ich beneide andere MathelehrerInnen
Vorweg, damit hier nicht auch nur eine Sekunde lang ein falscher Ton reinkommt oder rausgehört werden kann: ich habe einen Heidenrespekt vor der guten Arbeit, die massenhaft LehrerInnen leisten - und (was ja nichts entschuldigt) schwarze Schafe gibt´s überall. |
"ich beneide andere MathelehrerInnen":
nur MathelehrerInnen?
Nein, beispielsweise auch oder DeutschlehrerInnen, die es schaffen,
hübsch brav nach Schulbuch oder "Lektürehilfen"
bzw. immer über denselben literarischen Kanon zu unterrichten:
" Homo faber was my first love
and it will be my last
Homo faber of the future
and Homo faber of the past",
Klassenarbeiten durchaus ordentlich, aber doch kurz zu korrigieren
(vgl. - gerade im Fach Deutsch - ;
ich meine das
weder selbstmitleidig
noch als [wo mich schon sonst keiner lobt] Selbstbeweihräucherung
noch [damit mich eben doch mal andere loben] als "fishing vor compliments" [wer Anerkennung aus dem anonymen Internet zu bekommen versucht, ist eh auf dem Holzweg],
sondern rein deskriptiv: die Korrektur einer Schülerklausur ist bei mir nunmal meistens mindestens eine maschinengeschriebene Seite lang,
[weil ich an den Klausuren "schreibend [s.u.] entlangdenken" und eine Art Zwiegespräch mit den SchülerInneN führen muss, statt ihnen nur meine Weisheiten (richtig/falsch) mitzuteilen],
während andere DeutschlehrerInnen oftmals nur knappe Randnotizen machen und einige wenige abschließende Sätze unter Klausuren schreiben.
Nebenbei:
"eigentlich" sollte man, wenn man nur Zeit hätte, etwas tun, was weitgehend unüblich ist, nämlich auch Mathearbeiten kommentieren statt nur bepunkten!
ein Auszug aus einer meiner Klausurkorrekturen, um zu zeigen, wie das "Entlangdenken" bzw. das "Zwiegespräch" aussehen kann und dass es mehr ist als nur Bewertung:
"[...] Des weiteren erwähnen Sie den „roten Faden“, womit sie den des Gedichts (und nicht Ihren eigenen in einer Klausur) meinen. Das könnte aber echte Probleme geben, da ein Text, auf den Sie ja ebenfalls anspielen, vielfältig hin und her verwoben sein kann. Wie soll man dieses Geflecht bearbeiten und gleichzeitig den roten Faden beibehalten? Geht das nur mit letztlich langweiligen Wiederholungen?
Wohlgemerkt, das sind für mich alles offene Fragen, bzw. ich sehe da ein Problem, für dessen Lösung es kein Patenrezept gibt. [...]"Klausuren - so ungern ich insgesamt korrigieren - sind also für mich oftmals eine Anregung, weiter zu denken, statt nur mit meinem fixen Wissen zu vergleichen.)
Man wird (hoffentlich) bereits aus "durchaus ordentlich" heraushören, dass ich hier keineswegs die einfach faulen oder phantasielosen Typen meine, sondern jene, die durchaus solide arbeiten, die notorische Arbeitsüberlastung ausgerechnet von aber doch ein wenig dezimieren können.
alle MathelehrerInnen?
Es gibt zweifelsohne viele, die auf ähnliche Art wie ich "arbeiten", wenn sie auch nicht an meiner (Schriftsteller-)"Krankheit" leiden, Gedanken erst schreibend (s.u.) entwickeln zu können.
Es gibt sicherlich auch viele, die sehr wohl Gedanken haben, aber diese nicht explizit entwickeln. Und selbst wenn sie ihre Gedanken nicht ausdrücken können, heißt das ja noch lange nicht, dass sie sie nicht haben.
(Es gibt eine seltsame Aphasie gerade unter MathelehrerInneN, die sowieso - im Schnitt - die denkbar unliterarischsten Menschen sind.
Es wundert mich aber auch immer mehr, wie viele [sonstige] erwachsene Menschen regelrecht Angst vom Schreiben haben - vielleicht, weil sie immer noch den Rotstift eines Deutschlehrerblockwarts befürchten?)Ich rede hier also nicht von .
Wenn ich nun aber zu jenen MathelehrerInneN komme, die ich beneide, so ist der Neid keineswegs verkappte Kritik. Denn viele von ihnen machen zwar einen konventionellen, aber vielleicht gerade deshalb grundsoliden Unterricht.
(Sie verstehen sich oftmals als reine Fachwissenschaftler und leugnen deshalb meist die Notwendigkeit jeglicher pädagogischen Methode - und beherrschen dennoch zwei solche Methoden [die nicht nur schlecht sind!] durchaus gut: den Lehrervortrag und den "fragend-entwickelnden" Unterricht.)
Ich beneide also (ein wenig) folgende Typen von MathelehrerInnen:
jene, die sich das Korrigieren (s.o.) erheblich dadurch vereinfachen und abkürzen, dass sie rein "ergebnis"- statt "prozessorientiert" vorgehen: es interessiert
allein oder fast nur, ob das Ergebnis richtig ist,
aber nicht, wie jemand dazu kommt, ob also jemand eventuell viele richtige Zwischenschritte gemacht und sich nur einmal verrechnet hat (womit dann natürlich auch das Ergebnis falsch ist):
eine Vorgehensweise, die ich auch in den neuen zentralen Prüfungen erkenne, und zwar u.a. dann, wenn es für eine Aufgabe nur einen Punkt, also nur richtig oder falsch und nichts dazwischen gibt.
jene altgedienten MathelehrerInnen, die - weil der Mathestoff in der Schule ja ewig gleich ist - wirklich jedes Detail der gesamten Schulmathematik auswendig kennen - und (da wird´s pädagogisch) die möglichen Fehler der SchülerInnen gleich mit.
Hier bin ich sogar weniger neidisch, als dass ich diese MathelehrerInnen regelrecht bewundere, und zwar auch, weil darunter - wenn auch "nur" auf Schulniveau und ein bisschen darüber hinaus - viele erstklassige MathematikerInnen sind
(etwa so, wie es früher noch viele LateinlehrerInnen gab, die - wohlgemerkt im freien Vortrag - fließend Latein sprechen konnten).
Es gibt unter diesen - hier noch neutral gemeint: - "Besserwissern" aber auch eine Menge penetranter - jetzt durchaus kritisch gemeint: - Besserwisser, die gleichermaßen MathekollegInnEn, SchülerInnen und auch jeden Laien kleinkariert verbessern, also die manchmal durchaus sinnvolle Genauigkeit gnadenlos übertreiben
(vergleichbar etwa jenen DeutschlehrerInnen, die aber auch wirklich noch die hinterletzte Sonderschreibweise aus dem Duden kennen - und ihren Mitmenschen , wenn diese da Fehler machen, meterdick rot ankreiden).
Und Gnade dir Gott, wenn du
(wie letztens eine Rednerin [Nichtmathematikerin, die eine Statistik vorstellte])
einem Rudel solcher mathematischer Hyänen in die Hände fällst!
Und dann gibt es noch ein machohaftes "Namedropping" ("dropping" mathematischer Begriffe):
ich hatte mal das zweifelhafte Vergnügen, in der Mathe-Fachkonferenz einer anderen Schule zu Besuch zu sein, und was da lief, kann man
(u.a., weil da - wie in der Mathematik ja noch weitgehend üblich - fast nur Männer saßen)
nur als
Aufplusternund Hahnenkampf bezeichnen:
ein Fachbegriff jagte den anderen, was mich doch anfangs sehr einschüchterte, während mir dann doch schnell klar wurde, dass all das nur geschah, um
KollegInnEn abzukanzeln,
vor einem Fremden (mir) anzugeben,
nur ja nicht über pädagogische Aspekte reden zu müssen,
mitreden zu können und schlau auszusehen,
nicht zugeben zu müssen, dass man bei einigen Begriffen auch so seine lieben Lücken hatte.
Und dann stieß mich eine Lehrerin an und fragte ganz leise: "Sag´ mal, weißt du noch, was das soeben genannte »Horner-Schema« ist?" So etwa nach dem Motto "ist der Ruf erst ruiniert, lebt´s sich gänzlich ungeniert" haben wir beide von da an nur noch über die Kampfhähne geschmunzelt.
jene MathelehrerInnen, die stocksteif nach Buch unterrichten können
(vgl. die entsprechenden DeutschlehrerInnen oben),
und deshalb wohl kaum mehr Vorbereitungszeit brauchen
(wo man ja eh die allermeiste Zeit zum Nachbereiten, sprich: Korrigieren braucht).
Und da gibt´s wohl zwei Ausprägungen:
jene soeben genannten MathelehrerInnen, die den Stoff nach langjähriger Erfahrung in- und auswendig können - während ich ab und zu einen Stoff nicht beherrsche,
sei´s, weil ich allzu lange nicht mehr in der entsprechenden Klassenstufe unterrichtet und somit die Details schlicht vergessen habe,
sei´s, weil er mir tatsächlich neu ist
jene MathelehrerInnen, die auch methodisch streng nach Buch vorgehen können, also beispielsweise einen Beweis exakt so behandeln, wie er im Schulbuch steht.
(während ich sämtlichen Schulbüchern misstraue, weil ich nicht glaube, dass sie überhaupt zum Lernen geeignet sind, sondern sie mir nur als Aufgabensammlungen nützlich erscheinen; vgl. )
Genau da habe ich aber meine größten "Schwierigkeiten":
zwar kann ich beispielsweise den Beweis, dass es unendlich viele Primzahlen gibt, nicht jederzeit aus dem ärmel schütteln, aber wenn ich ihn dann in der knappen euklidischen Form lese, verstehe ich ihn "natürlich" problemlos.
Aber ich unterstelle dann eben, dass SchülerInnen das in der knappen Form nicht können - und also eine lange "Geschichte" brauchen
(inkl., wieso dieser Beweis überhaupt von Interesse sein könnte und wie man "drauf" kommen kann).
Und dann hilft mir nur eins: langwierig er-schreiben, also überhaupt erst eine Geschichte entwickeln
(... wobei mir vieles auch erst selbst aufgeht).
Und das ist der Hauptgrund,
weshalb ich mich dumm und dämlich schreibe.
Zwei weitere Gründe für mein Schreiben:
nicht die Vor-, sondern die Nachbereitung von Unterricht: um Geglücktes
(und das ist oftmals weniger mein Verdienst als das der SchülerInnen)
festzunageln
(auch zu klären, warum es so gut gelaufen ist: Zufall oder Methode?)
und Probleme für den Fall der Wiederholung aufzuarbeiten
Unterricht ist halt nie fertig, sondern "work in progress",
einfach gegen die öde derzeitige schulpolitische Diskussion immer wieder zu zeigen, wie bunt und lebhaft Schule ist - bzw. sein könnte.
PS:
Man wird rausgehört haben, dass es mit meinem Neid nicht weit her ist (wohl aber in oben genannten Fällen mit meiner Bewunderung).