göttlich naiv:

Vorweg: ich möchte der Autorin des Spiegel-Artikels, einer gewissen Julia Köppe, ja nicht zu nahe treten:

wenn man unter der Artikel-Überschrift auf den Link klickt, sieht man anhand ihrer sonstigen Artikel, dass Köppe beim „Spiegel“ anscheinend ein „Mädchen für alles“ ist, also eine

„Person, die alle anfallenden, meist kleineren Tätigkeiten und Aufgaben übernehmen muss“
(Quelle: ).

Entscheidend dabei ist das Wort „muss“: da hat jemand

(der seine Brötchen oder sich erst seine Sporen verdienen muss),

keine andere Wahl!

Aus der Übersicht ihrer Artikel darf man wohl folgern, dass Julia Köppe nicht gerade eine Schul“expertin“ bzw. Lehrerin ist.

Das macht die göttliche Naivität ihres „Estland-Artikels“ immerhin verständlich.


Schon die Überschrift

„Warum Estlands Schüler den deutschen weit voraus sind“

ist eine raffiniert rhetorisch verpackte Hinterfotzigkeit:

was da

„ich verklicker‘ euch jetzt mal [sozusagen ex cathedra], warum Estlands Schüler den deutschen weit voraus sind“.

Mit der Überschrift wird zudem vorausgesetzt, dass Estlands Schüler den deutschen weit (!) voraus sind, und vermutlich deshalb wird das im weiteren Text nie belegt.

Interessant finde ich es außerdem, dass die Überschrift noch (gezielt?) verschweigt, weshalb die estnischen Schüler (angeblich) so viel besser sind

(wenn man mal von der Mini-Über-Überschrift „ Digitales Klassenzimmer“ absieht).

Ansonsten ist der Artikel-Kopf

ein wundersames Sammelsurium:

(gemeint ist aber wohl der Querschnitt der schulischen Leistungen)

weit überlegen sind;
(was immer Köppe darunter verstehen mag);

Insgesamt also (vereinfacht gesagt): da wechseln sich

Bildung - Computer - Bildung - Computer

völlig unvermittelt

(durch keine Konjunktion verbunden)

ab.

Ich unterstelle aber mal, dass die Autorin

(indem sie immer Bildung und Computer abwechselt)

eben doch einen kausalen Zusammenhang suggerieren möchte:

„Estlands Schüler sind den deutschen [in ihren schulischen Leistungen, ja sogar ihrer Bildung] weit voraus, WEIL estnische Schulen [sowie Schüler und Lehrer] sehr viel besser mit »neuen« Medien ausgerüstet sind.“

Im dann folgenden Artikel


Ich habe keinen Grund, an Köppes Behauptung zu zweifeln, dass estnische Schulen tatsächlich besser mit „neuen“ Medien ausgestattet sind. Mir fehlt in Köppes Artikel aber ein (einziger) Beleg dafür,

(wenn die estnischen Schüler tatsächlich besser sind)

ursächlich an der besser Ausstattung mit „neuen“ Medien liegt.

Der einzige mir bekannte internationale Schulvergleich ist „PISA“:

(Quelle: ; und selbstverständlich ist ein „Zeit“-Artikel differenzierter als ein „Spiegel“-Artikel; aber die „Zeit“ ist natürlich zu kreuzbrav bürgerlich, um probeweise auch mal an PISA zu zweifeln:)
(vgl. meine einschlägigen Aufsätze:

Einen halbwegs überzeugenden Nachweis dafür,

(wie Köppe suggeriert)

diese bessere Ausstattung der einzige oder zumindest doch wichtigste Grund für die hohe Schulqualität ist

(denn andere mögliche Gründe nennt sie ja nie),

bleibt Köppe also schuldig

(und muss sie wohl auch schuldig bleiben, da solche Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge nur äußerst schwierig, wenn überhaupt nachweisbar sind).


Der Gerechtigkeit halber sei ergänzt, dass Köppe in ihrem eigentlichen Artikel ein einziges Mal vorsichtiger ist:

„Natürlich gebe es auch an estnischen Schulen Frontalunterricht, Schreibhefte und Bücher.
Doch die Technik helfe den Schülern beim Lernen.“

Die mit Abstand längste (Schluss-)Passage des Artikels handelt dann aber ausschließlich von „ekool“:

“Seit 2002 nutzen fast alle Schulen in Estland das digitale Klassenbuch »ekool«. Die Lehrer tragen dort ein, was sie in einer Unterrichtsstunde behandelt haben, welche Hausaufgaben es gibt, wer gefehlt hat. Die Eltern können die Daten ihrer Kinder einsehen und dem Lehrer Nachrichten schicken oder Entschuldigungen hochladen.“

Nun mag „ekool“ ja durchaus eine Hilfe für Lehrer, Eltern und Schüler sein. Aber meint Köppe ernsthaft, dass es ein nennenswerter Beitrag zum höheren Bildungsniveau estnischer Schüler ist?!

Und zum Schreien blöd ist es doch, wenn an anderer Stelle des Artikels eine simple multiple-choice-Aufgabe („vier mögliche Antworten“) als durch moderne Technik  (eine „interaktive Tafel“) ermöglichte Revolution dargestellt wird:

“Die Aufgaben stehen auf einem Smartboard - eine interaktive Tafel. Leppmaa kann darauf schreiben, Texte einblenden oder Videos zeigen. Diesmal geht es um eine Textaufgabe: In einen Bus steigen sieben Leute, es gibt aber nur zwei freie Plätze. Wie viele Menschen müssen stehen? Zur Auswahl stehen vier mögliche Antworten [was ja problemlos auch ohne eine »interaktive« Tafel, also mit der guten alten möglich wäre].“

Köppe ist offensichtlich nur geblendet von neuen technischen Möglichkeiten - und hat keine Ahnung von Pädagogik.


Dabei

(was auch nur einseitig wäre)

für pures Teufelswerk,