die Richtlinien als Richtschnur
Die arme Kultusbürokratie hat´s ja auch (!) nicht leicht:
wenn sie etwas vorschreibt, befolgen die meisten LehrerInnen es doch glatt
(und die unteren Chargen der Dezernenten sowieso),
und wenn sie etwas freistellt, überhören das alle.
"Richtlinien, im staatsrechtlichen Sinn die Bezeichnung für Leitlinien der Gesetzgebung und Politik, die durch eine Verfassung oder mit besonderen Kompetenzen [???] ausgestattete Amtsträger vorgegeben werden." |
Der Einfachheit halber verwende ich hier das Wort "Richtlinien" als Oberbegriff für das, was in NRW
Richtlinien
(fächerübergreifende Grundsätze)
Lehrpläne
(Bestimmungen für die Einzelfächer)
genannt wird.
Obwohl ich natürlich nicht der modischen scheinbaren Selbstverständlichkeit aufsitze, eine objektive Vergleichbarkeit von Schülerleistungen sei möglich oder überhaupt wünschenswert
("Die Festschreibung einiger, [notwendigerweise spezieller] Inhalte als »allgemeinbildend« verkehrt den Sinn von Allgemeinbildung. Denn eine inhaltlich kanonisierte »allgemeine Bildung«, die erstrebt wird, um gebildet zu sein und um vor anderen gebildet zu erscheinen, deformiert die Bildung zum Statussymbol, ist ungehemmte Begierde, ist mithin ein Nichts."
Georg Wilhelm Friedrich Hegel),
habe ich ja gar nichts gegen gewisse Regelungen.
Das Problem besteht aber darin, dass man nur die allemal auch wichtigen "Grundlagen" halbwegs regeln kann
(in der Mathematik beispielsweise das wichtigste Handwerkszeug),
aber nicht das eigentlich Wichtige
(in der Mathematik beispielsweise Problemlösungsstrategien).
Überhaupt meine ich, dass die Richtlinien
äußerst knapp (pro Schuljahr eine halbe Din-A-4-Seite) sein
und ansonsten möglichst viel Freiraum ermöglichen sollten.
Ein Beispiel ist da der Deutschunterricht der gymnasialen Oberstufe. Ich würde da
(wohlgemerkt für die gesamte Oberstufe, also zwei volle Jahre)
nur vorschreiben:
sprachliche Überlegungen,
zur Literatur:
quer durch die Zeiten,
quer durch die Gattungen,
quer durch die Themen.
Ansonsten vertraue ich auf die Ausbildung der LehrerInnen, die gelernt haben sollten,
pädagogisch zu denken und
gewisse fachliche Ansprüche zu stellen.
Jede sonstige Regelung
(und somit die gesamte Regelungswut der Kultusbürokratie)
ist nur (permanentes!) Misstrauen gegenüber der Kompetenz der LehrerInnen!
(... wobei ja keiner weiß, worin eigentlich die zusätzliche Kompetenz von Kultusbürokraten besteht)
Das Wort "Richtlinie" möchte ich im Sinne von "Richtschnur" verstehen:
man kann sich danach richten,
sie gibt einem immer wieder Halt und Orientierung,
sie zeigt Perspektiven auf -
aber sie schreibt nichts vor.
Sie ist fast wie die Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen, nur dass sich nach dieser (leider!) überhaupt keiner richtet.
Viele LehrerInnen neigen dazu, sich allzu sehr nach den Richtlinien zu richten:
jeder neue Erlass wird sofort befolgt,
und wenn neue Richtlinien / Kernlehrpläne / erscheinen, überlesen sie alle Vorworte, sondern schielen nur darauf:
"Was muss ich tun, und genau das (und nichts anderes) tue ich jetzt auch."
Sie schielen bei einem Zaun immer nur auf die Pfeiler, nie aber auf die Durchschlupfmöglichkeiten
Teilweise sind die "Richtlinien" ja gar nicht so schlecht, sie ermöglichen, ja ermutigen sogar - neben einer gewissen "Obligatorik" - vielfältige Freiräume. Manchmal stehen da dann Beispiele, die allerdings den Nachteil haben,
dass gewisse LehrerInnen nun genau diese andauernd abkupfern,
d.h. dass diese Beispiele allzu schnell
(und zwar insbesondere in den Köpfen von Dezernenten)
zur Obligatorik versteinern.
Vielleicht sind viele LehrerInnen aber auch einfach nur realistisch, wenn sie in der Begegnung mit der Kultusbürokratie den Eindruck nicht loswerden, dass die Freiräume nur Vorwand und fromme Absichtserklärungen sind - und letztlich doch nur die Obligatorik zählt
(nebenbei: genauso denken ja auch viele SchülerInnen).
Es gibt aber auch so einige LehrerInnen, deren Horizont
(sei´s wegen Überarbeitung, sei´s aufgrund beamtenmäßig angeborener Phantasielosigkeit)
keinen Millimeter
über ihr Fach und
über die Lehrpläne
hinaus geht.