die Gretchenfrage
:
darf / soll Schule Spaß machen?
Gretchen: „Nun sag, wie hast du’s mit der
Religion?"
Faust: "Tja, also ... wie soll ich sagen? ... irgendwie ... ja-nee ... ich weiß
nicht ... aber ..."
Die halbe Weltliteratur und einschlägige Filme aus aller Herren Länder
zeigen, dass Schule ein Zwangssystem ist und die Schüler heilfroh sind, wenn
.
(Nur die armen Kinder in Entwicklungsländern gehen gern zur Schule.)
Dann ist das nunmal so!
Vor vielen Jahren wäre ich fast mal berühmt geworden
vermutlich weil man sich dachte, dass ein Schulpraktiker (Lehrer) sich gut mache
("Eine kleine Sensation: Ein Lehrer, den man
fragt, was er vom Bildungswesen hält. Wow." |
und insbesondere, weil man auf meine computerkritischen Internetseiten
aufmerksam geworden war, hatte man mich zu einer Podiumsdiskussion über Computer
im Unterricht eingeladen.
Von der Veranstaltung ist mir nur zweierlei bzw. sind mir nur zwei Personen in
Erinnerung geblieben:
Joseph Weizenbaum,
der in der Diskussion meine kritische Haltung gegenüber
dem forcierten Einsatz von Computern in Schulen teilte.
Viel interessanter fand ich aber die Begegnungen mit ihm am Abend und beim
Frühstück vor der Podiumsdiskussion im Hotel: da hatte ich die große Ehre, mit
einem wirklich altersweisen Mann zu sprechen, der allerdings resigniert
bemerkte, dass seine körperlichen und geistigen Kräfte nachließen - und dass
dies seine (vor-)letzte Reise war.
"Schule ist nicht dazu da, Spaß zu machen."
(aus dem Film )
Ich vermute mal, dass es weitgehend gesellschaftlicher Konsens ist, dass Spaß nicht gerade der Hauptzweck von Schule ist
(der wird wohl eher in der Vermittlung fachlicher Fähigkeiten [neudeutsch "Kompetenzen"] gesehen),
und wette, dass das Wort "Spaß" kein einziges mal in bundesdeutschen
Lehrplänen auftaucht.
Und das ist auch gut so, denn Spaß lässt sich nicht vorschreiben, und
somit wäre die Festschreibung von Spaß in Lehrplänen nur eine weitere
wohlklingende Floskel.
Aber der Ton macht die Musik: so explosiv, wie die Kultusbürokratin es sagte,
hörte sich "Schule ist nicht dazu da, Spaß zu machen" wie das Verbot
"Schule darf auf keinen Fall Spaß machen"
an:
"Gute Medizin schmeckt bitter, aber ein weiser Mensch
nimmt sie, wenn sie ihm verordnet wird."
(Han Fei-Tse, auch Han Fei Zi; etwa 290 - 233 v. Chr.,
chinesischer Prinz der Han-Dynastie und Philosoph, war Schüler des Hsün-tse,
starb im Gefängnis durch Gift)
Ich würde eher sagen:
"Schule kann nicht immer Spaß machen",
und zwar
(Schulpflicht, Noten- und Stoffdruck, zu große Klassen, humorlose Lehrer ...),
Und ein Ziel von Schule sollte es sicherlich auch sein, Ausdauer in der Beschäftigung mit Themen zu entwickeln, und zwar über Frustrationen (d.h. das Gegenteil von Spaß) hinweg: sich (!) also an einer Sache abzuarbeiten: die Überwindung von Schwierigkeiten kann ihren ganz eigenen Spaß machen: man hat sich den Spaß verdient!
Ich unterscheide unbedingt zwischen "Spaß" und "spaßig": Letzteres hört sich für mich nach "ewig lustig", "schon beim Frühstück wird gelacht" (Stefan Remmler), "Spaßgesellschaft", "Entertainment" und somit "(allzu) leichter Kost" an
("So einfach wie möglich, aber nicht
einfacher."
[Albert Einstein]).
Bespaßung
(ein treffendes, wenn auch arg holpriges Wort)
kann aber nicht Sinn von Schule sein, und zwar schon allein deshalb nicht,
weil Schule mit solcher Anbiederung garantiert scheitern würde: da hat die
Entertainment-Industrie viel größere Möglichkeiten.
Und überhaupt darf der Lehrer nicht zum Entertainer verkommen.
Ein Beispiel: natürlich kann ein Chemielehrer hübsche Knall- und
Stinkexperimente vorführen
(wie es etwa mit schöner Regelmäßigkeit auf dem "Tag der offenen Tür" passiert, wenn neue Sextaner angeworben werden sollen),
aber das kann ja nicht Inhalt mehrerer Schuljahre sein
("heute haben wir schon wieder Knall & Stink").
Vor allem aber darf Unterricht nicht bloße Effekthascherei sein, sondern es muss ja wohl darum gehen, die Effekte (Wagenschein: "Phänomene") zu verstehen.
Das Spaß-Verbot der bayerischen Kultusbeamtin funktioniert glücklicherweise sowieso nicht: in Schulen gibt's immer mal wieder Spaß,
(und damit meine ich nicht die bienenfleißigen Streber, die nicht an Inhalten, sondern nur an guten Noten interessiert sind),
(viele Schüler gehen durchaus gerne zur
Schule, aber nicht wegen des Unterrichts bzw. der fachlichen
Inhalte, sondern wegen befreundeter Klassenkameraden;
nebenbei: bei mir vergeht kaum eine Stunde, ohne dass mal gelacht oder zumindest
gelächelt wird).
Da werden wohl die meisten zustimmen:
"Spaß ist zwar nicht Hauptzweck von Schule,
aber doch immer mal wieder gerne gesehen":
ein windelweicher mainstream-Satz, der letztlich autoritär-gönnerhaft aussagt: es darf, ja soll gerne auch mal gelacht werden, aber irgendwann muss dann auch wieder "Schluss mit lustig" sein: "Spaß beiseite, und zurück zur 'richtigen', d.h. per se knochentrockenen Mathematik"
(aber wehe, man lacht mal über die Mathematik selbst: das wäre ähnlich blasphemisch, wie wenn man über Jesus lacht).
Spaß wird da nur als Dekoration bzw.
Verpackung verstanden, mit denen man Inhalte besser verkaufen
kann.
Wenn's hoch kommt, macht man dann auch mal "spaßige" Projekte bzw.
Projektwochen, aber danach heißt's dann garantiert wieder "Schluss mit lustig"
und kehrt man zum Standardunterricht zurück, in den nichts von den
Projekten / Projektwochen eingeht, d.h. die Projekte / Projektwochen bleiben
seltsam amputiert.
Spaß mag nicht (Haupt-)Zweck von Schule sein, wäre aber
doch ein probates "Mittel zum Zweck":
aus der einige Zeit modischen Neurobiologie habe ich bislang, wenn's um Lernen
ging, nur Banalitäten bzw. uralte
(aber deshalb ja nicht schlechte, sondern vermutlich im Gegenteil sogar besonders wichtige)
Weisheiten gehört. Z.B. die, dass Gelerntes besser "hängen" bleibt, wenn es mit Erlebnissen (eigenem Tun) verbunden ist; und sowieso, wenn das Lernen - horribile dictu - Spaß macht!
Ich drehe den Satz
"Spaß ist zwar nicht Hauptzweck von Schule,
aber doch immer mal wieder gerne gesehen"
mal um:
SELBSTVERSTÄNDLICH müsste Spaß der Hauptzweck von Schulen sein - oder
genauer: einer von mehreren Hauptzwecken
(andere Hauptzwecke sind bzw. bleiben natürlich
die Aneignung von Wissen
[sowohl Fakten als auch Zusammenhängen]
und Fertigkeiten,
eine möglichst interdisziplinäre Einführung in verschiedene "Herangehensweisen" an die Welt und die verschiedenen Denkweisen der Schulfächer).
Nehmen wir als Maßstab für eine gute moderne Schule nur mal das Zitat
"Wie bringen wir den Kindern bei, kreativ zu sein,
unternehmerisch zu denken, den Mut zu haben, die Welt zu verändern? Unser
gegenwärtiges Bildungssystem ist darauf nicht eingestellt. Ich glaube, es ist
nicht zynisch, wenn ich sage: Es ist dafür gemacht, anständig ausgebildete,
gehorsame Fabrikarbeiter hervorzubringen. Die aber brauchen wir nicht mehr."
(Andrew McAfee; nicht zu verwechseln mit dem Anti-Viren-Guru mit
demselben Nachnamen;
nebenbei: "kreativ zu sein, unternehmerisch zu denken, den Mut zu haben, die
Welt zu verändern" sind natürlich allesamt erstmal nur Floskeln, die zudem
gefährlich nach "kreativ, belastbar, teamfähig, mobil ..." klingen; und das
prompte "unternehmerisch" stört mich ja sowieso; aber man kann's ja auch mal
ganz un-ökonomisch als "hoffnungsvoll aktiv" verstehen.)
Wie will man denn zu den Fähigkeiten "kreativ zu sein,
unternehmerisch zu denken, den Mut zu haben, die Welt zu verändern" erziehen,
wenn nicht mittels Spaß an der Sache?!
Unter "Spaß an der Sache" verstehe ich dabei nicht aufgesetzte Witze,
sondern Spaß an den Inhalten und den Vorgehensweisen der
Schulfächer.
Ein Beispiel:
Paul Janositz (Tagesspiegel): "Ist der Lehrplan [im Fach
Mathematik] nicht schon vollgestopft?"
Günter M. Ziegler (Professor für Mathematik an der TU Berlin, Präsident der
Deutschen Mathematiker-Vereinigung): "Ja, die Lehrer brauchen mehr Freiräume.
Sie hecheln mit dem Stoff hinterher, statt sagen zu können: heute erzähle ich
euch etwas Spannendes aus der Mathematik, das steht nicht im Lehrplan, aber es
begeistert mich selbst. [...] Wir brauchen sicherlich auch mehr Zeit für den
Mathematikunterricht [...]. Nicht um mehr Stoff zu pauken, sondern um mehr bunte
Mathematik zu zeigen."
Spaß an der Sache entsteht
nicht durch anbiedernde Themen
(als vor einigen Jahren Handys aufkamen,
waren im Mathematikunterricht prompt Handytarife en vogue;
das hat den Jugendlichen gerade noch gefehlt, dass Lehrer [= alte Säcke] ihnen
ihre Themen klauen),
sondern dadurch, dass "man" die Schüler bei ihren altersgemäßen Denkweisen abholt und mit ihnen zusammen "weitergeht".
(Hinsichtlich der Mathematik heißt das, dass den Schülern durchaus auch die "reine" Mathematik
[also ohne alle (meist aufgesetzten) Anwendungen]
Spaß machen kann.)
Vier Beispiele dafür, wie's nicht geht:
: in den ersten Wochen auf der weiterführenden Schule
steht im Erdkundeunterricht das Thema "Ortskoordinaten auf der Erdkugel" an.
Statt mit den "Phänomenen" fängt man also mit Abstraktem an. Geht's
überhaupt noch weltfremder bzw. jugendferner?!
Symptomatisch ist da auch, dass beispielsweise die Koordinaten von Tokyo
vom Globus abgelesen, mit keinem Wort aber irgendwelche Hintergründe
von Tokyo erwähnt werden, Tokyo also vollends abstrakt bleibt.
Da würde ich doch ganz anders anfangen, nämlich z.B. mit einer fiktiven
Reise
,
d.h. mit vielen Bildern, Filmen und Geschichten: "wie leben Kinder im Urwald, wo wohnt Obama [Koordinaten von Washington!], wo ist der höchste Berg [und wie sieht er aus], warum ist es in Afrika so heiß ...?": die Schüler kämen aus dem Staunen gar nicht mehr raus!
: die Schüler sollen im Mathematikunterricht die größten Seen der Welt nach ihrer Größe sortieren. Wo diese Seen liegen und wie sie aussehen
(Größe des Aral-Sees in den letzten 50 Jahren)
(Kaspisches Meer im Winter),
wird dabei (natürlich!) nicht
durchgenommen ("dafür ist auch gar keine Zeit").
Ohne solche Hintergründe ist die Aufgabe aber nur "eingekleidete"
Mathematik - und somit Betrug.
Da seie man ehrlich, lasse die Seen weg und einfach nackte Zahlen der Größe nach
sortieren
(was ja das eigentliche mathematische Thema "dahinter" ist).
: der überhaupt erste Geschichtsunterricht in der 6.
Klasse fängt mit Begriffen wie "Historiker", "Quelle" und "Tradition" an,
die die Schüler als Hausaufgabe samt Erklärungen auswendig zu lernen haben.
Da würde ich doch ganz anders loslegen, nämlich mit Fragen wie z.B.
"Mal angenommen, ihr wollt etwas über euren verstorbenen Opa herausfinden. Wie würdet ihr das machen?"
"Wie war Jesus wirklich?"
"Was in 'Asterix und Obelix' beruht auf historischen Tatsachen?"
"Wie haben die Ritter im Mittelalter gelebt?"
(Nebenbei: bei "Quellen" denke ich natürlich wortwörtlich an [Wasser-]Quellen, die
entweder nur zaghaft tröpfeln:
[und doch mit vielen anderen Quellen zusammen einen Fluss erschaffen können]
odrr kräftig vor sich hin sprudeln: )
: schon Fünftklässler bekommen reihenweise Wikipedia-Auszüge und ähnlich anspruchsvolle Schulbuchtexte vorgesetzt, die für sie völlig unverständlich sind.
Die Beispiele zeigen, dass die meisten Lehrer nur Fachwissenschaftler sind
(ganz von der fachlichen Systematik aus denken),
aber Lichtjahre von der Denkwelt ihrer Schüler entfernt leben.
Und mit der Fachsystematik
ersticken sie jeglichen Forscherdrang - und Spaß. Sie züchten nur "gehorsame Fabrikarbeiter [...]. Die aber brauchen wir nicht mehr."
Denn schließlich wollen wir (???) nicht "sowas":
Die endgültige Spaß-Provokation ist
"«Mr. Flexners Schule», wie sie genannt wurde, war ein
außerordentlicher Erfolg. Flexner nahm jeden Schüler an, ganz gleich, wie
begriffsstutzig oder aufsässig er war, und versprach gleichzeitig den Eltern, er
würde ihre Kinder so auf Zack bringen, daß sie in Princeton, Harvard oder
sonstwo studieren könnten. Das Erstaunliche daran war, daß Flexner Erfolg hatte
und sein Ziel ohne Drohungen, Gewalt oder Druck erreichte. «Ich hatte schon viel
früher gelernt, daß ich nichts durch Zwang erreichen konnte», sagte er später.
«Die Schule erreichte ihr Ziel ohne Vorschriften, ohne Prüfungen, ohne
Schülerakten und ohne Zeugnisse.»
Wie später die Professoren am [von Flexner gegründeten] Institute for Advanced
Study [in Princeton, an dem auch Einstein gearbeitet hat] mußten die Schüler an
Mr. Flexners Schule keine Rechenschaft über ihr Tun ablegen. «Keine Pflichten,
nur Möglichkeiten», war immer Flexners Einstellung. Seine Schüler konnten zum
Unterricht kommen oder ihm fernbleiben. Sie konnten teilnehmen, wenn sie
wollten, und soviel oder so wenig tun, wie sie wollten. Vielleicht überraschte
es ihn selbst, daß seine Schüler selbst am schulfreien Sonnabend kamen, einfach,
um mehr zu lernen. Dabei war keine Zauberkraft am Werk: Flexner erreichte das
durch seine Persönlichkeit und seine echte Begeisterung für das Lernen."
(Quelle:
)
Da kann man natürlich sagen:
entweder: "zu schön, um wahr zu sein" bzw. "was nicht wahr sein darf, das nicht wahr sein kann";
oder: "Flexner war offensichtlich ein pädagogisches Ausnahmegenie. Das sind wir nicht
(bin ich zumindest nicht),
und deshalb lassen wir alles hübsch beim Alten".
Ich gestehe, dass das Wichtigste
(und vielleicht einzig Überzeugende)
fehlt: wie ein Unterricht, der dauerhaft halbwegs Spaß macht, konkret aussehen könnte. Aber ...
... sowas sagt sich nicht auf dreieinhalb Seiten
(ich glaube allerdings, dass mein "Gesamtwerk" zeigt, wie Schule Spaß machen kann).