Pauker hauen sich selber in die Pfanne

In der "Zeitung der Bildungsgewerkschaft GEW" - und zwar in der Ausgabe Bild Bild vom Juli/August 2006 - ist ein Artikel mit dem Titel "länger gemeinsam Lernen; Aktuelle IFS-Umfrage zeigt Meinungsumschwung" erschienen.

(IFS = Institut für Schulentwicklungsforschung in Dortmund)

Da sei gleich vorweg erwähnt, dass ich nur die Darstellung der IFS-Umfrage in der GEW-Zeitschrift, nicht aber die Original-Umfrage (ihren detaillierten Fragebogen sowie die Ergebnisauswertung) kenne. Aber ich unterstelle mal, dass die Zeitschrift die Umfrageergebnisse sinngemäß wiedergegeben hat.

Insgesamt zeigt die Umfrage, dass LehrerInnen zunehmend dem allgemeinen bildungspolitischen Mainstream folgen:

(allerdings: "Zwar hat sich die Quote derer, die die Abschaffung einer »Ehrenrunde«  befürworten, mit 22 Prozent seit 1998 fast verdreifacht. Doch mehr als die Hälfte der Pädagogen spricht sich weiterhin dagegen aus."),

Bei

(abgesehen von der Forderung einer "Einheitsschule")

solch umfassender bildungs-political correctness ("große Reformbereitschaft") könnte beispielsweise die Kultusministerin "ihre" sonst ja nicht gerade durch freundliche Worte verwähnten LehrerInnen so richtig herzhaft obrigkeitlich-herablassend loben:

"[...] Allen Beschimpfungen und Verunglimpfungen zum Trotz legen sie [die LehrerInnen] selbst mehrheitlich große Reformbereitschaft an den Tag und widerlegen eindrucksvoll das öffentlich gängige Bild als Bremser und Blockierer. Das deutliche Votum für ein längeres gemeinsames Lernen aller Kinder, für Ganztagsschulen, für die Nutzung von Computern und Internet im Schulalltag

[vgl. Bild ]

sowie die große Bereitschaft, für die Qualitäts- und Schulentwicklung Verantwortung zu übernehmen, sind ein deutlicher Beleg. [...]"

Bezeichnend ist allerdings, dass dieses Zitat keineswegs von der Kultusministerin, sondern von der stellvertretenden GEW-Vorsitzenden namens Marianne Demmer stammt (vgl. ebenfalls Bild ):

"die" haben alle denselben kultusbürokratischen Jargon drauf

(z.B. "für die Qualitäts- und Schulentwicklung Verantwortung [...] übernehmen" oder "Notwendigkeit eines Schulprogramms sowie die Selbstevaluation" und überhaupt Bild  )

und unterscheiden sich nur noch in Marginalien.

Bei der bildungspolitischen Korrektheit, die sich in der Lehrerumfrage zeigt, wundert es mich doch sehr, dass der Demmer-Text unter der überschrift

Bild

erschienen ist.

Schauen wir uns dazu mal den vollständigen, also im Vergleich mit dem Zitat eben um einen Satz ergänzten Anfang des Textes an:

"Nun haben nach den Eltern in einer Befragung von 2004 auch die Lehrkräfte der Bildungspolitik die rote Karte gezeigt. Allen Beschimpfungen und Verunglimpfungen zum Trotz legen sie selbst mehrheitlich große Reformbereitschaft an den Tag und widerlegen eindrucksvoll das öffentlich gängige Bild als Bremser und Blockierer. Das deutliche Votum für ein längeres gemeinsames Lernen aller Kinder, für Ganztagsschulen, für die Nutzung von Computern und Internet im Schulalltag sowie die große Bereitschaft, für die Qualitäts- und Schulentwicklung Verantwortung zu übernehmen, sind ein deutlicher Beleg. [...]"

Es ist mir wahrhaft ein Rätsel, inwieweit der blaue Satz eine Erklärung bzw. Begründung des roten sein soll.

An Ende ihres Kommentars wird Demmer dann allerdings passend zur überschrift doch ein wenig deutlicher:

"[...] Vor allem sollten die verantwortlichen Schulpolitiker endlich anerkennen, dass sie in der Lehrerschaft und ihren Interessenvertretungen wichtige Partner für notwendige Veränderungen haben. Dazu müsste die Politik allerdings bereit sein, die Weiterentwicklung von Einzelschulen wie des gesamten Schulsystems als Kooperationsprojekt und nicht als Verwaltungsakt zu organisieren. Die vielerorts übliche Basta-Politik ist kontraproduktiv und provoziert in der Lehrerschaft Widerstand und Ablehnung.
Mit Nachdruck warne ich auch davor, die Reformbereitschaft der Lehrkräfte auszunutzen, sie
durch ständige Außenkontrolle zu entmündigen und zu gängeln sowie ihre Arbeitsbelastung weiter zu erhöhen. Lehrerinnen und Lehrer wollen mehr pädagogische Gestaltungsfreiheit, aber auch starke Personalvertretungen. Sie zeigen hohe Bereitschaft zur Selbstkontrolle, aber sie wehren sich zu Recht gegen zunehmende Belastungen."

Aber weil Demmer vorher - basierend auf der Umfrage - fast nur übereinstimmungen zwischen Kultuspolitik einerseits und LehrerInneN anderseits feststellt, bleibt ihre Schlusspassage ein windelweich allgemeiner Appell und geht nicht an die Wurzeln des Problems:

dass nämlich gerade die ach so bejahten "Reform"-Elemente mittels "Basta-Politik" durchgeknüppelt werden und überhaupt erst die LehrerInnen "durch ständige Außenkontrolle [...] entmündigen und [...] gängeln sowie ihre Arbeitsbelastung weiter [...] erhöhen."


Dabei habe ich die interessantesten Ergebnisse der Umfrage bislang noch gar nicht angeführt:

"[...]
Rund die Hälfte der Pädagogen hält die heute an die Schüler gestellten Leistungsforderungen für angemessen. Eine Mehrheit tritt darüber hinaus für eine regelmäßige Überprüfung der Schülerleistungen durch bundesweite Tests ein. Drei Viertel der Lehrer sprechen sich für  landesweit einheitliche Prüfungen aus. Doch eine Veröffentlichung der Leistungsergebnisse lehnen die meisten ab. Ein ermutigendes Signal: Die Zufriedenheit mit der eigenen Schule überwiegt bei der Mehrheit.
Allerdings: Pädagogen beanspruchen für ihre Arbeit mehr Eigenverantwortung. Ein Großteil der Lehrerschaft verlangt einen größeren Gestaltungsspielraum als Voraussetzung für Schulentwicklung. Unstrittig ist in diesem Zusammenhang auch die Notwendigkeit eines Schulprogramms sowie die Selbstevaluation durch das Kollegium. Die Hälfte der Befragten steht einer Bewertung durch Schulaufsicht und -inspektion inzwischen positiv gegenüber (zum Vergleich: 1998 war es nur knapp ein Drittel).
[...]"

Zwar bleiben da die quantitativen Aussagen weitgehend schwammig

("Rund die Hälfte" ebenso wie "Die Hälfte der Befragten" heißt ja eben auch "... und die andere Hälfte nicht"; "Eine Mehrheit" kann auch "51 Prozent" bedeuten).

Dennoch hat mich aber bei drei Aussagen eine Mischung aus Unglauben und Entsetzen gepackt:

  1. "Eine Mehrheit tritt [...] für eine regelmäßige Überprüfung der Schülerleistungen durch bundesweite Tests ein. Drei Viertel der Lehrer sprechen sich für  landesweit einheitliche Prüfungen aus."

(Nebenbei: den Nachschub "Doch eine Veröffentlichung der Leistungsergebnisse lehnen die meisten ab" kann man auch als Feigheit interpretieren bzw. als "wasch' mich, aber mach' mich nicht nass".)

  1. "Unstrittig ist [...] auch die Notwendigkeit eines Schulprogramms sowie die Selbstevaluation durch das Kollegium."

  2. "Die Hälfte der Befragten steht einer Bewertung durch Schulaufsicht und -inspektion inzwischen positiv gegenüber [...]"

Da dachte ich zu allererst:

es kann doch gar nicht wahr sein, dass jetzt sogar die LehrerInnen selbst solchen bildungspolitischen Mainstream-Quatsch fordern.

  1. Erklärungsmöglichkeit, die mir allerdings SELBSTVERSTäNDLICH VÖLLIG FERN LIEGT:

  1. Das IFS sei - ganz im Gegensatz zu dem Reklamespruch Bild auf seiner Homepage Bild - Lichtjahre entfernt von aller Schulwirklichkeit

(böse Zungen behaupten, das könne man schon allein am beruflichen Werdegang der Großkopfeten im IFS erkennen; vgl. Bild ).

  1. Man müsste die genauen Fragestellungen  der Umfrage kennen, denn selbstverständlich produzieren beispielsweise

völlig unterschiedliche Antworten.

In ihrem Kommentar weist Demmer kurz darauf hin:

"Der Direktor des IFS, Prof. Wilfried Bos, hat im Wiederholungsfall [falls jemand nochmals - wie also schon geschehen - die Seriosität der Umfrage bezweifelt] rechtliche Schritte gegen solche Behauptungen angedroht."

Vor was hat der Mann solche Angst, dass er sich jeder Diskussion verweigert und stattdessen prophylaktisch zum juristischen Knüppel greift?

  1. Erklärungsmöglichkeit:
    Aufgrund des Dauerbombardements der letzten Jahre trauen sich viele LehrerInnen gar nicht mehr, dem kultuspolitischen Mainstream überhaupt noch etwas entgegen zu setzen, und stimmen deshalb dem sowieso Unvermeidbaren bzw. durch die "Basta-Politik" längst faktisch Gesetzten nur noch resignativ zu

("ich werde ja sowieso nicht gefragt, also nutzt es auch nichts, dagegen zu sein" bzw. "wenn ich immer dagegen bin, obwohl's längst Faktum ist, mache ich nur mich selbst kaputt; also betreibe ich Identifikation mit dem Aggressor und finde ab sofort alles dufte").

  1. Erklärungsmöglichkeit:
    Eine ganze Menge LehrerInnen ist wirklich so blöd
    , das gut zu finden, was vielen wahrhaft pädagogischen Überlegungen grundsätzlich widerspricht.

(Ich bin so frei, diese allerbesten pädagogischen Überlegungen nicht mal mehr genauer zu erklären: meine Internetseite Bild wimmelt davon.)

Und viele phantasielose (oder überarbeitete?) Exemplare der Gattung Lehrer sind wohl auch heilfroh, wenn ihnen alle Freiheiten genommen werden, sie also nicht mehr selbst denken müssen, sondern nach Schema F unterrichten können

(... und Verlage wie Klett und Cornelsen verdienen sich dumm und dämlich an Lehrer- und Schülermaterial für all die zentralen Prüfungen).


Nochmals gesondert komme ich auf

"Bewertung durch Schulaufsicht und -inspektion"

zurück.

Kann man überhaupt dagegen sein, wo sich doch alle anderen Angestellten auch andauernd durch Chefs bewerten lassen müssen?

("Wenn die anderen Cholera haben, möchte ich auch Fieber haben.")

Dabei besteht doch das Problem nicht in der Bewertung, sondern in den Bewertern, denn ich sehe beim besten Willen niemanden, der qualifiziert wäre, anderen LehrerInneN schlaue Ratschläge zu geben oder LehrerInnen gar zu bewerten.

Inzwischen haben ja auch andere bemerkt, dass die Schulaufsicht erheblich überdimensioniert

(wenn überhaupt sinnvoll)

ist

(und man da Unmengen Geld einsparen könnte).

Aber wohin bei einer eventuellen "Verschlankung" mit all den hochdotierten Leuten? Aus vielen guten Gründen kann man sie ja nicht in die Schulwirklichkeit zurückschicken. Da wird man wohl mit aller gebotenen Unterwürfigkeit anfragen dürfen, ob ausgerechnet diese Leute dann gut in der Schulinspektion untergebracht wären.

Kommt hinzu, dass ich einen Riesenunterschied zwischen Schulaufsicht (Bewertung) und Schulinspektion (Beratung) machen würde, mir also das "und" zwischen beiden extrem missfällt und ich schon allein deshalb die Frage, ob ich eine "Bewertung [???] durch Schulaufsicht und -inspektion" wollte, mit einem rabiaten "Nein" beantworten würde.

Vgl. Bild .


Ganz nebenher erwähnt Demmer noch in ihrem Kommentar:

"Einerseits gibt es [bei LehrerInnen] eine große Fortbildungsbereitschaft [...]. Andererseits sind viele mit den Angeboten unzufrieden."

Wen wundert das bei den welt- und schulfremden Mainstream-Absonderern, die von einigen Instituten für Fortbildungen übers Land geschickt werden?


Es ist dringend an der Zeit, GAR NICHTS MEHR vom derzeitigen kultuspolitischen Mainstream zu glauben.

Vgl. BildBild