surfen & scrollen
(, 28./29.1.06)
Es sei hier ja gar nicht in Zweifel gezogen, dass es - bei sinnvollem Umgang - eine Menge brauchbarer Einsatzmöglichkeiten von Computern inkl. Internet im Unterricht gibt (gäbe?):
Erkundung virtueller (anderweitig nicht zugänglicher) Realitäten mittels Simulationen,
Tabellenkalkulation,
CAS (Computer-Algebra-Systeme),
Produktion fürs Internet
(mit zwei Problemen:
wen interessiert´s, was die von-Posemuckel-Schule in Pusemuckel produziert?
darf ein Lehrer eh nicht unbesehen ins Internet gehen lassen, was die SchülerInnen produzieren: inhaltlich nicht, aber auch die gängige Rechtschreibe- und Zeichensetzungskatastrophe nicht),
sowieso simples Schreiben (Word ...),
Austausch mit anderen Schulen, die zum selben Thema arbeiten und da evtl. vor Ort sind,
...
aller Fächer bzgl. Computer/Internet ist aber wohl die "Internetrecherche" zu anstehenden Unterrichtsthemen
(oder zu Spezialthemen bzw. Exkursen, also Referaten).
Nun gibt es zwar einen falschen Aktualitätswahn
(als wenn die SchülerInnen immer den denkbar aktuellsten Informationsstand bräuchten - und allein dadurch der Unterricht interessanter würde!
... und überhaupt zeugt der Aktualitätswahn immer nur von Geschichtsblindheit oder einem Leugnen von Geschichte wie überhaupt längerfristiger Vorgänge),
aber zweifelsohne hat das Internet den enormen Vorteil, inzwischen fast jederzeit und überall zugänglich zu sein: das vielzitierte "katholische Mädchen vom Lande" hätte ohne das Internet
(und zwar insbesondere dann, wenn die Schule gar keine Bibliothek hat oder nur eine schlechte; bzw. wenn die Schulbibliothek zugunsten einer [Computer-]"Mediothek" vernachlässigt wurde)
mangels zugänglicher Bücher überhaupt keine Chance, an über die Schulbücher hinausgehende Informationen zu kommen.
(Umgekehrt finden die SchülerInnen im Internet aber oftmals allzu schnell, nämlich - s.u. - den erstbesten Google-Eintrag und Halb- und Unvertandenes, aber prompt Akzeptiertes.)
Hier sei also vorausgesetzt, dass die "Internetrecherche" der Normalfall der Computernutzung in Schulen ist.
Wie nun aber erfolgt solch eine Internetrecherche üblicherweise in Schulen?:
der Lehrer kommt in den Klassenraum und sagt: "Heute gehen wir in die Mediothek."
Daraufhin bricht
(weil SchülerInnen ja sowieso scharf auf alles Rechteckige [Fernsehen, Video, Computer] sind und das allemal interessanter als der übliche [sterbenslangweilige?!] Unterricht ist)
ein allgemeiner Jubelschrei aus, springen die SchülerInnen auf und packen lautstark ihre Sachen,
so dass die genauere Arbeitsanweisung des Lehrers
(z.B. "recherchiert mal zu »Goethe«")
sowieso untergeht.
In der Mediothek angekommen, herrscht allgemeiner Trubel
(Computer hochfahren, schon alle irgendwie zugänglichen Programme, vor allem aber den Browser öffnen, am besten schon Los-surfen&scrollen),
so dass nur ein Teil der SchülerInnen die (erneute) Arbeitsanweisung des Lehrers mitbekommt.
Dann aber wird drauflos gesurft & gescrollt, was das Zeug hält:
Die braveren bzw. interessierteren SchülerInnen halten sich tatsächlich ans Thema,
finden mangels Suchkriterien aber kaum hilfreiche Texte
bzw. schreiben, wenn sie ganz besonders bienenfleißig sind, alles und jedes (Halb- und Unverstandenes) ab bzw. drucken es stapelweise aus (ohne es je zu lesen?).
Überhaupt ist es ihnen weitgehend egal, welche Internetseiten sie finden
(abgesehen von hochwissenschaftlichen - und bildlosen, die sie sowieso sofort überspringen),
d.h. die Quelle bzw. die Urheber einer Seite und damit ihre Seriosität
(ein schönes Beispiel: http://www.deutsche-schutzgebiete.de/ ?! )
werden vollständig ignoriert
(weil sie den SchülerInnen nichts "sagen", aber auch, weil sie oftmals gar nicht erkennbar sind).
Es wird alles sofort geglaubt, denn
"Es steht doch so im Internet."
"Was du schwarz auf weiß besitzest,
kannst du getrost nach Hause tragen."
Sowieso "ergoogeln"
(denn andere Suchmaschinen als Google sind ihnen meist eh nicht bekannt)
die SchülerInnen sich nur die zufällig ersten zehn von 11.400.000 Suchmaschinenmeldungen.
Andere SchülerInnen aber
(und darunter insbesondere die selbsternannten "Computerprofis", die meist allerdings auch nur surfen & scrollen können)
nutzen jede Möglichkeit, um "auszubüxen", d.h. vom Thema weg zu surfen
(oftmals nur ein Surfen um des Surfens willen, also ohne Ziel, sondern einfach nur fasziniert von der "Bewegung")
und auf ihnen interessanter scheinende oder gar
(immer eine nettes Spiel mit dem Lehrer!)
"provokative" Internetseiten zu kommen.
... wogegen es natürlich feine "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser"-Mittel gibt, nämlich Programme wie "Mastereye" (ab sofort "Vision"!!!) oder "Inis", mittels derer der Lehrer
jeden Schülerbildschirm auf seinem Lehrerbildschirm einsehen
oder gar
(zwecks "öffentlicher" Beschämung der entsprechenden SchülerInnen)
jeden Schülerbildschirm auf eine Projektionswand "beamen" kann
(... und überhaupt nicht mehr von seinem Platz aufstehen und mit den SchülerInneN sprechen muss/darf).
Schon gar nicht interessiert solche SchülerInnen irgendwelcher (gar längerer) Inhalt, soweit man unter "Inhalt" Texte versteht.
(Wie oft habe ich mir von SchülerInnen anhören müssen, dass meine InternetTEXTE zu TEXTlastig seien!
[... und es gibt ja durchaus auch Erwachsene, die höchstens noch Texthäppchen ertragen]
... woraus auch folgt, dass viele SchülerInnen, wenn ihnen eine Seite nicht auf Anhieb ins Auge [!] springt, nicht mal mehr "runterscrollen", sondern sofort weitersurfen.)
Eine schöne Spiegelung solchen Unterrichts erlebe ich immer, wenn SchülerInnen von LehrerInneN über meine
(gar nicht für SchülerInnen gedachten und sowieso nicht 1:1 einsetzbaren)
Internetseiten gejagt werden: dann gehen im Sekundentakt einfach nur blöde bis unflätige Einträge in meinem Gäste"buch" ein
(die ich natürlich sofort wieder lösche).
Und sowieso kommt bei solchen Internet"séancen" nichts Brauchbares raus.
So naiv kann man doch gar nicht sein
(oder sind viele LehrerInnen - und gerade die Computerfreaks unter ihnen - eben doch?),
sich über all das noch zu wundern, sondern man hat es als Voraussetzung jeder weiteren "Medienpädagogik" zu akzeptieren: viele SchülerInnen nutzen das Internet ganz anders und aus ganz anderen Gründen als "wir".
(Internet heißt für die meisten SchülerInnen: Grafik, Animationen [also "eyecatcher"], Sound, schnelle Spiele - und Text höchstens in fast analphabetischer Chatform.
Bzw. ich lese ja auch kaum längere Texte im Internet, sondern wenn überhaupt, so drucke ich sie mir, wenn sie interessant zu sein scheinen, aus und lese dann die Ausdrucke.
Und überhaupt: man beobachte mal LehrerInnen auf Computerfortbildungen: auch sie surfen & scrollen bis zum Abwinken.)
Das Internet (gerade mit den Surfmöglichkeiten) ist
(wie "Windows", also Fenster, die zu einer anderen Welt geöffnet werden)
ein Riesenversprechen, dass "gleich hinter der nächsten Ecke" noch was Großartiges kommt ... und enttäuscht doch andauernd dieses Versprechen bzw. lässt es ins endlos Leere laufen:
Das - so behaupte ich einfach mal - ist der Mediennutzungs-Alltag in vielen Schulen:
"Laut: wir haben einen tollen Vorzeige-Computerraum.
Leise: ... aber keinerlei Medienpädagogik."
Ich spare mir hier (feige?) genauere Vorschläge zu solcher "Medienpädagogik", bzw. mit den Problemen wurde ja auch schon teilweise angedeutet, wo solche "Medienpädagogik" ansetzen müsste, nämlich z.B.
klarer (am besten gemeinsam erarbeiteter) Arbeitsauftrag (statt "Goethe")
(nebenbei: der Lehrer sollte halbwegs wissen [vorgesurft haben], was die SchülerInnen bzw. ob sie überhaupt Sinnvolles finden können;
und es ist auch keineswegs gleich Diktatur, wenn man den SchülerInnen Internetadressen [z.B. Startpunkte] vorgibt),
wie sucht man sinnvoll?
woran erkennt man hilfreiche Texte?
wie exzerpiert man sinnvoll
...
Zum großen Teil sind das allerdings Fähigkeiten, die auch ohne Computern gelernt werden können - und müssen.