das Seminar-Unwesen

  hübsch zugespitzt und arrogant:

„Philosophie lernt man dadurch, dass man zusieht, wie es gemacht wird: das ist in vielen anderen Fächern genauso. Deshalb sind Seminare für die Philosophie so sehr und besonders ungeeignet, weil sie Versammlungen von Leuten sind, die gemeinsam nicht wissen, wie es gemacht wird.“
(Hans Blumenberg)

Nach meiner Frühpensionierung habe ich nun

(mit dem Wintersemester 2017/18)

ein „Studium im Alter“ aufgenommen - und nach wenigen Besuchen einer Vorlesung und zweier Seminare erstmal umgehend wieder beendet.

Die Seminarthemen und Dozenten meiner ersten erneuten studentischen Gehversuche möchte ich dabei mal unerwähnt lassen, denn sonst könnte sich noch jemand wiedererkennen und (zurecht) angegriffen fühlen.

Für Nicht-Akademiker muss ich aber wohl erstmal die beiden wichtigsten Arten der universitären Lehr- und Lernveranstaltungen erklären:
  1. gibt es „Vorlesungen“, in denen ein Dozent (meist Professor) mehr oder (meist) minder frei eine Art Rede hält:
„Wenn alles schläft und einer spricht,
Den Zustand nennt man Unterricht [bzw. Vorlesung].“
(Wilhelm Busch)
  1. gibt es „Seminare“, die im besten Fall wie guter Schulunterricht ablaufen: da
(wie in Vorlesungen)

die ganze Zeit einer (ein Dozent) eine Rede bzw. Frontalunterricht,
(evtl. nach „Redeeinlagen“ bzw. „Impulsreferaten“ sei‘s des Dozenten, sei‘s von studentischen Referatgruppen)

ein „Unterrichtsgespräch“ vieler.

Soweit die schöne Theorie - und damit zur Wirklichkeit anno 2017:
(wohlgemerkt für Studienanfänger!),

die ich wenige Mal besucht habe, lief das nun aber so: die Professorin las die ganze Zeit monoton und mit nichterklärten Fachbegriffen gespickt vom Blatt ab, wobei ab und zu

(das einzig Neue seit meiner Studienzeit:)

per Beamer Bilder eingeblendet wurden. Weil aber die Universität heutzutage teilweise hochmodern über das Internet läuft, war der Vorlesungstext der Professorin dort auch zum Nachlesen abrufbar. Und siehe da: die Professorin verlas in ihrer Vorlesung exakt den auch im Internet erreichbaren Text: die Studenten konnten sich den Besuch der Vorlesung also komplett sparen.
unglaublich, aber das lief in beiden Seminaren just wie „zu meiner Zeit“:
  1. wurde in jeder Seminarstunde ein Basistext behandelt, den aber viele Studenten offensichtlich gar nicht gelesen oder zumindest nicht dabei hatten;
  2. waren die Basistexte zudem offensichtlich für Studienanfänger viel zu schwierig, und das insbesondere, wenn sie auf Englisch waren;
  3. wurden die Basistexte immer in Referaten
(inzwischen obligatorisch mit Powerpoint und einem vorher verteilten „handout“)

von kleinen Studentengruppen vorgestellt: diese Studentengruppen waren die einzigen, die die Basistexte gelesen und halbwegs verstanden hatten;
  1. zogen die sonstigen anwesenden Studenten sich die Referate schweigend und offensichtlich desinteressiert rein und ging ihnen wohl alles zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus;
  2. wurde am Ende von den Referatgruppen verzweifelt eine Diskussion zu initiieren versucht, aber da die sonstigen Studenten nicht vorbereitet waren und wohl auch nicht zugehört hatten, endete alles in Schweigen und mischte sich dann in einer gewissen Verzweiflung der Dozent ein
(und ich saß schweigend da, weil ich nicht der greise Klugscheißer sein wollte, und kochte innerlich vor Interesse und Enttäuschung).

Nun könnte man all das natürlich den blöden, desinteressierten und faulen „Studenten von heute“ zum Vorwurf machen. Hellhörig sollte einen aber doch machen, dass das in meiner Studienzeit, also vor über 30 Jahren, alles schon genauso war. Mir scheint also, dass eher das nach wie vor übliche Konstruktionsprinzip von Seminaren der Grund ist: das Abhandeln eines Textes nach dem anderen und das ewige Referatehalten bringen‘s halt nicht!

Den Vogel schoss aber ein Dozent ab, der zwei Referentinnen nach einem in der Tat siebtklassigen Referat vor versammelter Mannschaft einstampfte

(was natürlich gar nicht geht).

Der Witz dabei war, dass dieses Seminar von der (Schul-)Didaktik eines Schulfachs handelte, der Dozent aber alles andere als didaktisch handelte, ja, offensichtlich auf alle Didaktik pfiff

(denn schließlich ist man ja was Besseres, nämlich - trara! - Wissenschaftler!).

Und überhaupt ließ dieser Dozent in sämtlichen Seminarstunden „einfach nur“ Ausschnitte aus seiner eigenen Doktorarbeit referieren: einer Doktorarbeit, die mit modischem Fachjargon aufgemotzt war

(woran man verlässlich den Ignoranten erkennt),

aber keine einzige eigene Idee enthielt - und für die der Dozent von mir niemals seinen Doktortitel bekommen hätte.

(Wo ich
da hat ein Doktorant allen Ernstes eine Doktorarbeit über Interviews mit Referendaren über Videokonferenzen geschrieben!)

Natürlich geht es eigentlich nicht an, meine neuen Erfahrungen mit nur drei Studienveranstaltungen zu verallgemeinern
(und ich will ja sowieso nicht bezweifeln, dass es unter Wissenschaftlern auch ganz hervorragende Didaktiker gibt, denen Forschung und Lehre sehr am Herzen liegen;

und es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass einige Universitäten das Problem inzwischen immerhin ansatzweise angegangen haben, indem sie
aber ...

... die Universitäten haben seit meiner Studienzeit in Sachen „Lehre“ nichts dazugelernt!

Es war und bleibt skandalös!


PS: ich habe als Lehrer immer redlich versucht, den Schülern
  • das Abhalten schnarchlangweiliger Referate
  • und die kreuzbrave Übernahme von
(soweit für die Schüler erkennbar)

Unverstandenem und Unkonkretem

gründlich auszutreiben,

und

          (genauer: die darin enthaltenen "Sachgeschichten")

als adäquaten und keineswegs kindischen Zugang empfohlen.