mündliche statt schriftliche Prüfungen!

Das Thema "Prüfungen" wird mir seit "PISA" viel zu hoch gehängt: zugunsten vermeintlicher Objektivität und Vergleichbarkeit gibt es inzwischen

(derzeit noch in den einzelnen Bundesländern, demnächst bundes-, danach wohl europa- und zuguterletzt weltweit)

Zentralabitur

allüberall und jederzeit zentrale Prüfungen.

Diese Prüferitis hat drei Effekte:

  1. , dass die Abiturzensuren immer besser werden: heute ist ja eine 1 vor dem Komma schon fast Standard - und zählt nur noch die (erste) Nachkommastelle

(wenn eine Abiturklausur mal landesweit schlecht ausfällt

[schlecht gestellte Aufgaben rächen sich bei Zentralklausuren ja immer sofort an tausenden von Schülern],

hat das Kultusministerium gleich reihenweise Proteste und Gerichtsverfahren am Hals);

  1. , dass der (naiv idealistische?) Anspruch "Bildung" weitgehend unbemerkt den Bach runtergeht;
  2. eine totale und wohl auch bezweckte Gleichschaltung der Schulen wie seinerzeit unter Margot Honecker in der guten alten DDR

(ich gebe derzeit drei Siebtklässlern Nachhilfe in Mathematik, die nach drei [vermeintlich] verschiedenen Schulbüchern unterrichtet werden - und dennoch immer exakt beim selben "Stoff" sind).

Schulen sind aber nur Teil einer "gesamtgesellschaftlichen" Entwicklung: heutzutage wird

(völlig phantasielos)

alles "gerankt" und "geratet": wir erleben derzeit den Siegeszug der (mathematischen!) Quantifizierung, also der Verfügbarmachung.


Bei solchen Bildern schlägt das Herz jedes Schulpolitikers und Kultusbürokraten höher:

Da ist alles hübsch tot und ordentlich - und muss man sich nicht mehr nach einem (anderen) Sinn und Zweck fragen.

(Aber es ist wohl aussichtslos, gegen das [Zentral-]Abitur anzustänkern: das Gymnasium samt dem es krönenden [Zentral-]Abitur ist eine heilige Kuh des Bürgertums, das seine eigenen Kinder "gefördert" wissen will - und dem die restliche Jugend scheißegal ist. Kommt hinzu, dass anscheinend jede Gesellschaft Initiations-, also Mann- und Fraubarkeitsrituale braucht, und da Kommunion, Konfirmation, Firmung und Jugendweihe sang- und klanglos abhanden gekommen sind, ist eben das Abitur der Ersatz:


[Quelle: ])


Schriftliche Prüfungen sind eigentlich völlig "unnatürlich": da muss der Prüfling alles

  1. in relativ kurzer (und doch als quälend lang empfundener) Zeit,
  1. alleine

aus sich herausgequetschen.

Zu a.:

die kurze Zeit ist ein glatter Widerspruch zu allem, was man zumindest im Fach Deutsch vermitteln möchte: dass viele Schriftsteller ewig lange an Texten feilen

("es hat noch keiner auf Anhieb Gutes geschrieben")

- und dass sich das Nachbessern lohnt.

Zu b:

das Alleine-Arbeiten steht im Widerspruch zu der meisten Wissenschaft, die sicherlich teilweise auch im stillen Kämmerlein verzapft, aber oftmals doch eben auch in Teams besprochen wird, also gegenseitiger Anregung bedarf.


Kurz vor Schuljahrsende gibt es manchmal kaum mehr die Möglichkeit, für Schüler, die längere Zeit krank waren und deshalb mehrere Klassenarbeiten verpasst haben, "Nachschreibetermine" zu finden. Für solche Schüler habe ich dann

(man weiß als Lehrer ja nie, welchen hinterletzten kultusministeriellen Erlass von 1842 man gerade verletzt)

manchmal statt einer Nachschreibeklausur auf die Schnelle eine mündliche Prüfung

(man nennt das wohl "Feststellungsprüfung")

angesetzt

- und dabei die erstaunliche Erfahrungen gemacht, dass die Schüler darin viel besser abschnitten als in (schriftlichen) Klassenarbeiten.

Solche mündlichen Prüfungen sahen bei mir nicht so aus wie im mündlichen Abitur, bei dem die Schüler zumindest in den ersten zehn Minuten alleine vortragen müssen

(und dabei oftmals in jedes offene Messer laufen),

sondern waren eher Gespräche.

Solche Gespräche haben den Vorteil, dass man Schüler frühzeitig auf Fehler hinweisen und diese schnell beseitigen kann, so dass die Fehler nicht ihre gesamte weitere Argumentation kaputtmachen

(wobei ein feines Gespür dafür nötig ist,

Derzeit wird ja andauernd von "individueller Förderung" gefaselt: "gefaselt", weil

Mündliche Prüfungen, wie ich sie als Klausurersatz abgenommen habe, sind aber wirklich individuelle Förderung

(soweit Prüfen überhaupt Fördern sein kann, da Prüfungen oftmals nur konstatieren, dass das Kind längst vorher in den Brunnen gefallen ist),

weil da

So bestimmen Schüler indirekt oder sogar ausdrücklich immer mit, in welche Richtung die mündliche Prüfung verläuft.

Ein Beispiel: als ich eine Schülerin mal im Abitur zur Vektorrechnung befragen wollte, gestand sie frank und frei ein, darauf gesetzt zu haben, dass die Vektorrechnung nicht in der Prüfung vorkomme. Ich habe ihr dann gesagt, dass das natürlich (negativ) vermerkt werde, sie danach aber doch gefragt, was sie denn geübt habe und worüber sie denn gerne geprüft würde. Und bei diesem anderen Thema (Matrizen) war sie dann wirklich "sehr gut"

(während sie in einer Klausur ausschließlich über Vektoren wohl völlig versagt hätte).

Nach mündlichen Prüfungen habe ich die Schüler oft gefragt, wie sie die Situation denn empfunden hatten, und ausnahmslos alle haben geantwortet, dass

(wohl weil solche mündlichen Prüfungen was völlig Neues waren)

Angst hatten,

Um die Leistungen eines Schülers beurteilen zu können, bedarf es wahrhaft nicht stundenlanger Klausuren, sondern ob ein Schüler was kann, ist mir doch schon nach wenigen Minuten einer mündlichen Prüfung klar.