal nicht anders");
einer der Hauptgründe für typisch "männliches" Verhalten scheint mir weniger genetisch als - meiner bescheidenen ethnologischen "Forschung" nach -, dass "Mannsein" (anders als Frausein!) nie gesichert ist
David Gilmore: Mythos Mann; Wie Männer gemacht [!] werden; Rollen, Rituale. Leitbilder; dtv
und sich deshalb - u.a. in brutalen Initiationskulten (z.B. Autofahren) - immer neu beweisen (hergestellt werden) muss: (viele) Männer verhalten sich panisch, als stünden sie permanent am Abgrund, und machen sich deshalb permanent so wichtig;
klischeehafte männliche Härte
(also das glatte Gegenteil eines - u.a. gerade aus Anerkennung der natürlichen Schwäche - gesunden Selbstbewusstseins, das es gar nicht mehr nötig hat, über Leichen zu gehen)
entspringt - jede Wette! - einzig und allein Minderwertigkeitskomplexen, ja totaler Selbstverachtung
(Beispiel par excellence ist da Hitler, der ja gerade deshalb so gemeingefährlich war, weil er [wie auch heute alle Neonazis] ein mieser kleiner, ressentimentzerfressener Winzling war - und das ganz genau wusste, aber zum Verrecken nicht "integrieren" konnte;
vgl. auch:
,
"Von anderer Seite wird er [ein Kapitän namens Pigot, auf dessen Schiff im Jahre 1797 eine bestialische Meuterei ausbrach] als jemand geschildert, der von Selbstzweifeln derart geplagt wurde, daß sie ihn immer wieder zu Wutausbrüchen und extremen Grausamkeiten trieben. [...] man kann [...] davon ausgehen, daß Pigots Charakter von Minderwertigkeitskomplexen und ganz gewöhnlicher Niedertracht geprägt war."
[Leonard F. Guttridge]Natürlich ist jeder von uns ein ganz kleiner Wicht - und weiß es auch. Es kommt "nur" darauf an, das ins Starkschwachsein zu - pfui Spinne! - "integrieren");
ein weiterer Grund liegt vielleicht in der höchst eigenartigen Beziehung der Männer zu Frauen:
- kommen sie unzweifelhaft aus diesen (ihren Müttern),
- wollen sie doch unbedingt "Mann" statt Muttersöhnchen werden
(deshalb ja all die - notwendigen - Initiationsriten),- sind sie zu Tode fasziniert und irritiert von Frauen
(weit mehr als nur deren äußerem).
möchte ich, wenn's im Folgenden kritisch um die Erziehung zu Männlichkeit heute geht, unter keinen Umständen in Nostalgie verfallen: so hübsch war "unsere" männliche Sozialisation früher nun auch wieder nicht, ja manchmal scheint mir, dass heute nur zu viel ist (u.a. öffentlich sichtbare Sexualität), was früher zu wenig war (und umgekehrt): während wir früher verdursteten, ertrinken junge Männer heutzutage.
"Wir" hatten vielleicht das Glück, nicht dermaßen machohaft wie heute erzogen worden zu sein. Aber "wir" haben - so ganz nebenher - eben auch subkutan "beigebracht" bekommen, was es heißt, so "richtig" (intellektuell gewendet) Mann zu sein: workaholic bis zum Geht-nicht-Mehr, immer der Beste (?) und zum Kampf bereit.
Mir liegt der wahrhaft miese Trick fern, jetzt die (männlichen) Täter zu Opfern zu stilisieren
(wie es beispielsweise Wieck hintenrum in seinem seinerzeitigen Bestseller "Männer lassen lieben" gemacht hat).
Das beraubt mich aber nicht der Möglichkeit, eine Banalität festzustellen: es gibt auch arg bescheuerte Frauen bzw. solche, die es sich schon selbst - je nachdem - sehr leicht oder sehr schwer machen:
"Mannwerden" früher und heute sind sich ziemlich gleich, die allermeisten "Durchschnittsjungen" heute haben dieselben Ängste, Sehnsüchte ... wie "wir" damals;
es gab und gibt nicht nur "Probleme"
(Pubertät ist nicht nur eine äußerst schmerzhafte, wenn auch zu 100% heilbare Krankheit).Um weder in falsche Schuldzuschreibung noch in Selbstmitleid und überproblematisierung zu verfallen, gibt es nichts Besseres als da hübsch humor- und liebevoll geschriebene Buch
von Dieter Schnack und Rainer Neutzling;
Hier ist nicht der Platz zu klären, was "Männlichkeit" und "Weiblichkeit" (wenn man mal über die "sekundären Geschlechtsmerkmale" hinausgeht) eigentlich sind oder auch sein könnten:
ich bin da im besten Fall auch nur FachMANN, d.h. meine Perspektive ist und bleibt beschränkt, ja wir alle werden da - nach wie vor so mitten im Geschehen - niemals altersweise
(wir [LehrerInnen] können Jugendlichen also vielleicht Erfahrungen, aber sicherlich keine [moralischen] Weisheiten mitteilen;
und außerdem gilt: "Schuster, bleib bei deinen Leisten": ich habe als Mann wohl eher Einblick in Männererziehung, d.h. kann vermutlich als Lehrer eher Jungen als Mädchen "beistehen", womit ja vielleicht auch die Mädchen die Jungen besser verstehen; wie gut ist es aber doch ansonsten, dass der Unterricht auch von LehrerInnenseite koedukativ ist!);keine Ahnung, was da angeboren und was anerzogen ist: ich neige in der Regel zu "anerzogen", denn "angeboren" (genetisch) ist - auch und gerade in unserer heutigen billig genetisch-mechanistischen Zeit - allzu oft nur billige ideologische Zementierung der Zustände, ja sexistisch-rassistisch;
und dennoch gibt es im Schnitt markante, irritierende und faszinierende Unterschiede, die von der reinen "Anerzogen-Position" nur moralinsauer und völlig unbiologisch geleugnet werden, was fatale Folgen hat, weil sie Männer und Frauen mit der Faszination und Irritation völlig allein lässt
(und damit nur die [heutige] Reaktion päppelt).
ist ach so typisch "männliches" Verhalten zwar manchmal wirklich beängstigend
(wenn mehr als zwei [also bollernde und grölende, sich zum Hahnenkampf aufplusternde] Männer versammelt sind [egal ob Fußballfans oder Manager], steigt auch in mir Beklemmung auf),
aber meistens ist es doch einfach nur schier zum Totlachen:
Erste Allgemeine Verunsicherung: Copacabana
[und "Bodybuilding" ist da nur eine Metapher für alles klischeehaft "männliche" Verhalten]Ich bin eine Mischung, die ist ziemlich lecker
Aus Albert Einstein und Arnold Schwarzenegger.
So weit, so gut, doch das Dumme ist nur
Ich hab Schwarzeneggers Hirn und von Einstein die Figur.
Ich lieb die längste Zeit schon die schöne Hilda
Doch ihr Herzblut schreit nach einem Bodybuilder!
Ihr zuliebe kauf ich mir einen Expander.
Doch der druckt mich zsamm, statt ich ihn auseinander.
Da hilft kein Spinat und auch keine Polenta
Darum eile ich ins nächste Fitnesscenter.
Doch vor dem Eingangstor, da steht ein Sportlerchor
Und fünf Mörderhenker singen mir ins Ohr:A uga aga uga, a uga aga uga
An der Copacabana und am Wörthersee
Starke Männer sind nie passé.
An der Copacabana und am Schotterteich
Bei Muskeln werden alle Mädchen weich.
Weil Marmor, Stein und Eisen schmilzt
A wenn du deinen Body buildst.Die Fitness-Folterkammer ist ein Gruselkabinett
Da quält sich die Elite, bis daß ihr die Luft ausgeht.
Mr. Oberschenkel, der aussieht wie Godzilla
Die Anzahl der Gewichte fürbt sein Antlitz lila.
Bei 180 Kilo macht er einen Röhrer
Und er läßt einen fahren wie Conan der Zerstörer.
Nach zwei harten Jahren ist es dann geschafft
Ich kann kaum noch gehen vor lauter Kraft.
Wenn ich meine Muskeln auf den Buckel schupf
Schau ich aus wie ein geälter Gugelhupf.
[...]A uga aga uga, a uga aga uga [...]
Leider bemerken Frauen
(unter denen es natürlich auch eine ganze Menge Dumme gibt)
oftmals nicht, dass sie da nur Riesenbabys vor sich haben, die verzweifelt einen Affen aus ihrem bisschen "Männlichkeit" machen.
Nur drei Beispiele:
ist es nicht wirklich urkomisch-erbärmlich, wie Männer mit ihrem besten Stück , also dem Auto umgehen?!
und mindestens ebenso urkomisch sind die Wortgefechte zwischen Männern, in denen es überhaupt nur darum geht, sich gegenseitig zu übertrumpfen, in denen aber eine Verständigung bzw. ein Austausch gerade nicht gewollt ist
(ich kann da mitreden, ich bin auch ein Mann; und umgekehrt wird man[n] genussvoll feststellen dürfen, dass "die" typische weibliche Kommunikation aus männlicher Sicht oftmals nervtötend redundant ist: ein ewiges Kreisen um immer dasselbe, obwohl doch alles längst gesagt ist [scheint?];
ach ja, "die Wahrheit liegt [vermutlich mal wieder] in der Mitte", nur ist die Mitte eben nie der einfach zu erreichende, flaue Kompromiss);
sind nicht alle Jungen "so (machohaft):
im Grunde ist kaum einer so, aber alle werden gezwungen, so zu tun
(und zerbrechen bzw. verstummen dann an der Diskrepanz zwischen Innen- und Außenbild bzw. Wahrheit und Schein);viele sind eher sanfter bzw. fast "mädchenhafter" (???) - und stehen dann unter enormem Druck.
Und doch kann man ihnen die Initiationskulte nicht ersparen.
"was bin ich froh, dass ich [heutzutage] kein Junge bin,
denn jung[e] sein ist ne Qußlerei"
(frei nach Marius Müller-Westernhagen)
Man schaue nur mal sich die Ergebnisse von genauer an
(die derzeit ja systematisch falsch interpretiert werden und für grundfalsche [Schnellschuss-]Konsequenzen herhalten müssen):
- sozial Deklassierte,
- Ausländer
(u.a. eben, weil sie die Drecksarbeit machen müssen, also deklassiert sind),- männliche Jugendliche.
Nur wen wundert letzteres beim mehr denn je gehirn- und emotionskastrierten Machokult, dem männliche Jugendliche wahrhaft gnadenlos ausgesetzt sind?:
(Wo eigentlich wird überzeugend gezeigt, dass dieser Pseudomensch ein ganz armer, erbärmlicher Wicht ist, der sich andauernd vor Angst und Selbstverachtung in die Hosen macht? Deshalb ja doch die Lederwindeln!
Oder genauer: dass seine Macher solche armen Wichte sind - oder aber den Zuschauer dafür halten.
Und nebenbei: Leute, die in geschlossenen Räumen oder ohne Sonne Sonnenbrillen tragen, sind "mysteriöse" Wichtigtuer, haben's also nötig, sind also Winzlinge.)
Man schaue sich doch nur beispielsweise an:
derzeitige Musikvideos:
die Mädchen sind die "sexy Sadies" (Nina Hagen) mit piepsigen Stimmchen
(je knapper das Höschen, desto besser; und die Mädchen werden magersächtig dran)
und die "Männer" knallhart und ultracool im "schwärzesten Rapper-Bass"
(der Hosenboden irgendwo zwischen den Kniekehlen,
weil ihnen das Herz in die Hose gerutscht ist,
so dass sie kaum mehr gehen können.
Und doch, ganz neu ist das nicht, sondern "sex & drugs & rock'n'roll" war schon immer das Vorrecht der Jugend: im tiefsten Bass "she's crazy like a fool" und dann piepsig "bye, bye, daddy cool" [schon damals der finale Rettungsschuss der Popmusik]).
Vor allem aber falle man nicht auf die "Verpackung" rein: alte Leute wie wir werden nie
- die jeweilige Jugendmode
- und den jeweiligen Jugendjargon
verstehen: ein Junge mit tiefgehängter Hose ("Monatsklo") und Pomaden-Stachel-Skinheadfrisur mag martialisch wirken - und ist vermutlich doch nur ein lieber Kerl.
(1977 waren die meisten Punks auch nur Part-Time-Punks am Wochenende und [das muss so sein!] Verbalanarchisten.)
das gängige, durch die Bank splitterfaserdumme Fernseh- und Kinoprogramm und vor allem sein Männerbild;
eine erstbeste Mittelstufenklasse, die (z.B. im Sportunterricht) nur aus Jungen zusammengesetzt ist: ein einziges Gerempel und Gehaue, und sprachlich bleibt's vollständig bei "Arschloch", "schwule Sau"
(die Standardbeleidigung durch jene, die - ja eben, weil sie meist gar keine Schwulen kennen - allzu offensichtlich noch nicht mit ihrer eigenen Geschlechtsrolle zurecht kommen: was man ja zumindest Jugendlichen kaum zum Vorwurf machen kann),
"Wichser", "Asi", also insgesamt beim Gorillaton "A uga aga uga, a uga aga uga".
So sehr mir das manchmal auf die Nerven geht, so sehr habe ich letztlich doch nur tiefes Mitleid mit diesen Jungen, die keinerlei Chance haben, mal normal (also auch mal kindlich, verspielt, schwach, unsicher, aber auch wahrhaft begeistert ...) zu sein, ja überhaupt mal ein "echtes" Gefühl zu zeigen. Nein, sie ersticken reihenweise an sich selbst (und meinen ausnahmslos in ihrem Inneren: "alle anderen sind stark - nur ich nicht").
Zwischen
ihrer eigenen, ganz normalen Schwäche einerseits
und dem Terminator andererseits:
Niemandsland, Sahelzone, Todesstreifen.
Und jeder ist geliefert (wird gleich von der dummen Masse als Streber denunziert), der für irgendwas (außerhalb der reinen Jugendkultur) echtes Interesse und Engagement zeigt.
Bei der zunehmenden "Verbunkung" männlicher Jugendlicher (d.h. dem Kult der Gehirnamputiertheit und des Machogehabes) gibt's, so scheint mir, wirklich Anlass zur Sorge. Nichts ist unter männlichen Jugendlichen derzeit "uncooler" als Denk- und DifferenzierungsFähigkeit, und es kann einem tatsächlich angst und bange werden, wenn mehr als zwei versammelt sind
("dann bin ich nicht mehr unter ihnen"),
die dann rumbollern, sich permanent gegenseitig in Gossensprache anpesten und Frauen als Freiwild betrachten. Das war teilweise immer so, aber das scheint mir derzeit erheblich schlimmer zu werden.
Passt auf die männliche Erziehung, passt auf das Bild von Männlichkeit auf! |
Die Jungen zerreißen sich zwischen "Terminator" einerseits und "Weichei/Softie" andererseits, und nirgends wird ihnen eine ebenso lebbare wie attraktive Alternative sowie ein "hard target" für ihre überbordenden Energien geboten:
meist sind die gebotenen Ziele windelweich (gute Schulnoten, Angeln für Neonazis),
und den Jungen bleibt nur
(Und jetzt rede ich bewusst mal nicht von dem, was auch wichtig ist: Herausforderungen, Ansprüche.)
Wo erfahren Jugendliche, dass ein Hobby eine Erfüllung, Aufgabe und Selbstverpflichtung ist?
Wo - nur als Beispiel - kommt ansteckend rüber, dass das eine lohnende Aufgabe und pars pro toto keineswegs Schnee von gestern, sondern nach wie vor (ja vielleicht mehr denn je) geistige Avantgarde ist - und Auswege aus der seelischen Kastration bietet?:
Wo eigentlich steht genau, was ich nur sinngemäß in Erinnerung habe: dass Goethe nachträglich bitter bedauert hat, dass ihm in seiner Jugend nie jemand gesagt habe, worauf es im Leben ankomme: etwas ("Sinnvolles") zu tun
(... wobei hier offen bleiben muss, was "Sinnvolles" ist; sicherlich nicht einseitig "Verwertbares", aber schon gar nicht Rumhängen oder Vandalismus, die beide letztlich nur Masochismus sind;
und vielleicht muss eben doch jeder selbst für sich solch eine Aufgabe entdecken, und reicht es nicht, wenn ein anderer das einem "sagt").
Und keiner redet ja auch
(ohne nun aus dem privaten Nähkästchen zu plaudern, was SchülerInnen einen feuchten Kehricht angeht)
offen über das, was Jungen nunmal brennend interessiert:
"Als sie kam, ja da hatte sie viel
von dem gewissen Wickel-Wackel-Sexappeal,
und ihr Hüftendrehn
war so fotogen,
ja da wurde ich gern ihr Mäzen.
He, da kommt sie,
olé, da geht sie
schon wieder die Straße entlang,
oh, sie swingt so schön,
so im Vorübergehn,
das Mädchen mit dem aufregenden Gang."
Wo erleben SchülerInnen denn in sexueller Hinsicht ein tertium comparationis zu
Verklemmtheit bzw. einerseits
und Pornografie andererseits?
(und wo erfahren Jungen die Attraktivität einer emanzipierten, selbstständigen Frau?)
... wobei triefend sentimental-verklemmt-verlogen-geschniegelte Babyfilme wie vielleicht sogar gefährlicher sind als Pornos - und dummdreiste Nachmittags"hinrichtungs"talkshows gefährlicher als Baller- und Horrorfilme.
Wo erhalten Jugendliche einen "Begriff" von Erotik, der nicht (wie üblich) ein Euphemismus für Pornografie ist (und letztlich auch nur von Verklemmtheit und schlechtem Gewissen zeugt), sondern umfassend:
Erotik,
weit [!] gefasster Begriff, der im weitesten [!] Sinne alle körperlichen und seelisch-geistigen Erscheinungsformen der Liebe bezeichnet, soweit sie die geschlechtliche Anziehung und die sinnliche Lust einbeziehen [...] Erotik bedeutet auch Liebeskunst, und zwar als individuelles, sozusagen verfeinertes geschlechtliches Triebverhalten und als spielerische, bildliche oder symbolische Umsetzung von Sexualität in Sitten, Mode, Werbung, Kunst und Literatur.
(Brockhaus multimedial 2002)
Man nenne mir doch nur mal einen einzigen Film, in dem zwei Menschen es "wüst" und in allen Details miteinander "treiben", weil sie sich lieben (was dennoch - um nicht moralinsauer zu werden - ja nicht notwendige Voraussetzung ist). Aber vermutlich wäre das ja tatsächlich viel zu privat, als dass man es noch verfilmen könnte und überhaupt einen Außenstehenden angehen dürfte.
Und nebenbei: man nenne mir einen einzigen Film (außer „Maria und Josef“/„Je vouz salue, Marie“ von Godard), in dem Nacktheit bewundert statt ausgestellt wird
(was ja nicht heißt, dass ich das nackte Begehren verbieten und die brachiale Urgewalt der Sexualität leugnen wollte;
ebenso: man nenne mir einen einzigen [Hollywood-]Film, in dem Männlein und Weiblein sich über Sprache entdecken: "sie liest auch »meine« Bücher, sie hat interessante [andere] Ansichten, sie lächelt über dasselbe [nicht]".)
Wo denn wird im Unterricht mal die Schönheit menschlicher Körper eingestanden, ja sogar bejubelt
(statt, wenn überhaupt,
nur "künstlerisch sublimiert",
im Sexualkundeunterricht rein "technisch" betrachtet - worüber wir den SchülerInnen eh nix mehr erzählen können,
historisch wegrelativiert
["Rubens »stand« aber auf »dicke Weiber« ],als sexistisch verschrien
[solange nicht im Proporz prompt auch ein nackter Mann gezeigt wird]oder zugunsten der "inneren Werte" abgewertet oder verschwiegen?)
Warum überlässt man Verständnis für dahingehende Wünsche, Sorgen und Ängste rundweg zynischen Dreckschleudern?
Wo lernen Jugendliche, dass alles erlaubt ist - wenn beide es wollen und ("zwei Seelen, ach, in meiner Brust") sich halbwegs sicher sind, dass es ihnen gut tut (und wenn sie Verantwortung für ein eventuelles "Kind der Liebe" übernehmen wollen und können)?
Warum also nicht mal in aller Schönheit und Deftigkeit mitten im schönsten Oberstufenunterricht?:
Laß dich, Geliebte, nicht reun, daß du mir so schnell dich ergeben!
Glaub es, ich denke nicht frech, denke nicht niedrig von dir.
Vielfach wirken die Pfeile des Amor: einige ritzen,
Und vom schleichenden Gift kranket auf Jahre das Herz.
Aber mächtig befiedert, mit frisch geschliffener Schärfe,
Dringen die andern ins Mark, zünden behende das Blut.
In der heroischen Zeit, da Götter und Göttinnen liebten,
Folgte Begierde dem Blick, folgte Genuß der Begier.
[...]Froh empfind ich mich nun auf klassischem Boden begeistert;
Vor- und Mitwelt spricht lauter und reizender mir.
Hier befolg ich den Rat, durchblättre die Werke der Alten
Mit geschäftiger Hand, täglich mit neuem Genuß.
Aber die Nächte hindurch hält Amor mich anders beschäftigt;
Werd ich auch halb nur gelehrt, bin ich doch doppelt beglückt.
Und belehr ich mich nicht, indem ich des lieblichen Busens
Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab?
Dann versteh ich den Marmor erst recht; ich denk und vergleiche,
Sehe mit fühlendem Aug, fühle mit sehender Hand.
Raubt die Liebste denn gleich mir einige Stunden des Tages,
Gibt sie Stunden der Nacht mir zur Entschädigung hin.
Wird doch nicht immer geküßt, es wird vernünftig gesprochen;
überfällt sie der Schlaf, lieg ich und denke mir viel.
Oftmals hab ich auch schon in ihren Armen gedichtet
Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand
Ihr auf den Rücken gezählt. Sie atmet in lieblichem Schlummer,
Und es durchglühet ihr Hauch mir bis ins Tiefste die Brust.
[...]
Najaden und Dryaden standen einst Priapus zu Gebot,
und wenn ihn früher ein Gelüst befiel, so stillte er es schnell.
Doch jetzt ist alles anders, jetzt juckt oft mich ganz umsonst das Fell;
mir scheint, die Nymphen sind jetzt ausgestorben, samt und sonders tot.
Und wenns auch schimpflich ist, ich lege, daß ich nicht gar platzen muß,
entschlossen meine Sichel weg und schaff mir mit der Hand Genuß!(unglaublich!?, aber alle drei Gedichte sind von? -
!!!)
Muss man sowas systematisch ausklammern (wie es ja durch die Bank geschieht), nur weil irgendein Schwachkopf garantiert (über sich selbst!) "frech" und "niedrig" denkt, nur noch sowas sieht und dann seine einseitige Denkungsart auch allen anderen (dem Lehrer) unterstellt?
Wo aber lernen Jugendliche auch, dass hinter dem meisten Begehren nur Sehnsucht nach Verständnis und Zörtlichkeit steckt - und die meiste Gewalt nur eine panisch-perverse Wendung solch enttäuschter bzw. nie gewagter Sehnsucht ist?
Aber es wäre natürlich auch falsch gedacht, Jugendlichen eigene Erfahrungen abnehmen / ersparen / vorenthalten zu wollen / können / dürfen.
Is mir irgendwie echt total peinlich, dass inzwischen (5.8.02) auch schon der "Focus" titelt:
(und kurz drauf auch )
Wobei die Focus-Redakteure mit "Das benachteiligte Geschlecht" sowie "Arme Jungs!" sicherlich - schnief! - vor allem sich selbst meinen.
Auf die Idee, dass die Männlichkeitsprobleme u.a. genau durch das zynische gesellschaftliche Klima und eben auch Männlichkeitsbild entstehen, die er selbst am lautesten propagieren, kann der "Focus" natürlich nicht kommen.
In einem hat der "Focus" aber durchaus recht
(allerdings darf das nur sagen, wer die Erziehung mitbedenkt, statt ausschließlich genetisch zu argumentieren):
wo werden denn dem spezifisch männlichen "Handlungsdrang"
mal "Ventile" geboten? Nein, ihnen wird "Mädchen(???)verhalten", also Stille und zurückhaltung als vorbildlich dargestellt - und letztlich rabiat abgefordert. |
Bzw. ganz nach Michel Foucaults "überwachen und Strafen" wird heutzutage jugendlicher übermut (bei dem aus Spiel schnell fataler Ernst wird) oft auf fürs Selbstbewusstsein tödliche Weise kriminalisiert und - z.B. als Hyperaktivität - psychologisiert und dann auch medikamentiert (Hartmut von Hentig: "Therapismus"), was früher mit einer schnellen Reaktion (Strafe) auch abgehakt war.