voreilige Antworten in Frage stellen
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Einerseits suchen Jugendliche spätestens in der Pubertät
(dieser äußerst schmerzhaften, aber zu 100 % heilbaren Krankheit, die vieles erklärt, aber nichts entschuldigt)
zwecks Herausbildung ihrer Individualität(en) klare Positionen und Rollen
(z.B. "gilt" dann nur eine Musikrichtung, und alles andere wird verdammt),
brauchen sie also Sicherheiten und darf Schule diese nicht leichtfertig untergraben.
Andererseits:
eine gute Schule bestünde geradezu darin, andauernd fast schon anarchistisch die Sicherheiten zu untergraben: "how can you be so sure?" |
und das keineswegs nur aus ideologischen, sondern auch aus rein "wissenschaftlichen" Gründen:
selbstverständlich muss Schule (vordergründig nur in den Geisteswissenschaften) jegliche Ideologie probeweise in Frage stellen, also beispielsweise
"die Arbeitslosen sind doch alle nur zu faul zu arbeiten"
oder auch die derzeit gängige Totalvereinnahmung der Schule für ökonomische Zwecke.
gleichzeitig muss Schule und jedes Fach aber auch nach der jeweils eigenen Ideologie suchen, also beispielsweise nach dem, was Mathematik eigentlich "ist" (unfehlbar?) bzw. wozu sie "gut" ist (zur Auslese von SchülerInnen?). In Frage steht also auch die "(natur-)wissenschaftliche [und mathematische] Rationalität".
(Nebenbei: es widerspricht sich keineswegs, einerseits nach den Einseitigkeiten und Gefahren solcher Rationalität zu suchen und andererseits dennoch an sie [oder aufgeklärte Rationalität; was immer das sei] zu "glauben".)
Gerade die Naturwissenschaften sind Kronzeuge dafür, dass die vorschnellen Antworten oftmals nicht richtig liegen. Nur ein Beispiel:
entgegen aller alltäglichen Erfahrung dreht sich nicht die Sonne um die Erde, sondern die Erde um die Sonne
(wobei ich hier die - ebenfalls in Schule zu vermittelnde - eingeschränkte Bedeutung von Theorien mal weglasse).
Das Beispiel zeigt nicht bloß eine Ausnahme (einen "Schönheitsfehler"), sondern geradezu eine spezifische Eigenart der Naturwissenschaften: der Schein trügt oftmals, der "gesunde Menschenverstand" liegt leider oftmals falsch, und Wissenschaft ist Um-die-Ecke-Denken - und Abstraktion (vom ersten Eindruck):
Auf "Geisteswissenschaften" übertragen:
"»Gut« ist oftmals das Gegenteil von »gut gemeint«"
bzw. "und 1. kommt es anders, und 2. als man denkt":
vorschnelle und einseitige Ansichten bzw. Maßnahmen berücksichtigen oftmals nicht
die Komplexität des Problems,
die Wechselwirkungen, Regelkreisläufe und Rpckkopplungen
und führen damit oftmals zum Gegenteil des anfangs Beabsichtigten.
Keine Ahnung, wie man die Lust (!) daran, voreilige Antworten in Frage zu stellen, vermittelt (vorlebt?!).
Bzw. hier nur zwei erste Antworten:
typische Kinder- und Anfängerfragen sind bestens geeignet, unsere (der LehrerInnen) eigenen (vermeintlichen) Sicherheiten in Frage zu stellen - wenn wir nur zuhören würden;
oder beispielsweise
oder
Das übliche Bild von Schule ist, dass sie den SchülerInnen Neues, ihnen bis dahin Unbekanntes bei(!)bringt. Was darüber aber meist vergessen bzw. ignoriert wird, ist, dass sie schon Vieles mit(!)bringen, nämlich
zumindest anfangs auch viel Neugierde und Wissbegierde (die dann zerstört werden?),
viele hilfreiche Alltagserfahrungen, an denen Wissenschaft anknüpfen bzw. von der sie ausgehen könnte (könnte, könnte, könnte ...),
aber eben auch viel falsche Sicherheiten,
sei's Angelesenes (inkl. Fernsehen),
sei's weltanschauliche Vorgaben des Elternhauses oder der Medien.
Das sagt sich so einfach (und gerne überheblich): "voreilige Antworten in Frage stellen": wir alle (also auch LehrerInnen) haben unsere biografisch und historisch bedingten "Denkraster", aus denen wir nur schwerlich (wenn überhaupt) heraus können:
"Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein."
(Und dennoch erleben wir SchülerInnen oftmals als "festgefahren", uns selbst aber als "unheimlich offen" - und verbitten es uns "von Amts wegen" [trauen es uns aus Angst vor Autoritätsverlust nicht], uns von SchülerInneN in Frage stellen zu lassen.)
Ja sogar die wirklich großen "Denk-Revolutionäre" hatten bei der Überwindung ihrer Denkmuster ihre lieben Schwierigkeiten (vgl. ).
Vielleicht ist nicht mehr erreichbar, also eine gewisse Bereitschaft zum "Hinterfragen" vermeintlicher Sicherheiten - gemischt mit andauernder Neugierde.
Ein hübsches (keineswegs neues) Mittel, um gute pädagogische Ideen tot zu reiten, besteht darin, sie phasenweise als Patentrezept zu "verkaufen", also modisch zu überreizen. Heute ist das beispielsweise beim "Stationenlernen" der Fall - und vor einigen Jahren lief das so mit dem "problemorientierten Unterricht" und den "kognitiven Konflikten":
Definition und Variablen der kognitiven Dissonanz Damit kognitive Dissonanzen, die einen Lernprozess anbahnen und fördern, konstruiert werden können, scheint es sinnvoll, folgende Definitionen zu nennen:
Im Wesentlichen lassen sich folgende didaktisch zu nutzende Formen kognitiver Konflikte unterscheiden.
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Andauernd wurden die SchülerInnen in (oftmals an den Haaren herbeigezogenen) "kognitive Konflikte" getrieben, bis sie vollends gaga waren, und "ihre" Konflikte wurden es in den allerwenigsten Fällen.
Und dennoch ist und bleibt der "kognitive Konflikt" noch immer das beste Mittel, um die SchülerInnen dazu zu "verführen", voreilige Antworten in Frage zu stellen.
Nur woher all die "kognitiven Konflikte" nehmen?
Kommt hinzu, dass "kognitive Konflikte"
oftmals besserwisserisch sind ("ich, der Lehrer, weiß es besser")
(obwohl doch erste Schülererklärungen oftmals auch richtig sind; beispielsweise ist es an den Polen der Erde auch deshalb kälter als am äquator, weil sie weiter von der Sonne entfernt sind, nur ist dieser Effekt marginal),
in den "Geisteswissenschaften" oftmals vor lauter Moral triefen ("ihr denkt falsch - und schlecht"),
wiederum in den "Geisteswissenschaften" oftmals schizophren "gelöst" werden ("der Achmed von der Dönerbude umme Ecke ist ja ganz nett - aber ansonsten: Türken raus!")
Ich sagte oben erstens, Schule dürfe Sicherheiten (an denen Jugendliche Halt finden) nicht leichtfertig untergraben. D.h. sie darf SchülerInnen nicht bloß einsam zwischen den Trümmern des "Dekonstrukierten" stehen lassen, sondern muss gleichzeitig auch
(ohne genauere Erklärung:) lebenswerte Sicherheiten bieten; oder besser noch: sie müssen vorgelebt werden,
Freude am Auflösen vermeintlicher Sicherheiten "beibringen", so dass dieses Auflösen als Befreiung von Dogmatismus empfunden wird:
Und zweitens sagte ich oben in einer Mischung aus Konjunktiv potentialis/optativ/irrealis, Schule "bestünde" geradezu darin, Sicherheiten zu untergraben: mir scheint eher, dass sie im Regelfall das glatte Gegenteil tut, nämlich scheinbare (unverstandene) Sicherheiten verfestigt.