der (M)Arsch durch die Institutionen
They sentenced me to twenty years of boredom
For trying to change the system from within
I'm coming now, I'm coming to reward them
First we take Manhattan, then we take Berlin
***
Damit von Anfang an keine Missverständnisse aufkommen:
wir Post-68er haben "den" 68ern unendlich viel zu verdanken!
jeder, der im System arbeitet, ist auf
dem "Marsch durch die Institutionen",
und der ist immer eine Gratwanderung zwischen
"ich muss notgedrungen die eine oder andere Kröte schlucken und mir die
Finger schmutzig machen"
und
"hier verbiege ich mich so sehr, dass ich zerbreche".
***
(Welt am Sonntag, 3.11.13;
wobei es mir hier nicht um Yogeshwar,
sondern um
den "kritischen Opportunisten" geht:
eine Diagnose, die man allzu gerne anderen ausstellt
und doch besser probeweise mal auf sich selbst beziehen sollte)
"Der Marsch durch
die Institutionen ist eine 1967 von Rudi Dutschke verbreitete Parole [...] Diese
Parole steht zugleich als Schlagwort für den Höhepunkt der Studentenbewegung der
1960er Jahre, der mit dem Beginn des Zersplitterungs- und Auflösungsprozesses
der Bewegung bzw. deren führender Organisation, dem Sozialistischen Deutschen
Studentenbund (SDS), einherging.
Die Formulierung erinnerte an den Langen Marsch von Mao Zedong. Inhaltlich
markiert sie den Übergang von einer reinen Studentenbewegung zur
Außerparlamentarischen Opposition der Jahre 1966 bis 1969.
In späteren Jahren und bis heute bezeichnet die Begrifflichkeit Marsch durch die
Institutionen die Annahme, dass die sogenannte „68er-Bewegung“, eine Mischung
aus Studentenbewegung, Außerparlamentarischer Opposition und den verschiedenen
politischen und sozialen Bewegungen der 1970er Jahre [...], es durch gezielte
und koordinierte Anstrengungen erreicht habe, zentrale Machtpositionen in
Politik und Gesellschaft zu besetzen und dadurch eine gesamtgesellschaftliche
„Diskurshoheit“ zu erringen [...]
Heute würden
Permanenzrevolutionäre, nicht Wortschwätzer (die Revolutionsdiskussion ist
inzwischen von uns als Ersatz für die praktische Arbeit entlarvt worden), die in
den Fabriken, in den landwirtschaftlichen Großbetrieben, in der Bundeswehr, in
der staatlichen Bürokratie systematisch den Laden durcheinanderbringen, von
allen Lohnabhängigen vollkommen akzeptiert werden… Den ,Laden in Unordnung
bringen’ heißt nur, die Lohnabhängigen und andere mehr unterstützen, bei ihnen
lernen, neue revolutionäre Fraktionen herauszubrechen. Die
Permanenzrevolutionäre können immer wieder hinausgeworfen werden, immer wieder
in neue Institutionen eindringen: Das ist der lange Marsch durch die
Institutionen.«
[Rudi Dutschke, dessen Jargon inzwischen ja teilweise doch lächerlich wirkt]
[...]
Es geht also beim Marsch durch die Institutionen eher um eine Zerstörung der
Institutionen von innen (Anti-Institutionalismus) als um eine Machtergreifung
einer »Linken«."
(Quelle:
)
Wir befinden uns derzeit in einem für mich höchst interessanten Übergang: "die" 68er, die altersgemäß einige Jahre lang die Machtpositionen besetzt hatten, treten langsam ab (werden pensioniert), und es folgt "meine" Generation
(die Erkenntnis, dass "meine" Generation inzwischen die Macht übernimmt, hat mich eiskalt erwischt, als mir klar wurde, dass beispielsweise der mit mir gleichaltrige Christian Wulf schon lange Zeit Ministerpräsident von Niedersachsen war und dann sogar Bundespräsident wurde [und inzwischen schon Frührentner ist]; und mit Wulf ist bzw. war die gesamte mit mir gleichaltrige Anden-Seilschaft an der Macht, was nur mal wieder beweist, dass eine bzw. »my« Generation auch nicht besser als die jeweils vorherige ist).
Sind es überhaupt "die" 68er, die derzeit gerade noch an der Macht sind, und was ist aus ihrem angeblichen "Marsch durch die Institutionen" geworden?:
Haben sie es tatsächlich (s.o.) "durch gezielte und koordinierte Anstrengungen erreicht [...], zentrale Machtpositionen in Politik und Gesellschaft zu besetzen und dadurch eine gesamtgesellschaftliche »Diskurshoheit« [eines Diskurses im damaligen Sinn] zu erringen"?
Haben sie tatsächlich »[...] den Laden durcheinander[gebracht] [...]«?
Haben sie "[...] beim Marsch durch die Institutionen eher [...] eine Zerstörung der Institutionen von innen (Anti-Institutionalismus) als [...] eine Machtergreifung einer »Linken« [...] erreicht [...]" - und waren sie, erstmal an der Macht, überhaupt noch (im anfänglichen Sinn) links?
Ist überhaupt jemand den Weg der "Permanenzrevolution" im Sinne von Dutschkes Definition
"Permanenzrevolutionäre können immer wieder hinausgeworfen werden, immer wieder in neue Institutionen eindringen: Das ist der lange Marsch durch die Institutionen.“
gegangen?
War der "Marsch durch die Institutionen" (wie Dutschke ihn definiert hat) jemals gangbar, also realistisch? Und wenn "nein": waren die reaktionären Kräfte allzu stark - und/oder war dem Einzelnen/Vereinzelten das höchst unsichere Leben eines "Permanenzrevolutionärs" überhaupt zumutbar?
Kam Dutschke die Idee vom "Marsch durch die Institutionen" überhaupt erst, als er das (tatsächliche oder vermeintliche) Scheitern oder Gar-nicht-erst-Beginnen der Revolution und das Auseinanderbrechen "seiner" Bewegung erkannte?
(Vgl. "[...] Beginn des Zersplitterungs- und Auflösungsprozesses der Bewegung bzw. deren führender Organisation, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) [...]".)
Wohnte also dem "Marsch durch die Institutionen" von Anfang an Resignation inne, war er der letzte ideologische Rettungsanker
(etwa so, wie der Papst erst in dem Augenblick unfehlbar genannt wurde, als er das offensichtlich nicht mehr war) ?
Bedeutet "Marsch durch die Institutionen" also letztlich (fast schon beleidigt:)
"macht euren Scheiß doch alleine, wo's schon nicht zusammen geklappt hat"?
Und wurde damit das Individuum wieder hübsch atomisiert und in (a priori unerträgliche) Einzelhaft genommen?
Nunja, im Nachhinein ist man immer schlauer und hat man gut
reden: "das hättetete ich dir auch vorher sagen können".
Weil die meisten Fragen schon rhetorisch waren, hier nur noch einige
Restantworten:
Zu 1., also "Sind es überhaupt »die« 68er, die derzeit
gerade noch an der Macht sind?":
Der (zwischenzeitlich) große Erfolg der Anden-connection zeigt ja wohl eher,
dass eben gerade "die andere Hälfte" Erfolg hatte, nämlich jene,
die nur (arg späte) Zeitgenossen von "68" waren und sich geradezu
als Gegenbewegung zu "68" definierten
(jene pickligen Jüngelchen à la , deren JU-Mitgliedschaft während meiner Studienzeit als Maximum des Uncool-Seins galt; das erste CDU-Mitglied habe ich überhaupt erst mit ca. 45 kennengelernt) .
Zu 2., also
"Haben sie es tatsächlich »durch gezielte und koordinierte Anstrengungen erreicht [...], zentrale Machtpositionen in Politik und Gesellschaft zu besetzen und dadurch eine gesamtgesellschaftliche »Diskurshoheit« [eines Diskurses im damaligen Sinn] zu erringen«?:
das wird im Wikipedia-Artikel ja geradezu als anerkannte Tatsache ausgegeben und gilt nach Meinung der Rechten insbesondere für den (öffentlich-rechtlichen) Medienbereich
(weshalb die Rechten öffentlich-rechtliche Sender regelmäßig zu entschärfen versuchen - und am liebsten sowieso ganz dicht machen würden) .
Und da ist ja im Bereich der "Kulturhoheit" durchaus was dran: es hat noch nie Intellektuelle und Künstler gegeben, die nicht "irgendwie" links waren (also sozial dachten), und die CDU und die FDP tragen beide den Ehrentitel "Partei ohne Intellektuelle (Spinner?)"
(etwa so, wie in der katholischen Kirche seit 150 Jahren kein einziger Intellektueller mehr gesichtet ward, man sie also als D[er]D[umme]R[est] bezeichnen könnte; allerdings machen Atheismus und billige Kirchenkritik auch nicht automatisch intelligent) .
Viele Leute, die durchaus bei den (Post-)68ern mitgemischt haben, waren aber geborene "gewendete Hemden", da sie
entweder
(wie z.B. viele Mitglieder des MSB-Spartakus)
genauso fundamentalistisch wie ihre rechten Gegner
oder immer schon Mitläufer waren: als man noch "links" trug, waren sie natürlich auch links, und als sich dann der Wind drehte, brauchten sie nichtmal aktiv ihr Fähnchen nach dem Wind zu drehen; d.h. sie empfinden ihr Leben durchaus (gemessen am mainstream) als bruchlos und müssen sich deshalb auch niemals Fehler eingestehen. Oder sie können
(wie jene heutige Gattin eines CDU-Bürgermeisters im tiefsten Münsterland, die früher mal bei einer Hausbesetzung Steine auf Polizisten geworfen hat)
ihr früheres Leben problemlos abspalten.
Im Grunde waren sie früher nur Radieschenkommunisten,
die bei modischer Randale mitgemacht, aber z.B. "Das Kapital" von Marx nie
(ganz) gelesen geschweigedenn begriffen haben.
Und das sind dann die (Ex-)68er, die problemlos Karriere gemacht haben
(Musterbeispiel Joschka Fischer)
und heutzutage beispielsweise in der Kultusbürokratie den Kindern genau das antun, was "die" 68er noch unbedingt verhindern wollten:
keine Generation hat der nachfolgenden derart übel in den Kaffee gespuckt, wie die Con-68er, als sie erstmal an der Macht waren, es seit PISA in der Schulpolitik getan haben.
Mein ehemaliger Babysitter,
der inzwischen (über 80 geworden) "auch schon tot" ist,
sagte mal bitter zu mir,
der größte Fehler seines Lebens sei es gewesen,
erst Schulleiter geworden
und dann endgültig in die Kultusbürokratie entfleucht zu sein.
Ich kenne so einige Leute, die sagen:
"Bevor die offensichtlich vielen Kretins die Kultusbürokratie beherrschen, tu ich's doch lieber selber
(sprich: »man muss auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen«)
und starte ich meinen individuellen »Marsch durch die Institutionen«."
Ich behaupte aber, dass es überhaupt nur zwei mögliche Wege innerhalb der kultusbürokratischen Institutionen gibt:
entweder wird man (wie mein ehemaliger Babysitter) in diesen Institutionen todunglücklich, weil man
von den Kretins permanent gezwungen wird, gegen die eigenen Ideale zu verstoßen,
schnell resigniert bemerkt, dass man (fast) nichts von den eigenen Vorstellungen einbringen kann,
oder man bemerkt schnell, dass man nicht auf die Dauer "dagegen" sein kann, und sieht sich zum eigenen Seelenheil (zur Selbstlegitimation) mehr und mehr zur "Identifikation mit dem Aggressor" gezwungen.
Überhaupt kann in den Institutionen nur mitmischen, wer sie (bei all ihren Fehlern) im Prinzip für notwendig hält
(z.B. weil [nur] sie angeblich für Vergleichbarkeit und "Qualität" sorgen) .
So tief kann ich aber doch gar nicht sinken, die Kultusbürokratie für ein
(im schlimmsten Fall)
notwendiges Übel zu halten. Vielmehr bin ich fest überzeugt, dass die Kultusbürokratie
das Grundübel aller Schulpolitik, also
eben gerade die Krankheit, die zu heilen sie vorgibt,
ist.
Als Lehrer kann man nur außerhalb der Schulbürokratie seinen aufrechten
Gang behalten, oder anders gesagt: falle auf keinen Fall durch Karriere
auf!
PS: Ausnahmen bestätigen die Regel.