warum sehen Fußbälle so   aus?

Ellenlange Vorbemerkungen:

"Meine" SchülerInnen einer 8. und einer 9. Klasse genießen derzeit wie ich den

(in reglementierungswütigen Zeiten leider immer selteneren)

unbeschreiblichen Luxus, nicht "normale" Schulmathematik unter Stoff- und Klausurdruck betreiben zu müssen, sondern in "Mathe-diff", d.h. sogenannten "Differenzierungskursen", Exkurse gehen zu dürfen, die sich auf den ersten Blick scheinbar mit Absonderlichkeiten beschäftigen, auf den zweiten Blick aber - so hoffe ich - sehr viel mehr "mathematische Denkweisen" vermitteln.

Derzeit geht es in den Kursen um vielfältiges Basteln

(und damit auch Verstehen!)

von

  1. platonischen (oberste Zeile) und archimedischen Körpern

  1. danach

Angefangen wurde dabei mit den platonischen Körpern und da

  1. mit der (ersten) Origami-Forderung, sie alle aus einem einzigen, zusammenhängenden Stück Papier zu bauen

(die verschärften Origami-Forderungen "nicht schneiden" und "nicht kleben" folgen erst später),

  1. mit der Forderung (und das macht ja eben platonische Körper aus), dass alle Seitenflächen eine "gleichmäßige" Form haben sollen,
  2. dem selbstständigen Erstellen zweidimensionaler Abwicklungen


(plus Klebefalze)

und dann

  1. dem möglichst sauberen und die Augen ansprechenden Basteln

(und dazu gehört auch: von großen, "repräsentativen" Modellen).

Nun kann es ja nicht angehen, einfach mal feste drauflos zu basteln

(platonische Körper ohne Sinn und Verstand, nur weil sie eben auch in der Mathematik vorkommen),

sondern es ist zu überlegen,

  1. was die SchülerInnen leisten können / sollen,
  2. was an solchem Vorgehen überhaupt die Mathematik "sein soll".

Dabei ist "sein soll" natürlich bereits eine (hier: selbstironische) Unterstellung, nämlich, dass reine Basteln eben keine Mathematik ist.

Da antworte ich umgehend, dass die Schulung von räumlichem Vorstellungsvermögen und konstruktiven Fähigkeiten durchaus schon ein mathematischer (!) Selbstwert ist.

Aber das ist natürlich arg pauschal - und lässt sich konkretisieren, indem wir zu A. kommen, also der Frage, was "die" SchülerInnen bei platonischen Körpern überhaupt leisten können / sollen:

  1. kaum den Beweis, dass es tatsächlich nur die fünf oben gezeigten platonischen Körper gibt

    (vgl. und ),

  1. durchaus noch die selbstständige Entdeckung des Tetraeders, Würfels und vielleicht auch des Oktaeders

(letzteres evtl., indem man nach dem Tetraeder zur Pyramide mit quadratischer Grundfläche übergeht),

aber vermutlich nicht mehr die Entdeckung des Dodekaeders und des Ikosaeders

(letztere muss man den SchülerInnen wohl wirklich zeigen / vormachen)

  1. entsprechend können SchülerInnen vermutlich noch die Abwicklung des Tetraeders , Würfels und Oktaeders selbst entdecken, brauchen aber wohl Hilfe bei der Abwicklungen des Dodekaeders und des Ikosaeders .

Aber "Hilfe" muss ja nicht (wie so oft) "komplettes Vormachen" bzw. (hier) Verteilen der fertigen Abwicklungen bedeuten.

Nehmen wir als Beispiel die Abwicklung des Oktaeders: die hübsche "Ordnung" dieser Abwicklung würgt doch nur die Frage ab, "wie man drauf kommt".

Nun gibt es allerdings zwei "Arten" von SchülerInneN:

(notfalls werden überflüssige Dreiecke hinterher weggeschnitten oder fehlende zusätzlich dran geklebt)

Bei dieser ersten Art von SchülerInnen gibt es nun zwei Möglichkeiten:

Dieser zweiten Art von SchülerInnen lässt sich nun aber mit dem

"Zerlegungs- bzw. Das-kann-ich-nicht-/doch-Verfahren"
(das sehr häufig in der Mathematik hilft!)

helfen:

(was natürlich auf verschiedene Arten möglich ist)

und habe damit die Abwicklung des Oktogons:

Dieses Zerlegungsverfahren ist nun aber sehr hilfreich bei den komplizierteren platonischen Körpern

Ich halte ja sowieso viel von solchen "Archetypen" in der Mathematik

(vgl. Bild )

wie hier eben "Blüte".

Bleiben wir beispielsweise beim Dodekaeder mit seinen beiden "Blüten"

 :

weil mit Fünfecken

(anders als mit Sechsecken)

keine flächendeckende "Parkettierung" möglich ist, sondern Lücken bleiben

,

kommt man mit ihnen, wenn man dann die Lücken "aneinander klebt"

,

überhaupt erst aus der (zweidimensionalen) Ebene heraus und entsteht somit überhaupt erst ein (dreidimensionaler) Körper!

(Wieder: im Gegensatz zu Sechsecken, die offensichtlich besser z.B. für

geeignet, weil "platzsparend" sind; vgl. auch   "Parkettierung mit Vielecken" und  "Keplersche Vermutung")

Allemal interessant finde ich auch die Möglichkeit, die Lücken nicht wegzuschneiden oder als Klebefalze zu benutzen, sondern nur nach hinten zu knicken, womit sich folgende "Blüte" ergibt:

(Vgl. in der sechseckigen Version

 

,

wo dieses Knickverfahren nur für die untere Schachtelhälfte angewandt wird und dort offensichlich dazu dient, dass sie sich automatisch "blütenartig" öffnet; überhaupt ist die Verpackungstechnik eine schöne Anwendung unserer Basteleien.)

Bemerkenswert an der "Blüte" scheint mir vor allem, dass da ein ästhetisches Kriterium Ordnungsprinzip ist; das Prinzip der Fünfblättrigkeit, das sehr häufig in der Natur vorkommt

(wobei zu fragen wäre, warum):

 

(aus Bild )


Intermezzo:

Bevor wir aber zum Fußball kommen, sei noch an einem anderen Beispiel auf die angedeutete Systematik eingegangen: die SchülerInnen sollen solch eine Minipyramide bauen:

,

und zwar wieder aus einem einzigen, zusammenhängenden Blatt Papier

(eine Aufgabe, die ich mir mal selbst als ca. Zehnjähriger gestellt habe).

Einige machen das "mit links", andere haben da bereits ihre lieben Schwierigkeiten, aber alle kriegen's dann irgendwie doch hin. "Irgendwie", d.h. zwar richtig, aber doch mehr durch Probieren als systematisch.

Wenn man sie dann aber bittet, eine dritte Stufe drunter zu bauen, also

,

und all das wieder aus einem einzigen, zusammenhängenden Blatt Papier, hakt's doch bei den allermeisten und wird's Zeit, eine systematische Herangehensweise zu entwickeln, und zwar insbesondere, wenn das Ziel eine "vollständige" Stufenpyramide ist:

Eine mögliche Systematik besteht nun aber darin, die Pyramide von oben nach unten "abzuarbeiten". Und dazu fangen wir nochmals von vorne, also mit bzw. an:

Und wenn man das erst mal begriffen hat, kann's

(im Folgenden nur an einer Seite ausgeführt)

so weitergehen:

Das muss man gar nicht mehr bis zur zehnten Stufe

(und gar für alle Seiten, also so )

ausführen

(aufzeichnen oder gar basteln),

sondern es reicht, nach spätestens drei oder vier Stufen das System herausgefunden zu haben und somit zu wissen, dass es endlos so weiter gehen kann

(also sehr viel weiter als nur  lächerliche zehn Stufen!).

Genau solches Denken ist aber "Mathematik in Reinkultur"!

Wenn ich aber das Ergebnis

sehe, fällt mir noch ein anderes und vielleicht sogar einfacher-anschaulicheres System ein, nämlich

Bislang sind wir die Pyramide

(und zwar, was vielleicht zusätzlich ungünstig war, nach allen Seiten gleichzeitig)

hinunter gestiegen, aber dazu muss man doch erst mal auf sie hinauf kommen. Vielleicht ist es da doch sinniger, sie erstmal auf einer Seite, also wie eine Treppe, hoch zu gehen:

Wenn man aber System dieser einen Treppe verstanden hat, kann man die anderen Pyramidenseiten/-treppen natürlich schnell "anhängen".


Damit nun aber endlich zum :

obwohl mit dem Bild eines Fußballs schon viel über sein Konstruktionsprinzip verraten zu sein scheint, möchte ich zuerst doch grundsätzlichere Gedanken anstellen:

  1. gibt es natürlich massenhaft Möglichkeiten, einen Ball herzustellen, nämlich z.B.
    1. Bälle aus einem (Plastik-)Stück   : ein Prinzip, das allerdings fast nur bei Billigbällen verwandt wird;

interessant an solchen Ein-Stück-Bällen ist allemal, dass sie oft dennoch die "Patchwork-Machart" guter Bälle durch Aufdruck imitieren

  1. aus mehreren Stücken patschwork-artig zusammengesetzte Bälle:



Anhand zweier Beispiele sei nur kurz gezeigt, dass auch die Machart dieser Bälle geometrisch interessant sein könnte:

  • - Abwicklung: ,
  • das Konstruktionsprinzip .

Für unsere Belange ist an all diesen Bällen allerdings vor allem interessant, dass versucht wird, aus mehreren flachen Stücken

(aus einer an der noch lebenden Kuh ja auch drei-, nach Bearbeitung aber zweidimensionalen Kuhhaut)

dennoch eine runde Form herzustellen. Halten wir also fest:

  1. ein Ball sollte natürlich möglichst rund, d.h. kugelförmig sein,
  2. erreicht werden muss das aber dennoch unter Verwendung flacher Lederstücke
  ... womit sich schon andeutet, dass das vorliegende "Ball-Problem" direkt mit einem zentralen Gedanken der Mathematik

        (etwa bei der Kreisumfangs- und -flächenbestimmung oder bei der Integration)


zusammenhängt, nämlich der Annäherung von Rundem (können wir nicht!) durch Gerades/Flaches (können wir!).

Bleiben wir kurz bei "möglichst rund": die vielen einzelnen Außenflächen der gezeigten Bälle sind ja (eben als Flächen) ursprünglich flach.

Dennoch werden diese Einzelflächen natürlich durch den Luftdruck des Balls oder - beim Tennisball - durch die Gummifüllung, aber auch durch den Verbund mit den Nachbarflächen "in sich" krumm gebogen, z.B.

Was aber heißt eigentlich "möglichst rund"? Da gibt es - wie überhaupt zum Fußball - ganze Doktorarbeiten drüber

(was nur beweist, wie mathematisch ergiebig von einer 5. bis zu einer 13. Klasse der Fußball ist!),

und in einem Text wird's so erklärt:

eine Ballkonstruktion ist "möglichst rund", wenn

  • eine (virtuelle) Innen-Kugel alle Körperseiten von innen berührt,
  • eine (virtuelle) Außen-Kugel alle Körperecken von außen berührt,
  • Innen- und Außenkugel möglichst nah beieinander liegen bzw. fast gleich groß sind

(allerdings wird man da Kompromisse zwischen Praktikabilität [Herstellbarkeit] und Ideal machen müssen, da sonst der Ball so aussieht - und nicht mal mehr Platz für Nähte bleibt).

Wir sparen uns hier aber solche teilweise sehr anspruchsvollen Kriterien und gehen anschaulicher vor: welcher der Körper in der Tabelle

ist denn am "rundesten"? Mir scheint, dass es da vier Kandidaten gibt, nämlich

Am einfachsten davon herzustellen - und schon erstaunlich rund - ist aber zweifelsohne das

,

und es ist nicht viel verraten, wenn man sagt, dass das in der Tat das Muster von Standardfußbällen ist.

"Einfach" ist allerdings relativ: die Sechsecke des Fußballs" sind in der Tat einfach zu konstruieren, während die Fünfeckskonstruktion

 


(Denkmal in Boston)

schon ganz schön schwierig ist (vgl. ).

Oben hatte ich gesagt, dass

"mit dem Bild eines Fußballs schon viel über sein Konstruktionsprinzip verraten zu sein"

scheine.

"Scheine", weil sicherlich viele Menschen (und allemal Fußballer) schon häufig Fußbälle gesehen und dennoch kaum jemals deren Konstruktionsprinzip wahrgenommen haben

(muss man ja auch nicht).

Beim ersten genaueren Hinschauen wird man wohl wahrnehmen, dass ein Standard-Fußball aus Fünf- und Sechsecken zusammengesetzt ist

(vgl. oben:

  • Fünfecke sorgen überhaupt erst dafür, dass der Ball sich wölbt,
  • Sechsecke sorgen hingegen dafür, dass die Krümmung nicht allzu stark wird;

vgl. das nur aus Fünfecken gebildete , das zu stark gewölbt und deshalb nicht rund genug ist).

Es ist aber gar nicht so leicht zu erkennen, wie genau die Fünf- und Sechsecke angeordnet sind - und wie also eine Abwicklung aussehen könnte.

Dass das schwierig zu erkennen ist, wurde klar, als SchülerInnen einen alten Fußball auseinander geschnitten und "platt" gemacht hatten - und kein System erkennen konnten.

Anhand zweier aufschlussreich bedruckter Fußbälle werden aber zwei mögliche (alternative) Konstruktionsprinzipien deutlich:

  1. : eine "Blüte" (!) aus einem Fünfeck in der Mitte und fünf Sechsecken ringsum;
  2. : eine "Blüte" (!) aus einem Sechseck in der Mitte und abwechselnd Fünf- und Secksecken ringsum. Vgl. auch 

Nun wird es wohl nicht so schwierig sein, nach einem dieser beiden Konstruktionsverfahren eine Abwicklung des Fußballs herzustellen. Eine Möglichkeit ist beispielsweise

,

aber trotz des farblich markierten Musters bleibt das doch arg unübersichtlich, da es nicht möglich ist, alle "Blüten" hübsch umeinander zu legen.

Viel interessanter finde ich da eine andere, allemal erstaunliche Möglichkeit.

Dazu schauen wir uns mal an, was "abgestumpftes Ikosaeder" denn eigentlich bedeutet: man nehme sich ein nur aus Dreiecken  bestehendes, säbele alle Ecken ab

(wobei Sechsecke und Fünfecke entstehen)

und erhält unser .

Nun schauen wir uns zwei Möglichkeiten an:

  1. das ursprüngliche Ikosaeder ist aus einem massiven Material, d.h. die Fünfecke des abgestumpften Ikosaeders sind echte Flächen;
  2. der ursprüngliche Ikosaeder ist ein Hohlkörper, der nur durch seine Außenflächen gebildet wird; die Fünfecke des abgestumpften Ikosaeders sind dann nur noch Löcher, d.h. tatsächlich vorhanden sind nur noch die Sechsecke:

das bedeutet aber doch, dass wir ein abgestumpftes, wenn auch löchriges Ikosaeder einzig und allein aus Sechsecken herstellen können!

Die "Abwicklung" sieht dann so aus

(wobei die hellen Flächen ausgeschnitten sind):

wenn man nun noch etwa folgendermaßen

 Schlitze zu den inneren Löchern schneidet und wieder

"Blüten" erkennt, dann aber aus den ausgeschnittenen Sechsecken  Fünfecke  macht, indem man zwei Sechsecken übereinander klebt

(und derart muss man häufig zwei Sechsecke aufeinander kleben,
so dass am Anfang eigentlich nicht "Abwicklung" gesprochen werden kann)
,

so ergibt sich eine erste gewölbte Blüte und danach sukzessive und fast von Zauberhand

 

Das ist so beeindruckend, dass in jeder "meiner" beiden Klassen einE SchülerIn

(und zwar unabhängig von der/dem anderen)

sagte: "Geil, das funktioniert ja!"

Und ungemein faszinierend ist auch, dass das luftig-leichte Gespinst, das dabei entsteht

vgl. auch

bzw.

  • dennoch ungeahnt stabil ist,
  • sehr rund "läuft".

Es sei noch kurz ergänzt, dass das Fußballmuster auch in "echter" Wissenschaft eine Rolle spielt, nämlich bei "Buckyballs" bzw. "Fullerenen":

Sowohl  "Buckyball" als auch "Fullerene" sind aber Ableitungen von "Buckminster Fuller", womit wir dann auch gleich in der Architektur etc. sind:

Als kleine Schmankerl hier noch die Marzipanversion

und ein Steckspiel:


Sehr empfehlenswert:

  • Mathematische Basteleien,
  • Eva Wohlleben Korpuskelgeometrie,
  • Polyeder Animationen (mit Abwicklungen und "Aufwicklungs"-Videos)

So mit das Beste zum Thema, wenn auch leider vergriffen:


PS: