Nein, die "Stern"-Ausgabe über "Das Verschwinden der Kindheit" habe ich natürlich erst gar nicht gelesen, sondern die beiden Untertitel haben mich nur daran erinnert, dass ich schon lange zum Thema schreiben wollte:

Nun hat die letzte Formulierung natürlich etwas Infames an sich: sie kommt mit dem Wort "Warum" als Frage daher, um dann grammatikalisch doch als Aussage zu enden

(vgl., dass der "Spiegel" mal getitelt hat: "Warum wir länger arbeiten müssen.")

Und genauso rhetorisch ist natürlich - wie ich beim Durchblättern gesehen habe - die Überschrift "War früher alles besser?" des eigentlichen Artikels: "Natürlich nicht, aber vieles eben doch."

(Man könnte fast vermuten, dass da alternde Sternredakteure ihrer eigenen, längst romantisierten Kindheit hinterhertrauern, und das bittschön auf Kosten "der" derzeitigen Kindheit.)


Die Klagen über "Das Verschwinden der Kindheit" sind nun wahrhaft nicht neu. Vgl. nur etwa das uralte, prophetisch-moralinsaure Buch .

(Ich werde sowieso den Verdacht nicht los, dass

Da sei doch immerhin daran erinnert, dass die Kindheit noch viel früher überhaupt erstmal erfunden werden musste:

Stephan K. Schindler: Das Subjekt als Kind. Die Erfindung der Kindheit im Roman des 18. Jahrhunderts; Schmidt-Verlag, 1997


Mir fallen nur drei Sachen auf:

  1. die in Folge von PISA allseits geforderte "Frühförderung"

(samt früherer Einschulung: )

ist doch eine zweischneidige Sache:

(Dabei höre ich schon den Einwand, dass es ja spielerisches Lernen gebe.)

  1. Ein Grund für die Einführung von Ganztagsschulen ist die

(teilweise durch die Abwesenheit vieler berufstätiger Eltern mit bedingte)

tatsächliche oder angebliche Verwahrlosung vieler SchülerInnen nachmittags.

Da sei aber doch immerhin erwähnt, dass die Ganztagsschule nur die zweitbeste Lösung sein kann.

Die beste wäre eine sinnvollere, kreativere, "abenteuerliche(re)" Nachmittagsgestaltung

(und damit meine ich eben gerade nicht, dass die Kinder mit dem Mama-Taxi von einem [vorstrukturierten] Event zu nächsten gekarrt werden, also einen Terminplan wie ein mittlerer Manager haben).

Für ein echtes Problem halte ich es aber, dass die Zwangs-Ganztagsschule jene Kinder berauben wird, die schon/noch jetzt kreativ ihre Nachmittage gestalten können.

(Nebenbei: eine Ganztagsschule, die wirklicher Lebens[!]raum wäre, dürfte nicht einfach nur mehr Unterricht bedeuten - und nicht [nur] in der Ödnis der bisherigen Klassenräume stattfinden. Das aber würde gigantische Summen kosten!
Und sie müsste sich dringend hin auf die außerschulische Wirklichkeit hin öffnen.)

  1. wachsen Kinder heute in einer extrem glatten, -sauberen Welt auf:

(und woanders dürfen/können Kinder man ja kaum mehr spielen)

sind von geradezu grauenhafter Phantasielosigkeit


(Bildquelle: www.pixelio.de)

(genauer: die wenigen Spielplätze "zu meiner Zeit" waren noch erheblich phantasieloser - aber wir brauchten sie auch gar nicht),

        bzw. da ist jedes Spielen vorreguliert

(ist es dann überhaupt noch ein Spielen?);

(das ist nichtmal autokritisch gemeint, aber kann man nicht endlich Autos und "Selbstbewusstseine" entwickeln, die den einen oder anderen Kratzer vertragen?);

"Kinderfreundlichkeit/-feindlichkeit" ist also auch eine Frage der (nicht vorhandenen oder ungeeigneten) "offenen" Infrastruktur.

PS:

Dafür war vieles andere an meiner Kindheit wahrhaft nicht dufte - und ist heute meistens besser. Z.B. gibt es heute oftmals doch eine viel größere Liberalität als in der erstickenden Atmosphäre der Adenauer-Republik (und neue Zwänge).