der Sozialdarwinismus, er lebe hoch
Christus war kein Christ,
und Darwin war kein Darwinist (schon gar nicht Sozialdarwinist):
"survival of the fitest" ist ganz was anderes als "das Recht [?] des Stärkeren"
Inzwischen bin ich alt genug, um heftig darüber zu schmunzeln, "wie sich die Zeiten ändern" und das Pendel hübsch regelmäßig vom einen ins andere Extrem ausschlägt
(wodurch ja immerhin auch die Hoffnung genährt wird, dass der heutige Schwachsinn schon morgen korrigiert wird):
"zu meiner Zeit", also in den Seventies, war jeder, der halbwegs intelligent war, "links", d.h. er glaubte fest, dass
"das System" zwar versteinert, aber eben doch durch "Revolution" zu kippen war
und überhaupt alle Probleme gesellschaftlich bedingt, somit also auch durch sozialen Wandel zu beseitigen waren:
"die" Zeiten waren also grundoptimistisch - und was waren "wir" herzhaft naiv
(unbeleckt von jeder ökonomischen Kenntnis),
so dass ich im Nachhinein doch sehr über mich schmunzeln muss!
heute hingegen
herrscht das Diktat der "freien" Marktwirtschaft
und ist sowieso alles genetisch bedingt:
"Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!" (Brecht), und der Verzweiflung wird nur eine grinsende Hochglanzfassade vorgehängt.
Geradezu symptomatisch für den Zeitenwandel ist die Behandlung des Themas "Disziplin":
es war falsch, dass sie früher grundsätzlich als "preußische" Tugend denunziert wurde, also als "Sekundärtugend, mit der man auch ein KZ betreiben kann" (Oskar Lafontaine);
doppelt falsch ist es aber, wenn
heute pauschal sämtlichen Jugendlichen Disziplinlosigkeit unterstellt wird
(was dann beispielsweise zu der herrlichen absurden Folge hatte, dass ein Lehrerkollegium an einer Schule mit - das gibt´s noch! - kreuzbraven SchülerInneN in [nur] Unpünktlichkeit den Ausbund an Disziplinlosigkeit und überhaupt den Untergang des Abendlandes erkannte),
mit keinem Wort mehr erwähnt wird, dass Disziplin eine "Sekundärtugend [ist], mit der man auch ein KZ betreiben kann".
Se|lek|ti|on [...zion; lat.] die; -, -en: 1. Aussonderung, Auswahl. 2. Auslese, Zuchtwahl (Biol.) [...].
(© Duden)
Jüngst bekam ich einen (ansonsten rundweg positiven) Leserbrief auf meine Internetseiten, in dem mir als Lehrer dann der Tipp gegeben wurde:
"Falls Sie gerne motivierte Schüler effektiv unterrichten möchten, dann sollten Sie einen Filter setzen. Selektieren Sie Ihre Schüler genauer. Damit ist Ihnen und auch allen anderen geholfen. Sie haben mehr Freude am Unterricht, Ihre Schüler lernen mehr und der Allgemeinheit stehen mathematisch besser ausgebildete Menschen zur Verfügung."
(Hier sei mal völlig davon abgesehen, wie genau ein Lehrer im Rahmen der nun mal bestehenden Möglichkeiten die vorgeschlagene "Selektion" durchführen soll.)
Das hätte in den Seventies niemand so zu sagen (wohl aber zu denken?) gewagt, denn das hätte sich elitär, also reaktionär bis geradezu konterrevolutionär angehört.
Oh doch, das "darf man" sehr wohl so sagen, und ich will hier auch die Worte ("Selektieren", "der [?] Allgemeinheit") nicht auf die Goldwaage legen
(denn sonst dürfte man gar nichts mehr sagen).
Selbstverständlich muss es auch eine Förderung der Intelligenteren bis geradezu Hochbegabten geben!
Sozialdarwinistisch wird es allerdings, wenn man
die gute alte fehlende (von Anfang an vermasselte) "Chancengleichheit" nicht erwähnt,
nicht ergänzt, was mit jenen passieren soll, die durchs Sieb fallen:
auf welche Schulen sollen sie denn gehen
(oder sind sie nur der "Ausschuss", den man Real- und HauptschullehrerInneN überlässt?),
was sollen sie da "positiv" lernen
(also eben nicht nur "Gymnasium minus x"),
welche menschenwürdigen Lebens- und Berufswege sollen ihnen denn offen stehen?
Genau über letztere Fragen machen sich die Befürworter des Elitedenkens
(die natürlich immer [fälschlich] voraussetzen, sie selbst seien Elite)
nie Gedanken:
sie wollen (typisch bürgerlich) immer nur ihre Kinder versorgt wissen
"nach uns die Sintflut"
für das Grauen "da unten" in der Gesellschaft fehlt ihnen sowieso jegliche Phantasie
(sie erleben ihre Chancen immer nur als ihr eigenes Verdienst und nie einfach als Geschenk).
"Bildung ist nicht für alle da!
Alle reden von Bildung für alle, damit Deutschlands Zukunft gesichert ist. Politiker und Bildungsbeauftragte fordern, dass Unterschichten und Migranten verstärkt Zugang zu höheren Schulen und Universitäten haben sollen. Zugleich werden Hauptschulen geschlossen, die Gymnasialzeit verkürzt, und den Zugang zur Hochschule gibt es nur gegen Bares. Denn nach wie vor sind wir alle überzeugt: Wer es nur wirklich schaffen will, kann es auch schaffen.
Dass bildungsferne Kinder in unserem dreigliedrigen Schulsystem benachteiligt sind, ist keine neue Erkenntnis, sagt Bruno Preisendörfer. Wohl aber, dass dieser Zustand beabsichtigt ist. Mit Verve und bissiger Ironie entlarvt er die Sonntagsreden der Politiker und anderer Privilegierten, die in Wirklichkeit gar nicht wollen, dass diejenigen, die gern als ›Bildungsreserve‹ bezeichnet werden, wirklich Bildung erfahren. Denn die Konsequenzen für die Kinder des Mittelstands und des Bürgertums liegen auf der Hand: Wo die einen hinzukommen, ist für die anderen kein Platz mehr — egal ob im Gymnasium, an der Universität oder bei der Karriere."