Tipps für angehende
Schulleiter
, 12.9.2017
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15.6.2023
für J.S., eine liebe Freundin,
die Schulleiterin werden will
Ich selbst möchte zum Verrecken nicht (Gymnasial-)Schulleiter sein.
Dass es immer weniger Leute gibt, die dazu bereit sind, scheint mir nur
oberflächlich an einer zu
geringen Bezahlung zu liegen:
(, 10.11.2017)
(In der Schulpolitik wird
ja immer an nebensächlichen oder gar Schein-Problemen
rumkuriert und nicht nach pädagogischen, sondern nach ökonomischen
Kriterien entschieden, was dann allerdings immer hübsch mit
pädagogischen Floskeln
übertüncht wird.)
Sehr viel mehr aber liegt
es - so scheint zumindest mir - daran, dass man als (Gymnasial-)Schulleiter
- schnell zwischen allen Fronten (Schüler, Eltern, Lehrer,
Bürokratie) zerrieben wird und dabei schnell vereinsamt,
- durch zunehmende kultusbürokratische Reglementierung die
Gestaltungsmöglichkeiten immer geringer werden,
- vor lauter Managment kaum mehr Zeit für Pädagogik
bleibt
(zumindest dann, wenn man 1000
Schüler und 80 Kollegen zu verwalten hat).
Mir fehlen aber auch völlig die Persönlichkeitsmerkmale,
die man wohl als Schulleiter braucht: eine "natürliche" (?) Autorität, Geduld,
Führungsstärke (was immer das sei), ein dickes Fell, Repräsentationsfähigkeiten usw.
(Wenn ein Schulleiter
diese Fähigkeiten hat, habe ich einen Heidenrespekt vor ihm!)
Es gibt aber noch einen
weiteren Grund, weshalb ich den Karriereschritt zum Schulleiter
verpasst habe:
ich habe mich bis zum Alter von 53 Jahren immer für viel zu jung
für dieses Amt gehalten, und erst als Gleichaltrige Karrieren bis in
die Spitzen der Bundespolitik machten (Wulf, Gabriel ...), habe ich
erstaunt
festgestellt, dass "meine Generation dran war" bzw. längst in den
Machtpositionen saß.
Woher nimmt man das Selbstbewusstsein, dass man ein guter
Schulleiter sein wird?
(Viele kommen aus Dummheit
in Machtpositionen: ihnen fehlen jedes Differenzierungsvermögen und jeder Zweifel [am "System" und
sich selbst].
Ein Beleg für die
Dummheit vieler Mächtiger ist nebenbei ihr Abfahren auf Statussymbole,
also ihr plumpes Heischen um Anerkennung nicht für das, was sie sind
oder können, sondern für das, was sie haben [sich "leisten"
können].)
Ich würde mich allerdings auch niemals dazu hergeben, Lehrer zu
kontrollieren oder ihnen Vorschriften zu machen. Ich
glaube halt nicht im mindesten an Vorschriften, sondern
ausschließlich an
Freiheit: die Pfeifen wird man mit Vorschriften nie
erreichen, sondern höchstens, dass sie diese vordergründig
erfüllen (Dienst nach Vorschrift). Mehr noch: durch die immer mehr
zunehmenden (von Phantasielosen erlassenen) Vorschriften werden
durchweg die Falschen, nämlich
Phantasielosen gefördert.
Ich selbst habe zuletzt unter einer exzellenten Schulleiterin
gearbeitet, aber die fünf sonstigen Schulleiter, die ich mehr oder
minder persönlich kenne, waren bzw. sind allesamt
krasse Fehlbesetzungen: sie waren bzw. sind einfach nur karrieregeil.
(Eine Karriere und mehr Geld sind
aber die denkbar schlechtesten Gründe, um Schulleiter zu werden, weil
das völlig unpädagogische Gründe sind.)
Dabei hätten ihre ehemaligen Kollegen dringend vor
ihnen warnen können.
(Aber seit
wann werden denn mal Kollegen gefragt?)
Was also würde ich in meiner unermesslichen Altersweisheit
angehenden Schulleitern empfehlen?:
- Höre (abgesehen von absolut unaufschiebbaren Entscheidungen) die
ersten 100 Tage nur zu. Erkundige dich also, wie verschiedene Dinge bisher
gehandhabt wurden, und führe sie erstmal so weiter.
- Drehe, falls es dir nötig erscheint, nach den 100 Tagen nur zögerlich
an
den ersten
Stellschrauben.
- Mache dich gefasst auf die (wie wohl in allen Führungspositionen)
Einsamkeit des Amtes: viele Gedanken im Kollegium wirst
du nie erfahren.
(Hoffentlich findest du
mindestens einen vertrauenswürdigen Kollegen, der dir sachlich, also
ohne Aufbauschen, aber auch ohne Petzen untergründige Stimmungen im
Kollegium zuträgt.)
Und überhaupt: ab sofort bist du eine
stadtbekannte öffentliche Person, die permanent von allen Seiten
beobachtet wird.
- Sei dir immer deiner Chefrolle bewusst: du bist kein
normaler Kollege mehr
(Untergebene sind keine
Freunde, und man wird es dir eventuell übelnehmen, wenn du Freunde
im Kollegium hast und diese angeblich bevorzugst),
und alles, was du sagst, läuft Gefahr,
(teilweise absichtlich) missverstanden zu werden.
- Sei dir als Vorgesetzter immer klar, dass du für viele Leute
beängstigend bist - und nimm diese Angst ernst, auch
wenn sie unangebracht ist
(oder scheint). Das Dümmste aber ist der Satz "vor mir muss man doch
keine Angst haben".
- Das Schlimmste, was dir in einem Kollegium passieren kann (viel
schlimmer als offene Kritik), sind jene Leute, die "sowieso gegen
alles" sind (und die hinter deinem Rücken permanent stänkern, aber nie
den Mut haben, offen zu reden): solche Leute (und das kann sogar die
erdrückende Mehrheit eines Kollegiums sein) können dich unterm Arm
verrecken lassen, und im schlimmsten Fall schlägst du dann später nur
noch um dich.
- Genauso schlimm: deine neuen direkten Vorgesetzten, also all die
Gestalten in der Kultusbürokratie, die diesen Weg nur gegangen sind, um
nicht mehr unterrichten zu müssen
(über Schule sollte aber
nicht
mitentscheiden, wer nicht mehr selbst unterrichtet, also
die Mühen des Alltags nicht mehr kennt).
- Völlig unbrauchbar sind auch jene naiven und letztlich noch nicht
erwachsenen Kollegen, die jeder Mode
hinterherlaufen - also z.B. der derzeit modischen penetranten Floskel
"individuelle Förderung" (wogegen ja eigentlich niemand ernsthaft etwas
haben
kann!) oder Klippert oder Norm Green ...
- Bequeme Dich (außer in den wenigen Fällen, in
denen du einsam entscheiden musst) eines kollegialen Führungsstils, wenn du nicht
völlig isoliert werden und dich nicht totarbeiten willst:
- Delegiere so viel wie möglich (nicht zu verwechseln
mit "zu etwas verdonnern").
- Die Tage, an denen du am frühen Nachmittag nach Hause gehen
konntest, sind vorbei: sei in der Regel als erster in der Schule und
verlasse sie als letzter (um Organisatorisches zu erledigen und immer
für Gespräche zur Verfügung zu
stehen).
- Deine vornehmste
Aufgabe ist es, im Rahmen der immer enger begrenzten Möglichkeiten Freiheit
zu ermöglichen:
- "lass die Pferde [die kreativen, fleißigen und wahrhaft
pädagogisch denkenden Kollegen] rennen",
- ermutige sie,
- sorge, wenn irgend möglich, für anderweitige Entlastungen
dieser Kollegen,
- statte sie mit (soweit überhaupt vorhanden) Ressourcen
aus,
- verteidige sie gegen Angriffe,
- d.h. halte ihnen weitestmöglich den Rücken frei
(was dir eventuell deinen eigenen
Kopf kosten kann).
Ich weiß, Freiheit läßt sich so einfach
fordern, kann
aber durchaus problematisch werden, wenn kreative Kollegen sich nicht immer an den
allzu eng gestrickten Lehrplan (diesen Käfig für Phantasielose) halten.
- Sammle systematisch alle längst vorhandenen, aber oft im Stillen laufenden
guten Ideen, die im Kollegium vorhanden sind, und mache sie kollegiumsintern
publik (vielleicht wirkt das ansteckend).
- "Was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt",
d.h. suche gezielt nach den Lücken im Gesetz.
- Frage möglichst selten bei deinen Vorgesetzten, also der
Kultusbürokratie nach, d.h. wecke keine schlafenden Hunde.
- Lass die Tür zu deinem Schulleiterzimmer für Schüler, Kollegen
und Eltern immer weit offen (außer, wenn du wirklich mal Ruhe
brauchst oder persönliche Gespräche anstehen).
- Wenn deine Schule in einem „besseren“ Viertel liegt: mach dich
gefasst auf massenhaft penetrante Stinkstiefel unter den Eltern.
- Begib dich in jeder Pause ins Lehrerzimmer und höre
vor allem zu (aber biedere dich nie als ach so guter Freund an).
- Entwickle ein feines Gespür für Notlagen von Kollegen
(du hast ab sofort eine Fürsorgepflicht).
- Wenn Du als Lehrer "nur" Nebenfächer hattest
(und vielleicht nur
deshalb Karriere machen konntest),
wirst du als Schulleiter dazulernen
müssen, wie enorm Kollegen mit
Hauptfächern durch Korrekturen belastet sind, und
im Rahmen der Möglichkeiten für sie Entlastungen
herbeiführen müssen.
- Sorge für eine familiäre Atmosphäre im Lehrerzimmer
(z.B. Weihnachtsgebäck am ersten Advent, Süßigkeiten am letzten
Schultag vor den Ferien und überhaupt ab und zu Blumen).
- Gratuliere zu jedem Geburtstag (und gib an deinem
eigenen was aus), zu jeder Kindsgeburt, jedem Dienstjubiläum usw.
Lehrer sind sensible Pflänzchen und wollen ab und zu gelobt
werden (das gilt insbesondere für "die Stillen im Lande", die man allzu
leicht übersieht).
- Sei äußerst sparsam mit Konferenzen, denn die meisten
Konferenzen sind unerträglich schwachsinnig, und jeder ist froh, wenn
sie möglichst selten stattfinden und dann schnell vorbei
sind.
(Nebenbei: passe mit
deiner Sprache auf, bedanke dich also z.B. nicht dafür, dass alle
Kollegen deiner "Einladung" zu einer Konferenz gefolgt sind, denn eine
Einladung könnte man ja auch ausschlagen. Oder nenne nicht
"[Ziel-]Vereinbarung", was eine Vorschrift ist.)
- Wenn irgend möglich, mache Kollegen nie vor versammelter
Mannschaft zur Schnecke (es sei denn, sie greifen dich unflätig vor
versammelter Mannschaft an).
- Reagiere auf Fehler anderer überlegt und doch zügig.
Lass also die Leute nicht lange in beängstigender Ungewissheit.
- Das sagt sich so einfach: bleibe immer sachlich und ruhig,
explodiere also unter keinen Umständen
(denn dann wirst du zum
Tyrannen bzw. hast sowieso schon verloren; ich weiß, es ist sexistisch,
aber eine
Frau steht dann gleich als Zicke da).
- Glaube niemals, was die Schulpolitik und -bürokratie
verzapfen (auch wenn du gezwungen bist, es umzusetzen).
(Ich befürchte aber,
dass man am Schulleiteramt schnell kaputtgeht, wenn man nicht im
Prinzip hinter dem derzeitigen Schulsystem steht.)
- Jeder Lehrer und Schulleiter sollte die Größe haben, für Fehler
(die jedem mal unterlaufen) um Entschuldigung bitten zu
können, und
zwar vor genau dem Auditorium, vor dem er den Fehler gemacht hat.
- Begehe nicht die peinliche Stillosigkeit, jetzt urplötzlich vollständig
zum "Anzugträger" zu mutieren (bzw. als Frau immer im Kostüm oder Hosenanzug
aufzutreten), sondern mache das vom Anlass anhängig.
(Ich erkenne Kultusbürokraten auf
100 m Entfernung an ihrem Outfit.
Nebenbei:
)
- Kämpfe wie ein Löwe für deine Schüler und dein
Kollegium - und gegebenenfalls im
Rahmen der Möglichkeiten gegen die Schulbürokratie.
- Habe den Mut, von deinem Schulleiteramt zurückzutreten,
wenn du darin unglücklich wirst
(nicht im mindesten das
bewirken kannst, was dir wichtig ist; merkst, dass du ungeeignet bist;
Dinge machen musst, die dir abgrundtief zuwider sind;
überhaupt bin ich dagegen,
dass Schulleiter auf Lebenszeit [bis zu ihrer Pensionierung]
ernannt werden: man muss sie, wenn sie unfähig oder Tyrannen
sind, mit einer Mehrheit der Schulkonferenz auch wieder
loswerden können).
Mit all dem habe ich aber wohl ein Maximalprogramm
aufgestellt, dem
niemand (andauernd) gerecht werden kann.
PS: und dann gibt es noch den Mythos, man könne als Schulleiter etwas
„gestalten“
(oder „anstoßen“ oder „auf den Weg
bringen“ oder blablatschingbumm; vgl. ).