selbstironischer Unterricht
"selbstironisch" heißt nicht würdelos: selbstverständlich sollte einE "guteR" LehrerIn
(wobei dahingestellt sei, ob ich einer bin)
menschliche und fachliche Autorität ausstrahlen - oder genauer: in den Augen der SchülerInnen, die allein solche Autorität zusprechen können, des Respekts in diesen beiden Bereichen würdig sein.
Und "selbstironisch" meint schon gar nicht eine permanente penetrante Witzigkeit à la : nein, man muss auch mal ernst
(es muss einem ab und zu auch etwas heilig)
sein können:
um der SchülerInnen willen, die "ernst genommen" werden wollen,
um der Sache willen, die eben nicht andauernd lustig ist,
, weil man selbst nicht permanent ungemein lustig "drauf" ist.
Selbstironie steht immer auf Messers Schneide:
einerseits sollen die SchülerInnen einen als "auch nur Mensch" kennenlernen
(wenn auch ohne "outing" des Privatlebens),
andererseits soll und darf nicht die Autorität "qua Amt" untergraben bzw. geleugnet werden
(ich kann - so gesehen - durchaus Respekt von SchülerInnen verlangen, und wenn ich anbiedernd die Autorität "qua Amt" leugnen würde, wäre das Betrug an den SchülerInneN, denn am Ende gebe ich eben doch die Zensuren;
allerdings ist die Autorität hohl bzw. einfach nur autoritär, wenn sie nur aus dem Amt gezogen wird).
In manche Köpfe scheint es nicht hinein zu passen, dass Ironie keineswegs immer bösartig sein muss
(aber durchaus ab und zu böse sein darf oder sogar muss),
sondern durchaus auch liebevoll-schmunzelnd sein kann
(man mag sich und andere mit, ja vielleicht sogar ein wenig wegen der Schwächen).
"selbstironischer Unterricht" heißt:
Man ist gerne LehrerIn und lässt auch keinen Zweifel daran, wie wichtig Schule für das berufliche "Fortkommen" der SchülerInnen sowie die Bildung (!) ihrer Persönlichkeit ist
(sein sollte),
aber man nimmt Schule auch nicht allzu ernst, d.h.
man hat als LehrerIn noch ein eigenes Leben jenseits der Schule
(ich glaube tatsächlich, dass es in kaum einem anderen Beruf so wichtig ist, "Weltkenntnis" zu haben),
man hat allergrößtes Verständnis dafür, dass SchülerInnen Anderes viel wichtiger finden
(man war selbst mal jung, ja, ist es - ohne anbiedernde Leugnung des Altersunterschiedes - in gewissem Sinne noch immer).
Man muss auch mal - mit den SchülerInnen zusammen - mächtig über Schule und Fachliches schimpfen dürfen
(z.B. "scheiß Klassenarbeiten" oder "Termumformungen sind vielleicht zwar nötig, aber allemal stinklangweilig).
Man mag seine Fächer, ja, ist regelrecht begeistert von ihnen - und hält sie dennoch nicht für der Weisheit letzten Schluss, d.h.:
"der" Mensch kann prächtig beispielsweise ohne Mathe durchs Leben kommen;
Mathematik oder Deutsch ist ein Schulfach wie jedes andere auch, also bestimmt kein Haupt- und schon gar nicht ein Kernfach;
es ist ein bisschen arg viel verlangt, dass SchülerInnen alle Fächer lieben müssen
(wobei "lieben" und "müssen" sowieso einen Widerspruch bilden)
- und insbesondere die, die man selbst unterrichtet.
All das impliziert auch, dass man die Aversionen gegen die von einem selbst unterrichteten Fächer durchaus versteht
(teilweise sogar selbst hat)
und mitbenennt.
Ein Beispiel: es gibt allerbeste Gründe, von dem
"Altmeister... Dichterheros... Neuschöpfer der deutschen Dichtung... Großer Dioskur von Weimar... Wiederbeleber der Antike..." (vgl. Egon Friedell / Alfred Polgar: Goethe), also Goethe,
abgestoßen zu sein, aber das heißt noch lange nicht, jetzt in den Chor jener Dumpfbacken einzustimmen, die es ach so lustig finden, sämtliche Genies in den Dreck zu ziehen (die Rache der Dummen).
Zwar ist gründlich einer bayerischen Kultusbeamtin zu widersprechen, die mal sagte: "Schule ist nicht dazu da, Spaß zu haben." Doch, es wäre zumindest schön
(und würde allemal das Lernen verbessern),
wenn Schule (Fachunterricht!) zumindest ab und zu richtig knallepeng Spaß machen würde.
Gleichzeitig heißt Selbstironie aber auch zu wissen, dass Schule
(und damit meine ich jetzt nicht mal deren stramm autoritäre Version)
für SchülerInnen schon immer "nicht gerade prickelnd" war.
Nebenbei mache man sich auch mal davon frei, dass insbesondere in Deutschland alles ganz [besonders] schrecklich ist:
"We don't need no education
We dont need no thought control
No dark sarcasm in the classroom
Teachers leave them kids alone
Hey! Teachers! Leave them kids alone!
All in all it's just another brick in the wall.
All in all you're just another brick in the wall."ist schließlich ein englisches Lied; vgl. auch , wobei solche Hinweise auf die Verbrechen anderer Länder ja nie eigene Verbrechen rechtfertigen/relativieren.
"Selbstironischer Unterricht" bedeutet auch, dass Unterricht nicht immer bierernst, "problematisch" und moralinsauer sein muss
Es heißt nicht, die eigene konkrete Schule unsolidarisch schlecht zu machen, wenn man dennoch deren
(und damit die eigenen)
Grenzen zeigt
(vgl. oben "sein sollte").
(Selbst-)Ironie bedeutet also auch, dass man zwar nicht alles am Schulsystem schlecht findet, aber dennoch allemal seine Grenzen sieht - und sich Besseres vorstellen kann (es ab und zu versucht).
Selbstironie bedeutet auch und vor allem, dass man die eigenen Fehler und Macken weder übertüncht noch (umgekehrt) exhibitionistisch ausstellt, aber doch eingestehen, ja, manchmal sogar vorführen kann.
Wie sollen SchülerInnen denn eine neue "Fehlerkultur" lernen, wenn der Lehrer nie Fehler macht? Oder umgekehrt: erst wenn der Lehrer ab und zu amüsiert eigene Fehler zugibt, werden sie normal - und trauen sich auch SchülerInnen, welche zu machen.
"eigene Fehler eingestehen" kann heißen, dass
man (als LehrerIn) auch mal SchülerInnen für eigenes Fehlverhalten um Entschuldigung bittet;
beispielsweise im Deutschunterricht der Lehrer nicht mehr die einzig wahre, endgültige Interpretation vorgibt, sondern
sich gerne mal von SchülerInneN eines Besseren belehren lässt
und überhaupt
(und das macht Kunst doch überhaupt erst aus!)
mehrere begründete Interpretationen zulässt, ja, sogar provoziert;
man gerne zugibt, dass man auch nicht alles weiß (schon gar nicht auf Anhieb), seine Wissenslücken also durchaus mal regelrecht ausstellt bzw. sich als immer noch Suchender und Forschender "outet";
man nicht das geringste Problem damit hat, vor KollegInnEn wie SchülerInnen offen zuzugeben, dass einem die eine oder andere Schulstunde gründlich misslungen ist (und warum) und der eigene Unterricht sowieso nicht der Weisheit letzter Schluss ist.
(Selbst-)Ironie bedeutet auch, dass man an keinerlei pädagogische Patentrezepte
(seien es "neue" Methoden, "neue Medien" und insbesondere die derzeitige Bildungspolitik)
glaubt.
(Selbst-)Ironie bedeutet, dass man "Schule" ab und zu für ein höchst merkwürdiges Biotop und eine herrlich uabsurde Veranstaltung hält
(ein Außenstehender müsste sich darüber doch eigentlich genauso kaputtlachen, wie ich es beispielsweise bei einer hochfeierlichen Chefarztvisite im Krankenhaus tue).
Selbstironie heißt zuguterletzt auch, dass man sich frohgemut bewusst ist, dass man ersetzbar ist und keiner einem großartig eine Träne hinterherweinen wird
(wenn´s hoch kommt
[und das ist nicht wenig!]
hat man in seinem Kollegium zwei oder drei wirkliche Freunde - und hinterlässt man bei ganz wenigen SchülerInneN positive Spuren, von denen man allerdings höchst selten erfährt).
(Nur) wer selbstironisch ist, wird auch mal gegenüber anderen ironisch sein dürfen.
Ein Beispiel: wer noch weiß und laut sagt, wie bescheuert er selbst in der Pubertät manchmal war, wird auch gewisse Westentaschenminimachos in der Mittelstufe imitieren dürfen, nämlich grunzend und die Brust trommelnd wie ein Gorillamännchen.
Wenn Ironie und vor allem Selbstironie Zeichen
(vielleicht sogar wichtigstes Kriterium)
von Intelligenz sind, so macht selbstironischer Unterricht eben auch blitzgescheite Intelligenz vor - und damit vielleicht auch attraktiv.
Ebenso macht Selbstironie
(und das ist eine der wichtigsten Aufgaben von Schule!)
Distanz zu (den eigenen) vorgefassten Meinungen vor - und wiederum attraktiv?