bienenfleißige
-Mädchen
Ich habe nichts gegen Volvic-Mineralwasser
(aber Kraneberger
ist mir lieber als jedes Mineralwasser).
Ein Mann in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts:
"Die Zeiten sind so
bescheuert. Irgendwann gibt es noch Wasser in Flaschen."
(Nebenbei: Wasser in
Flaschen ist überhaupt erst nach einer gigantischen Werbekampagne
nicht mehr als überflüssig wie ein Kropf, sondern sogar als
wünschenswert angesehen geworden.)
Vorweg, damit klar wird, dass ich nicht völlig blind in die „Gender-Falle“ getappt bin:
(Nebenbei: der Link führt auf eine stramm rechte, offensichtlich AfD-nahe Internetseite, die interessanterweise aus London betrieben wird - um der deutschen Justiz zu entgehen?)
Diese Gleichsetzung mit der inzwischen in weiten Teilen rechtsradikalen AfD und ihrer verbiesterten Frontfrau verbitte ich mir aber!
(... und das dann sogar beim „Deutschlandfunk“,
[wie alle möglichst schnell zu beseitigenden öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten]
als Speerspitze der „Lügenmedien“ ansehen werden,
(wie unten noch an einem Beispiel gezeigt wird);
(vgl. allerdings auch die Kritik an dieser Diagnose: ; und überhaupt ist es ja vielleicht doch ein schlaues Ablenkungsmanöver, den Spieß einfach umzudrehen);
da freut es einen ja schon wieder, wenn eine Frau gesagt hat:
(aus dem Buch mit dem vielsagenden Titel ; eigentlich ist es aber doch egal, wer [also eine Frau oder ein Mann] etwas sagt);
(wobei ich hoffe, dass diese Diagnose genauso böse wie „Volvic-Mädchen“ ist - und mir schon fast die echten Gorillas leidtun).
Der lustige Begriff "-Mädchen" stammt nicht von mir, sondern von Felix Dachsel, und zwar aus dem launigen Artikel
in dem er u.a. schreibt:
Das Adjektiv „bienenfleißig“ im Titel
bienenfleißige -Mädchen
ist natürlich indirekt abwertend:
Elternsprechtag: „Ihre Tochter ist enorm fleißig, aber ... [... aber ]“. (Vgl. )
... was natürlich eine Beleidigung der Bienen ist:
Jetzt bei der nochmaligen Lektüre des gerade für Lehrer unbedingt lesenswerten Romans von dem russischen Schriftsteller
Wladimir Fjodorowitsch Tendrjakow
(1923 - 1984)
musste ich wieder an die -Mädchen denken.
Der Roman ist aus der Perspektive des 60jährigen Lehrers Nikolai Stepanowitsch Jetschowin geschrieben, der anlässlich seines Geburtstags
(aufgrund unerwarteter Ehrungen, aber auch einer Morddrohung von einem ehemaligen Schüler)
sein Leben Revue passieren lässt, wobei ihm doch so einiges privates und berufliches Fehlverhalten einfällt.
Eine in seinen Erinnerungen immer wieder auftauchende Figur ist eine gewisse Lena Schorochowa. Anlass all dieser Überlegungen ist eine Klassenarbeit über den Zar Iwan der Schreckliche, der einerseits auf brutalste Weise u.a. Frauen hingerichtet hat, andererseits mit derselben Gewalt aber auch Gründer des großrussischen Reichs war:
„[...] Lena war
die beste Schülerin, Klassenchampion im Antworten. Sie wußte immer im voraus,
was ich hören wollte, und irrte sich fast nie. Auch jetzt gefiel mir ihr stolzes
Gesicht, ihre wohlklingende, überzeugte Stimme. [...] Begabte Schülerin. »Was ist wichtiger?« fuhr Lena
fort. »Die Tötung von irgendwelchen Beamtenfrauen oder die großen historischen
Leistungen?«
Lena setzte sich siegesgewiß. Die Klasse hatte ihr ohne
Verwunderung oder Begeisterung zugehört. Sie schwieg gelangweilt: Ist doch alles
klar.
»Die Tötung von irgendwelchen Beamtenfrauen . . .« - geringschätzig.
»Die Tötung von irgendwelchen ...« In ihrem Alter mußte selbst der Gedanke an
die Tötung eines Mäusleins Abscheu wecken. Für sie wäre es natürlicher gewesen,
in die Jungmädchensünde der Sentimentalität zu verfallen. Dazu der siegesgewisse
Gesichtsausdruck und das gelangweilte Schweigen der Klasse. Was war dabei? So
mußte es doch sein. »Die Tötung von irgendwelchen ...« Lena Schorochowa stand
vor dem Schulabschluß, bald würde ich ihre Beurteilung schreiben: über jedes Lob
hinaus befähigt, von beispielhaftem Verhalten, allerbester Fleiß,
gesellschaftlich die aktivste von allen, und natürlich eine gute Kameradin. Ja,
eine gute Kameradin, das würde ich nicht vergessen. Alles nach höchstem Maß,
jedes Wort eine Bestätigung dafür, daß es einen besseren Menschen nicht geben
konnte, sie war ideal. Und mit dieser Beurteilung würde sie ins Leben treten.
Stolze Brauen, kräftiger, straffer Körper, geschaffen, zu lieben und geliebt zu
werden, Kinder zu gebären, Mutter zu werden. [... ein arg konventionelles und
allemal sexistisches Frauenbild; H.St.] Aber »die Tötung von irgendwelchen« - es
war ein Elend.
Lena war möglicherweise außerstande, auch nur ein Mäuslein zu
töten, ekelhaft, aber einen Menschen zu töten, nicht die Mutter, nicht den
Vater, nicht den kleinen Bruder, sondern einen ganz Unbekannten, wenn's sein
mußte, warum nicht ... Verwirrung befiel mich, die Klasse schwieg schläfrig, die
Klasse merkte nichts.
[...]
In
sämtlichen Fächern hatte sie eine glatte Eins, welchem sollte sie den Vorzug
geben?
»Magst du Geschichte?«
»Ja‚ Nikolai Stepanowitsch.«
»Und
technisches Zeichnen?«
»Technisches Zeichnen?« fragte sie verwundert.
Ich
hatte die Subordination durchbrochen: Nach der Geschichte, meinem wichtigsten
Fach, hatte ich plötzlich das technische Zeichnen erwähnt.
»Das mag ich«,
antwortete sie unsicher für alle Fälle.
»Und Mathematik?«
»Auch.«
»Und
Literatur?«
»Auch.«
»Und Biologie?«
»Die mag ich auch.«
»Was magst
du denn nicht?«
Es war Lena peinlich, daß sie alles mochte, darum korrigierte
sie sich zaghaft.
»Ich habe nicht ganz die Wahrheit gesagt, Nikolai
Stepanowitsch. Aus Zeichnen mach ich mir nicht soviel. Das ist so mühselig,
kostet Zeit, freut den Verstand nicht und nicht das Herz.«
»Was möchtest du
werden ?«
»Das weiß ich noch nicht genau. Ich geh an irgendeine technische
Hochschule.«
»An eine technische? Aber du machst dir doch nichts aus
Zeichnen, und das ist dort Hauptfach. Warum an eine technische? Du hast doch die
Geschichte gern?«
»Warum nicht, ich habe nichts dagegen, Historikerin zu
werden.«
»Oder geh auf die Physikalisch-Mathematische. Dort wird Zeichnen
nicht gebraucht, die bilden keine Techniker aus, sondern Theoretiker.«
»Ich
würde schon mit Vergnügen, bloß da kommt nicht jeder an.«
»Oder Biologie...
Aber ich glaube, wir sind da. Ich muß nach rechts. Alles Gute.«
»Auf
Wiedersehen, Nikolai Stepanowitsch«, murmelte Lena ein wenig verwirrt.
»Vielleicht kannst du das Zeichnen ein wenig liebgewinnen ... für alle Fälle
...«
»Gut, Nikolai Stepanowitsch.«
[...]
„Lena Schorochowa wird niemanden
töten, aber sie wird dafür stimmen.
Draußen der kupferrote
Sonnenuntergang. Unruhe kriecht mir ins Herz.
An den Tisch setzen, auf
ein Blatt Papier statt der einen Worte andere schreiben, statt der falschen
Worte richtige, die erbarmungslos das Spiegeln, was ist, die Beurteilung:
Fürchtet sie! Und danach ihr die Tür von der Schule ins Leben öffnen. Grausam
willst du das Mädchen mit den stolzen Augenbrauen strafen. Bloß wofur"?
Dafür
doch, daß du es nicht verstanden hast, sie Menschlichkeit und Verständnis zu
lehren, daß du nicht das Gefühl der Selbständigkeit in ihr entwickelt, daß du
deine eisige Leidenschaftslosigkeit für die Geschichte, für das Blut, das
einst Jahrhunderte und Völker färbte, an sie weitergegeben hast. Du hast das
Deine an sie weitergegeben, und jetzt kriegst du es mit der Angst -
fürchtet sie!
Was bist du, und warum bist du mit dir unzufrieden?
Vielleicht weil du immer den einfacheren Weg gegangen bist?
[...]
Es ist leichter, Lena Schorochowa eine lobende Beurteilung zu schreiben, als sie zum Nachdenken zu zwingen."
(Darf / muss / kann man Schüler zum Nachdenken zwingen?)
Es gibt natürlich auch männliche "Lenas": als ich mal einen bienenfleißigen Oberstufenschüler, der in den meisten Fächern „sehr gut“ stand, fragte, was denn seine Lieblingsfächer wären, für die er sich wirklich interessiere, antwortete er kurz und knapp und gnadenlos: „Keins.“
(Nunja, man kann auch andere Interessen als die an [häufig miserabel schlecht vermittelten] Schulfächern haben.)
Das ist mindestens zehn Jahre her, aber weil die Antwort mich so schockiert hat, weiß ich noch heute, wo dieses Gespräch stattgefunden hat. Und ich war einerseits schockiert, andererseits aber voller Mitleid mit dem Schüler.
Ich will nichtmal unterstellen, dass solche Schüler problemlos einem Mord zuschauen würden. Aber mir scheint, dass sie
-Mädchen lernen
wenn man sie zwingen würde, das berliner Telefonbuch auswendig zu lernen, würden sie auch das tun - und hinterher perfekte Zahlenkolonnen sein:
Mir schwant also, dass wir heutzutage oftmals den Falschen (bienenfleißigen Kleingeistern) ein sehr gutes Abitur hinterherwerfen.
Aber vielleicht ist das ja Absicht, weil wir vermeintlich genau solche Menschen brauchen
(und Kleingeister fördern natürlich Kleingeister).