zweckfreie Forschung und Bildung
oder ein für alle mal:
Schule ist keine Wirtschaft!


 
„As schools shift focus from the humanities to »practical« subjects like economics, students are losing the ability to think independently.“

"So ein Gänseblümchen,
so ein lausiges Stück
enthält nicht für'n Groschen Sozialkritik."
(Hans Schreibner)

„... der Mensch spielt nur,
wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist,
und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“
(Friedrich Schiller)

"Wir fragen ja auch nicht, welchen Nutzen sich das Vöglein vom Singen erhofft. Wir wissen, Singen ist ihm eben eine Lust, weil es zum Singen geschaffen ist. Ebenso dürfen wir nicht fragen, warum der menschliche Geist so viel Mühe aufwendet, um die [astronomischen] Geheimnisse des Himmels zu erforschen. Unser Bildner hat zu den Sinnen den Geist gefügt, nicht bloß damit der Mensch seinen Lebensunterhalt erwerbe [...], sondern auch dazu, dass wir vom Sein der Dinge, die wir mit Augen betrachten, zu den Ursachen ihres Seins und Werdens vordringen, wenn auch weiter kein Nutzen damit verbunden ist."
(Johannes Kepler)


 

freie Künste

(Artes liberales), in der römischen Antike die Kenntnisse beziehungsweise Wissenschaften, über die der [auch finanziell] freie Bürger verfügen sollte. In der Spätantike bildete sich für die freien Künste ein fester Kanon von sieben Fächern heraus, drei sprachliche (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und vier mathematische (Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik), später Trivium ("Dreiweg") und Quadrivium ("Vierweg") genannt. Die freien Künste wurden an den mittelalterlichen Universitäten in der Artistenfakultät gelehrt; sie bildeten die Propädeutik für die höheren Fakultäten (Theologie, Recht, Medizin).


(2004 Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG)
 

 

"Wenn der Organismus dies oder jenes gelernt hat, dann ist sein Verhalten der Umgebung angepaßt, d. h. dann hat er eine bessere Überlebenschance. [...] [Das Lernen] basiert [...] darauf, daß Input-Output-Beziehungen immer wieder durchgespielt werden und die Synapsenverbindungen im Netzwerk sich langsam so verändern, daß der richtige Output mit immer größerer Wahrscheinlichkeit hervorgebracht wird.
Wie kann Lernen jedoch stattfinden, wenn die Konsequenz eines falschen Output den Tod des Organismus darstellte? Wie kann, um ein Beispiel zu nennen, Kampfverhalten gelernt werden, wenn der erste Kampf auf Leben und Tod geführt wird? Das Erlernen solcher Verhaltensweisen ist nur möglich, wenn sie ohne Schaden für den Organismus, gleichsam vor dem Ernstfall, immer wieder geübt werden können. Genau daher gibt es Spiel. Im Spiel können Input-Output-Relationen immer wieder trainiert werden, ohne daß der Organismus Gefahr läuft, durch das Hervorbringen von falschem Output Schaden zu nehmen. Spiel ist damit die unmittelbare Konsequenz von Lernfähigkeit. Da man davon ausgehen kann, daß die Spezies Mensch am lernfähigsten ist, ist sie notwendigerweise nicht nur am spielfähigsten, sie hat das Spielen auch am dringendsten nötig!"
(Manfred Spitzer)


Ich weiß auch: Geschichte wiederholt sich nie identisch, und deshalb können Erfahrungen aus der Vergangenheit niemals Patentrezepte sein.

Aus dem Buch Bild habe ich nur zwei ungemein aktuell wirkende Thesen dazu behalten, weshalb das römische Reich untergegangen sei:

  • dass die "upper class" nicht mehr bereit gewesen sei, etwas für das Gemeinwesen zu tun: sie habe die Gesellschaft "von oben" zerstört;

  • pure Ausländerfeindlichkeit gegenüber dem "letzten Pack" - nämlich den Germanen
    (die sich dann viel später
    ihrerseits etwas auf ihre "Herrenrasse" eingebildet haben)!

  Ich weiß auch:
  • selbstverständlich sind Forschung und Bildung immer in gesellschaftliche Zusammenhänge und z.B. auch ökonomische Forderungen eingebunden;

  • Bild : es gibt "keine Erkenntnis ohne Interesse", d.h. das Leugnen eines Interesses ist schon Ideologie;

  • Lionardo Di Trocchio vereinfacht doch wohl arg, wenn er in seinem Buch  Bild meint, in der "guten alten Zeit" hätten die (einige, darunter die bedeutendsten) Wissenschaftler noch für die Forschung (Inhalte) betrogen, heute hingegen würden sie nur noch für Forschungsaufträge (Geld) betrügen.

  • "Das abstrakte Ideal einer Wissenschaft, die unabhängig von den Werten ihrer Gesellschaft existiert, war [durch Hitlers Einvernahme der Wissenschaft] ad absurdum geführt. Wissenschaft ist gut, nicht wenn sie wertfrei ist, sondern wenn sie sich zu einem humanen Wertesystem bekennt."
    (Arthur Zajonc)

Die völlige Zweckfreiheit ist also eine schlichte (naive) Utopie.

Keine Ahnung, ob's stimmt:

Eine Fehlentwicklung sieht Di Trocchio (neben dem Bürokratismus, der die Mittelmäßigen fördert) im amerikanischen Pragmatismus und insbesondere darin, dass die amerikanischen Wissenschaftler zunehmend an die Leine der Ökonomie gelegt wurden, statt zweckfreie Grundlagenforschung zu treiben.

Und als immer noch vorbildlich sieht Di Trocchio die ehemalige deutsche Universität an, die

(Nebenbei: Di Trocchio berichtet über die USA nicht in billiger antiamerikanischer Häme, sondern zeigt durchaus auch die europäischen Probleme.)

Es mag ein nostalgisches Kalkgerinsel sein, aber mir dreht sich wirklich der Magen um, wenn ich sehe, wie durchkommerzialisiert Universitäten (und zunehmend auch Schulen) heutzutage sind. Ich bleibe dabei: schon allein ein Werbeplakat hat in einer Uni nichts zu suchen.

Ganz genauso:

Bild

(dazu muss man das Brandenburger Tor nicht mal zu einem nationalen Symbol hochstilisieren; es reicht, dass es ein öffentliches Gebäude ist)!

Ich weiß, ich weiß, Mäzenatentum hat es schon immer gegeben!


 

"Die wirkliche Katastrophe der gegenwärtigen, durch die BildBild-Studie neu entfachten Bildungsdebatte liegt darin, dass sich alle Energie auf die Steigerung von Leistung und Effizienz richtet [...]."
(Ulrich Greiner in "Die Zeit")

Man kann es nur als bitteren Rückfall bezeichnen, wenn in unseren kurzsichtig ökonomistischen Zeiten die Schulbildung - und sei's durch simple Anwendungsorientierung - wieder zur direkten Berufsvorbereitung verkommt.

Bild

Wilhelm von Humboldt
(1767-1835)

"Der "Zögling" soll zum "geistigen Schaffen" angeregt werden. "Verstehen" und "Wissen" sollen ihren Reiz "nicht durch äußere Umstände, sondern durch [...] innere Präzision, Harmonie und Schönheit" gewinnen. Das Ziel liegt somit im Aufbau einer eigenen Motivation, damit jeder aus eigenem Antrieb zu Erkenntnis und Einsicht streben kann. Dazu bedarf es einer "harmonischen Ausbildung aller Fähigkeiten" [...], was natürlich nur möglich ist, wenn jeder "seine Kraft in einer möglichst geringen Anzahl von Gegenständen", darin aber so intensiv wie möglich übt. In allgemeiner Hinsicht sind lediglich die Fähigkeiten zu fördern, die eine breite Beschäftigung auf möglichst vielen Feldern möglich machen. Also stehen Mathematik und die allgemeine Schulung des "Denkvermögens" im Vordergrund. Was Humboldt hier mit wenigen Bemerkungen skizziert, ist die Idee des forschenden Lernens. Und da er weiß, dass der Impuls zur Einsicht und Erkenntnis nur produktiv werden kann, wenn er den ganzen Menschen erfasst, dringt er auch auf die Bildung des ganzen Menschen. Der junge Mensch muss so erzogen werden, dass er "physisch, sittlich und intellektuell der Freiheit und Selbsttätigkeit überlassen werden kann" [...].
Heute dürfte offensichtlich sein, dass wir ein solches Ideal nicht nur für die Forschung brauchen, sondern für alle Lebensbereiche, in denen Menschen innovativ und produktiv sein wollen."
(zitiert nach Bild Volker Gerhardt: Humboldts Idee; Zur Aktualität des Programms Wilhelm von Humboldts)

Vgl. auch:

"Bildung, der Begriff B. bezeichnet die Entwicklung des Menschen im Hinblick auf seine geistigen, seelischen und kulturellen Fähigkeiten. 

(Meyers Lexikonverlag)

(Dabei bin ich mir durchaus bewusst, wie individualistisch-idealistisch, also gesellschaftsblind der klassisch-romantische humboldtsche Bildungsbegriff eben auch war.

Und natürlich ist er um praktische Bildung zu ergänzen: z.B. Bild

Überhaupt: zwar sind die wirklich großen Forscher immer Grundlagenforscher gewesen, aber ich verachte doch nicht die angeblich schnöde, in Wirklichkeit überhaupt erst lebenswerte Praxis, in der sich Wissenschaft und Bildung allerdings auch die Finger schmutzig machen können. Manchmal bin ich sogar versucht, einen "Praxis-Nobelpreis" für wirklich geniale minimale technische Erfindungen auszuschreiben, die ohne viel Aufwand das Leben doch erheblich einfacher gemacht haben. Auf Platz Eins steht für mich noch immer der Freiherr von Drais, der Erfinder des eigentlichen [lenkbaren] Fahrrades!)

Unter (Allgemein-)"Bild"ung wird also gerade nicht eine direkte Berufsvorbereitung bzw. kurzfristige Anwendbarkeit verstanden

(wenn vermehrt nur diese gefordert wird, ist das also nur geschichtsblind).

Sondern "Bildung" meint - und zwar gerade unter der Perspektive des inzwischen fast zur Drohung werdenden lebenslangen Lernens und beruflicher Mobilität - die Entwicklung einer Potentialität, sich selbstbewusst jedes Fachgebiet anzueignen:

"Nein, Computerwissen habe ich bisher nicht

[muss Schule auch gar nicht vermitteln; vgl. Bild ],

kann ich mir aber natürlich schnell aneignen."

Solch eine Potentialität aber ist nur denkbar, wenn die SchülerInnen (exemplarisch) verschiedenste Sichtweisen (und ihren Theoriecharakter) erfahren, die einander ergänzend "die" Welt ausleuchten:

   Faktenwissen
+ Kenntnis der kulturellen Zusammenhänge zwischen den Fakten
+ kritische Aneignung: "Was du ererbt von deinen Vätern hast,
                                      Erwirb es, um es zu besitzen."
_____________________________________________________
= "Allgemeinbildung" (Hochschul"reife")

   naturwissenschaftliche 
+ mathematische
+ künstlerische
+ sprachliche
+ psychische
+ körperliche
+ historische
+ soziale (u.a. ökonomische, juristische, politische)
________________________
=
kulturelle Zusammenhänge

Geradezu exemplarisch ist da die Diskussion über das Fach Mathematik:

Letzteres ist aber eben schon falsch gefragt: es geht ja gar nicht um den eigentlichen Stoff (das Handwerkszeug bzw. die Anlässe), sondern (neben den Perspektiven anderer Fächer) um mathematische Denkweisen (vgl. Bild ).

Einblicke in die Ökonomie, die bislang in der Schule vielleicht wirklich zu kurz kommen, sind also trotz allem nur eines von vielen, einander ergänzenden Teilgebieten.

(Nicht nur brauchen LehrerInnen [ich!] mehr fundierte Ahnung von Ökonomie, sondern ihre Phantasie sollte auch ausreichen, dass sie trotz allem einen Luxusjob [viel Freiheit!] haben, während in der "freien" Wirtschaft oftmals nur noch "hire & fire" läuft.

... was aber eben gerade nicht heißt, dass nun ökonomische Verhältnisse auch in die Schule [bei SchülerInnen wie LehrerInnen] einziehen sollten: wenn woanders die Cholera herrscht, müssen wir sie nicht aus falschverstandener Solidarität auch bekommen.

Ebenso falsch ist die Kompensation so einiger LehrerInnen, die, wo sie schon nicht selbst direkt unter ökonomischem Druck stehen bzw. nicht "produzieren" [und deshalb ein schlechtes Gewissen haben], nun ganz unbedingt ihre SchülerInnen möglichst brutal auf die ökonomische "Welt da draußen" vorbereiten wollen.)

Eine einseitige Ausrichtung der Schulbildung auf die (derzeitige!) Ökonomie kann nicht mal im "wohlverstandenen eigenen Interesse" der Ökonomie sein

(es sei denn, sie will gar keine kreativen, sondern nur gut "funktionierende" Leute; denn natürlich wimmelt es auch in der ach so aufgeschlossenen "freien [?] Wirtschaft" von Bild , die neben sich keine Intelligenz und Kreativität dulden können).


Die derzeitige Verengung des Bildungsbegriffs auf Effizienz, (höchst einseitig verstandene, messbare) Leistung, Anwendbarkeit und Berufsvorbereitung empfinde ich, gerade weil sie so grinsend "fortschrittsgläubig" und aggressiv daher kommt, nur als extrem resignativ

(und - nebenbei - billig nationalstaatlich gedacht).

Jan Roß: Bild Die neuen Staatsfeinde; Was für eine Republik wollen Schröder, Henkel, Westerwelle und Co.?; Berlin 1998

darin: S. 28ff

(nebenbei: dieser Jan Roß ist einer der ganz wenigen noch Denkfähigen, was auch und gerade an seinem Papstbuch deutlich wird: er passt in kein Schema [vgl. die Verrisse von "beiden" Seiten])

"[...] Roman Herzogs »berliner Rede« vom April 1997 im neuerrichteten Hotel Adlon [ist] rasch zu einer Art Katechismus der Innovationsprediger geworden. »Daß der Wettbewerb zwischen Standorten nach ähnlichen Regeln abläuft wie der zwischen Unternehmen, kann man nach der Berliner Rede eher deutlich machen«, freute sich Hans-Olaf Henkel [ehemaliger Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie]. »Bis jetzt mußte man sich immer die 'soziale Kälte', die 'McDonald's Jobs' und die 'working poor' vorhalten lassen, wenn man vorschlug, von Amerika zu lernen. Seit Herzogs Rede kann man sich damit unverkrampfter befassen.«

»Durch Deutschland muß ein Ruck gehen«, hatte Herzog gefordert; und damit war, trotz einiger garnierender Bemerkungen über die Notwendigkeit des Gemeinsinns, letztlich nur eines gemeint: mehr wirtschaftliche Dynamik. »Es geht um nichts Geringeres als um eine neue industrielle Revolution, um die Entwicklung zu einer neuen, globalen Gesellschaft des Informationszeitalters. [...] Weg mit Miesmacherei und Technikfeindlichkeit. »In hochtechnisierten Gesellschaften ist permanente Innovation eine Daueraufgabe! Die Welt ist im Aufbruch, sie wartet nicht auf Deutschland.«

Es verrät viel über die Klimaveränderung in der Bundesrepublik, wenn man die »berliner Rede«, das Musterbeispiel der gegenwärtigen Aufbruchsrhetorik, gegen Richard von Weizsäckers berühmte Ansprache zum 8. Mai 1985 hält, dem vierzigsten Jahrestag des Kriegsendes. Geschichte, Vergangenheit, auch Tradition spielten bei Herzog keine Rolle mehr. Nicht bloß der Nationalsozialismus kam nicht vor, der in einen Mobilisierungsappell ja wirklich schlecht hineingepaßt hätte, sondern überhaupt alles Historische.

»Bildung muß das Mega-Thema unserer Gesellschaft werden«, forderte Herzog zwar, aber schon die ordinäre Formulierung mag den Unterschied zur Bildungsbürgerlichkeit seines Amtsvorgängers bezeichnen. Um Bildung im eigentlichen Sinne ging es denn auch gar nicht, und wenn die Union in den siebziger Jahren den Geschichtsunterricht und das humanistische Gymnasium gegen die Fortschrittsbesessenheit der Emanzipationspädagogik verteidigt hatte, so fürchtet sie inzwischen selbst nichts mehr, als den Anschluß an den Fortschritt zu verpassen. Nur, daß Fortschritt heute nicht mehr Chancengleichheit und Sozialreform heißt, sondern Einstieg in die Informationsgesellschaft und Eroberung neuer Märkte. Wo eben noch Latein und Griechisch als abendländisches Erbe im Lehrplan erhalten werden sollten, geht es jetzt um Computer und den Internetanschluss für jede Schule; und das christliche Menschenbild von einst wird mit Bio- und Gentechnologie gründlich umgebaut. Die Fixierung auf die Zukunft, auf das Neue, die man den Linken in den siebziger Jahren als Utopismus vorgehalten hat - heute kehrt sie wieder als Ideologie der Standortmodernisierung, der totalen Anpassung an die Weltmarktdynamik. Abschätzig wie nur irgendein Schulreformdoktrinär sprach Herzog über die bloße »Vermittlung von Wissen«, die durch »lebenslanges Lernen« ersetzt werden müsse. Die Idee eines Kanons, verbindlicher Bildungsinhalte, die schon den progressiven Sozialreformern lästig war, ist auch dem neuen Flexibilitätsdogma hinderlich und wird über Bord geworfen. Statt dessen kommt es darauf an, »an der Wissensrevolution unserer Zeit teilzuhaben«, im weltweiten Erkenntniswettbewerb »in der ersten Liga mitzuspielen« - auch das eine der überraschend vulgären Wendungen in Herzogs Rede.

Als Herzog einige Monate später
eine zweite »berliner Rede« nachschob, speziell zum Bildungsthema, konnte man sich in all seinen Befürchtungen bestätigt sehen. Ein Kapitelchen über »Werte«, dieses ideologische Feigenblatt einer Gesellschaft, die sich nichts zu glauben traut und trotzdem nicht als nihilistisch dastehen möchte - und dann ein Bückling nach dem anderen vor Praxisbezug, Wettbewerbsfähigkeit, Effizienz, optimaler Zeitnutzung und wie die Götzen des Ökonomismus alle heißen. Eine Chip-Fabrik hinter einer Biedermeierfassade - das ist Roman Herzogs Bildungsvision. Auch Schulen und Hochschulen sollen sich als Abteilungen des Dienstleistungsunternehmens Staat verstehen, wenn nicht sogar, noch brutaler, als Hersteller des Produkts Bildung. »Ich frage mich«, erklärte der Bundespräsident, »wie eine Hochschule eigentlich die Qualität ihrer Ausbildung überprüfen will, solange nicht auch handfeste Daten über die beruflichen Werdegänge ihrer früheren Studenten ausgewertet werden. Jedes Wirtschaftsunternehmen weiß heute alles über den Verbleib seiner Produkte und über den Abnehmer seiner Dienstleistung.« Man traut seinen Ohren nicht: Wird hier wirklich eine Untersuchung über den Lebensweg von Universitätsabsolventen als Nachforschung nach dem Verbleib von Produkten bezeichnet? Aber genau das liegt in der Logik von Herzogs Ruck-Pädagogik, und er steht damit keineswegs allein. Beide Volksparteien, Union und SPD, haben sich kürzlich in programmatischen Papieren und Beschlüssen zur überragenden Bedeutung der Bildungspolitik bekannt - und was sie dabei unter »Bildung« verstehen, ist wiederum, wie bei Roman Herzog, nur [ökonomische!] InnovationsFähigkeit und Medienkompetenz."


Nun bin ich ja nicht blind: warum wohl gibt der deutsche Staat Unsummen

(und doch im internationalen Vergleich zu wenig)

für Schulbildung aus (und verbeamtet auch die LehrerInnen)?:

  1. sicherlich auch aus purer Zweckfreiheit, um also seiner Jugend alle Möglichkeiten zu eröffnen und ihr die Erkenntnisse der Menschheitsgeschichte zu schenken,

  2. aber, um gut funktionierende Staatsbürger heranzuzüchten:

genau das ist das Janusgesicht der Schulen.


Sicherlich ist Zweckfreiheit ein enormer Luxus, der immer wieder gesellschaftlich verhandelt werden muss:

(aber vgl. das Schillerzitat oben!)

unter den Naturwissenschaftlern, nämlich den Elementarteilchenphysikern, einen neuen, irrwitzig teuren Elementarteilchen-Beschleuniger ("SUPER[!]CONDUCTIng SUPER[!] COLLIDER") zu schenken.

(Auf Schulen bezogen [und das vor allem beweist doch PISA!]: viel eher als die Gymnasien müssen doch die Hauptschulen verbessert [also auch finanziell besser ausgestattet] werden - wenn das gegliederte Schulsystem nicht überhaupt abgeschafft gehört.)

(und sei's, weil man nicht auch sämtliche Spinner finanzieren kann):

das Restrisiko trägt derjenige, der da zweckfrei forschen und "bilden" möchte.


Beispielsweise für das Schulfach Latein gibt es nicht die mindeste Anwendung

(an die sich die Altphilologen auch um Gottes willen nicht anbiedern sollten: es glaubt ihnen eh kein Schwein!)?

Aber das ist doch die beste Reklame für dieses Fach, ja es ist schon fast eine Form des Widerstands:

"Anarchie ist machbar, Frau Nachbar!"

Entmachtet frisch-fromm-fröhlich-frei die Mathematik (allerdings nur in der heute üblichen Form!) und macht (wenn schon, denn schon) Kunst und Geschichte zu verpflichtenden Haupt-, ja Kernfächern!


Ich will ja gar nicht die Ergebnisse von Bild "PISA" leugnen oder beschönigen, aber es macht mich doch allemal äußerst skeptisch, dass "PISA" von der

OECD, die; - <aus engl. Organization for Economic Cooperation and Development> (Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit)
(Duden - Die deutsche Rechtschreibung, 23. Aufl. Mannheim 2004 [CD-ROM])

veranstaltet wird

(aber heute merkt ja kaum jemand mehr, wie entlarvend, zynisch und zutiefst undemokratisch es ist, wenn eine Arbeitslosen"reform" . zumindest inoffiziell - nach einem Topmanager [Hartz] benannt ist; und das völlig unabhängig von den angeblichen oder tatsächlichen Skandalen, die diesem Topmanager nachgesagt werden).


"Für die direkte Verbesserung der Qualität von Unterricht haben Ingenieure (in Ostwestfalen veranstalten Ingenieure Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer und Kindergärtnerinnen), Unternehmensberater (deren Aufgabe sollte es sein, mehr Arbeitsplätze zu schaffen), Juristen und Marketingfachleute überhaupt keinen Wert. Sie gehören nicht ins Schulsystem und sie sollten vor allen Dingen keine Führungsaufgaben übernehmen."
(Rainer Dollase in Bild "Was macht erfolgreichen Unterricht aus?")

Ansonsten aber sollten "Ingenieure [...], Unternehmensberater [...], Juristen und Marketingfachleute" durchaus in den Schulen willkommen sein:

  1. - was viel zu selten geschieht -, indem sie

(wie alle anderen Berufsgruppen insbesondere unter den Eltern)

ihre Kenntnisse, aber auch "Welterfahrungsweisen" in den Unterricht einbringen

(also ergänzen, was LehrerInnen naturgemäß nicht einbringen können);

  1. sind sicherlich auch in Schulen viele organisatorische Abläufe inkl. Geldausgaben etwa durch Ökonomen "optimierbar"

(solange diese Ökonomen sich demütig aus dem raushalten, was Schule im eigentlichen Sinne ausmacht und wozu organisatorische Abläufe überhaupt nur der "Zierrahmen" sind: nämlich Pädagogik und Unterricht);

ich wüsste ganz genau, wo man im schulischen Bereich Unsummen einsparen könnte

(eben insbesondere bei der kultusbürokratischen Organisation)

- um sie dann für "manpower", sprich: mehr LehrerInnen auszugeben;

  1. sollte jedes "Berufsbiotop" (also u.a. LehrerInnen) dem anderen (Ingenieuren ...) zuhören können, um herauszufinden, ob Erkenntnisse des anderen Bereichs auch hilfreich für den eigenen sein könnten, ob also beispielsweise ökonomische Konzepte - evtl. abgewandelt - auch in der Schule anregend sein könnten.

Mich stört halt "nur" die derzeitige implizite Pauschalunterstellung, dass ökonomische Konzepte für Schulen

(wie überhaupt zunehmend als Maßstab sämtlicher gesellschaftlichen Bereiche)

brauchbar sein könnten

(wobei ein zentraler Fehler derzeit darin besteht, dass bis in die Politik hinein immer nur kurzfristig betriebswirtschaftlich statt auch mittel- und langfristig volkswirtschaftlich gedacht wird):

das wünschenswerte "Produkt" von Schulen, nämlich "Bildung", ist prinzipiell nicht ökonomisch messbar.


PS:
Gerade wenn man so viel von Wilhelm von Humoldts pädagogischen Vorstellungen hält wie ich, sollte man sich auch mal um die Kritik an ihm bzw. dem, was aus ihm gemacht worden ist, kümmern: