wohltuend oder frustrierend?: es hat sich wenig geändert

Bild Christian Gotthilf Salzmann (1744-1811)


Pfarrer, Pädagoge und Volksschriftsteller zunächst in Erfurt, gründete im Jahre 1784 das erste deutsche Landerziehungsheim in Schnepfenthal bei Gotha am Rand des Thüöringer Waldes; er gehörte zu den führenden Reformpädagogen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Sein Landerziehungsheim Schnepfenthal besteht als Schule bis heute.

"Etwas über die Erziehung", 1784:


"Einen Hauptmangel... [des Lernens und der Schule] glaube ich darin bemerkt zu haben, dass die Kinder bei dem Lernen mehr fremde, als ihre eignen Kräfte gebrauchen. Es ist noch sehr wenige Anleitung zum eignen Beobachten, eigner Erforschung, eigner Erwerbung der Kenntnisse, sondern der Lehrer arbeitet den Kindern vor, unterrichtet sie von dem, was er durch seine mühsamen Arbeiten herausgebracht hat, und das Kind verhält sich dabei mehrenteils ganz leidend [passiv].... Bei dem ewigen Unterrichte leidet der Lehrer und der Schüler. Der Lehrer, weil er immer selbst arbeiten muss, da, wo er nur Aufseher und Ratgeber sein sollte! Er ist (man verzeihe mir dieses Gleichnis, ich kann nicht umhin, es zu brauchen, weil es sehr schicklich ist, meine Gedanken zu erläutern) gleichsam Gängelmagd, die vom Morgen bis zum Abend gebückt umher gehen, und das Kind führen, oder vielmehr durch seine Launen sich führen lassen muss, da er doch, wenn ihm erlaubt wäre, die Winke der Natur zu befolgen, nur aufmerksamer Zuschauer von den Bestrebungen der Kinder sein [müsste],... wenn sie fallen wollten, beispringen, und, wenn sie wirklich fallen, ihnen auf[zu]helfen... Daher kommt es vorzüglich, dass die [Lehrer] ... mehrenteils sehr missvergnügt leben...
Es ist nur zu bedauern, dass die Kinder dabei selbst zu viel verlieren. Denn ein Kind, das an dem Laufzaume gegängelt wird, lernt nie so früh und so gut laufen, als ein anderes, das bald angeleitet wird, seine eignen Kräfte zu brauchen... Und was von der Gehkraft gilt, gilt gewiss von allen andern Kräften, sie erschlaffen und werden verschoben, wenn man sie stets gängelt. Der Beobachtungstrieb, die von Gott uns alle eingepflanzte Wissbegierde erstirbt, wenn andere stets für uns beobachten und unsere Wissbegierde sättigen, ehe sie gehungert hat....
Die Kirsche, die das Kind selbst bricht, schmeckt ihm süßer als eine andere, die man ihm in den Mund steckte, und die Beobachtung, die es selbst gemacht, die Wahrheiten, die es selbst herausgebracht, die Kenntnisse, die es selbst erworben hat, machen ihm weit mehr Freude, als diejenigen, die ihm eingefläßt werden. Man frage doch hierüber sein eignes Gefühl! Wie schwer hält es, unsere Aufmerksamkeit eine Stunde lang auf den Vortrag eines andern zu richten... und wie leicht ist es uns, halbe Tage selbst zu arbeiten! Kinder haben das nämliche Gefühl. Sie sitzen schläfrig in der Lehrstunde, und sind munter und tätig, sobald man sie dahin gebracht hat, ihre eignen Kräfte anzuwenden."

(vgl. Bild )