die Mathematik im Symphonieorchester der Schulfächer
(und die Schulfächer im Symphonieorchester der "Weltzugänge")

Für mich besteht der eigentliche Sinn von Schule

(vielleicht neben der sozialen Erziehung)

darin, verschiedene (gleichberechtigte!) fachliche Zugänge zu der "einen" Welt aufzuzeigen:

 

(... wobei es eben nicht reicht, dass die Blinden ihre jeweiligen haptischen Einzelerfahrungen vom Elefanten machen: weil sie zwar blind, aber nicht taubstumm sind, können und müssen sie ihre Erfahrungen auch [verbal] "interdisziplinär" austauschen!)

 

Typische fachliche Weltzugänge sind dabei

(ein ebenso wichtiges wie potentiell gefährliches Fach, wenn - wie in der Schule weitgehend üblich - vermeintlich wertfrei nur programmiert wird, aber die gesellschaftlichen Bezüge völlig außen vor gelassen werden; vgl. etwa und ),

Nun gibt es aber natürlich noch ganz andere "Weltzugänge", so dass die Schulfächer nur ein Teil des Gesamt-Symphonieorchesters sind.

(Der Kanon der Schulfächer ist

[abgesehen von der "neureichen" Informatik]

seit langem unverändert, und ich unterstelle mal, dass das nicht einfach nur unsinnige Gewohnheit ist, sondern gute Gründe hat: die gängigen Schulfächer decken weitgehend das ab, was an "Weltzugängen" in der Schule möglich ist: wir brauchen nicht andere Schulfächer, sondern sie müssen dringend anders [anschaulicher, interdisziplinär ...] unterrichtet werden.

Nun gibt es immer wieder Forderungen, dass die Schule noch mehr leisten müsse

[insbesondere Sozialarbeit angesichts einer vermeintlich zunehmend asozialen "Jugend von heute"]. 

 Meistens ist da die Ökonomie gemeint

[gerne auf Kosten der ach so überflüssigen Geisteswissenschaften:

]

Dabei ist die Ökonomie auch "nur" eine Geistes"wissenschaft" - und lässt sich wunderbar der breiter angelegten Sozialwissenschaft subsummieren.)

In diesem Symphonieorchester ist die Mathematik aber das ätherischste Instrument:

(man kann aus der Mathematik allerdings auch eine Anwendungs- machen).


(Für die meisten Menschen spielt also die Mathematik
im Leben nicht gerade die erste Geige.)

Schade ist es aber, dass die Mathematik sich häufig anmaßt, der Dirigent zu sein.


In der Schule sind

(letztlich viel wichtiger:)

(und damit auch blinden Flecken bzw. toten Winkel),

.

Überhaupt muss klar werden, dass die meisten Fächer

D.h. auch, dass im Unterricht durchzunehmen ist,

(Ein hochinteressanter Fall ist da die Beziehung zwischen Relativitäts- und Quantentheorie: obwohl beide sich in ihren jeweiligen Feldern [das ganz Große / das ganz Kleine] enorm bewährt haben, können sie dennoch nicht beide gleichermaßen "wahr" sein, sondern widersprechen sie sich regelrecht:

einzeln klingt jedes dieser Instrumente wunderschön, zusammen ergeben sie aber eine Dissonanz.

Dieses Dilemma müssen Schüler unbedingt erfahren, auch wenn der Nachweis für die Schule viel zu hoch ist.)

Dass "nur" Theorien vorliegen, darf aber nicht den Eindruck vermitteln, alles sei beliebig und jede Wahrheit zerfließe

(gerade in der Relativitätstheorie [!] ist nämlich nicht alles relativ, sondern eines fest, nämlich die Lichtgeschwindigkeit, und alles andere tanzt um diesen Fixpunkt: ).

Sondern es sollte

(ein hehrer und im bestmöglichen Fall nur ansatzweise erreichbarer Versuch)

klar werden, dass das Spiel mit den Theorien und Möglichkeiten Spaß macht:


Eines der geheimen Hauptziele von Schule müsste es aber sein, dass Schüler

(zumindest in der Oberstufe und als Teil der "Allgemeinen [!] Hochschul-Reife [!]")

lernen, Widersprüche auszuhalten. Oder genauer: sie erstmal anzuerkennen:

"Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert,
der hat keinen zu verlieren."
(Gotthold Ephraim Lessing)

(Als Mathematiklehrer [und weil's hier doch vor allem um Mathematik geht] fällt mir da natürlich sofort der mathematische "Widerspruchsbeweis" ein

[vgl. etwa Bild ]:

die Mathematiker haben es tatsächlich geschafft, vor Widersprüchen nicht zu resignieren, sondern sie positiv zu wenden und aus ihnen ein Erkenntnisprinzip zu machen:

)

Und genauso wie den Widerspruch gilt es den Zweifel auszuhalten, ja sogar teilweise Spaß an ihm zu entwickeln

(der Mathematiker glaubt gar nichts, wenn es nicht begründet / bewiesen wurde):

Erich Fried:
Angst und Zweifel

Zweifle nicht
an dem
der dir sagt
er hat Angst

aber hab Angst
vor dem
der dir sagt
er kennt keinen Zweifel

(Reklame im Flughafen von Manchester)

Zu unterscheiden ist allerdings zwischen

(Ich schlag' mir auf die Schenkel: jetzt folgt auch noch - so en passent und ganz umsonst - praktische Lebenshilfe

[die aber naturgemäß über Schlagwörter nicht hinaus kommt]:

gegen Selbstzweifel hilft manchmal liebevolle Selbstironie [sich selbst nicht ganz so wichtig nehmen]: dem Menschen mit einem gesunden Selbstbewusstsein ist es wohl gelungen, seine inneren Widersprüche und Selbstzweifel zu "integrieren", also gleichzeitig stark [sicher] und schwach [unsicher], aber nie bloß "cool" zu sein.

Ein Mittel gegen heillose Selbstzweifel scheinen mir Erfolgserlebnisse zu sein: "ich bin im Umkreis von 100 m der beste Panflöte-Spieler" und überhaupt: "ich habe etwas durchgehalten und bin [nur für mich] stolz auf das Ergebnis".

Wo aber ermöglicht Schule Erfolgserlebnisse, die über abstrakte Zahlen [Schulnoten] hinausgehen?!) 


Was nun aber ist die spezifisch mathematische "Weltsicht" bzw. der Beitrag der Mathematik zur "Gesamt-Weltsicht"?

Niemand wird bezweifeln können, dass die Mathematik erheblich zur naturwissenschaftlichen "Durchdringung" der Welt und zur technischen Entwicklung beigetragen hat. Aber die Mathematik ist doch nur deshalb in der Technik so erfolgreich, weil sie dort "unsichtbar" ist: der "User" muss keine Mathematik beherrschen, um die Technik zu bedienen

(wenn er die in den Geräten steckende Mathematik beherrschen müsste, gäbe es überhaupt keine "Populär-Technik").

Mit dem Anwendungsbezug der Mathematik ist das in der Schule aber ein Problem: sieht man mal von mathematischen Formeln im Physikunterricht ab, so sind die meisten Anwendungen von Mathematik heutzutage viel zu kompliziert, um sie (komplett) in der Schule durchzunehmen.

Und gleichzeitig haben die heutigen mathematischen Anwendungen in den High-Naturwissenschaften und der High-Tech keinerlei Bezug zu den lebensweltlichen Problemen der Schüler: diese brauchen nirgends in ihrem

(derzeitigen und oftmals auch zukünftigen)

Leben Mathematik.

(Um aber doch irgendwie den allseits geforderten Anwendungbezug herzustellen, nimmt man dann im Standard-Mathematikunterricht sogenannte "eingekleidete" Anwendungs[?]aufgaben durch, die in Wirklichkeit nur beliebig verpackte Mathematik sind

[und die Schüler müssen die Mathematik dann "nur" wieder auspacken; vgl. ].

Und den lebensweltlichen Bezug täuscht man dann z.B. dadurch vor, dass man eine Mode-Verpackung wählt. Vgl. etwa die derzeit allseits beliebten Handy-Tarife:

)

Der Anwendungsbezug ist also ein höchst zweifelhaftes Argument für Schulmathematik.

Überhaupt ist es mir viel zu billig, egal welches Schulfach mit einer (vermeintlichen) direkten (ökonomischen!) Verwertbarkeit zu legitimieren: wenn beispielsweise der Erdkundeunterricht "nur" zeigt, wie schön und gefährdet unsere Erde ist

(und wie sie - soweit überhaupt schon bekannt - funktioniert),

so reicht das doch allemal:

(Aber es wäre natürlich naiv zu meinen, man könne der Anwendung von Wissen entgehen: wer weiß, wie die Erde [vermeintlich] funktioniert, hat auch die Möglichkeit, sie zum Guten oder Schlechten zu verändern. Ganz bitter aufgestoßen ist das z.B. dem Mathematiker G. H. Hardy, der Mathematik gerade deshalb betrieben hat, weil sie "weltfremd" zu sein schien, und dann bemerken musste, dass andere mit seiner Mathematik die Atombombe gebaut hatten: )

Dass aber ein Schulfach Selbstzweck ist und evtl. einfach nur Spaß macht, ist schwer zu vermitteln, kann man nämlich kaum überzeugend begründen, sondern höchstens ansteckend vormachen.


Weil wir Kinder im selben Alter haben, frage ich eine gute Bekannte, wie sich denn nach den Sommerferien bei ihrer Tochter die Schule wieder angelassen habe. Worauf die (ausgesprochen sympathische) Bekannte sofort zu einem Mathematik-Bashing ausholt: was denn eigentlich diese bescheuerte Bruchrechnung solle?! Der größte Blödsinn in ihrer eigenen Schulzeit seien aber Beweise gewesen: "die braucht man doch nie wieder im Leben".

... womit sie ja recht hat: mathematische Beweise sind prinzipiell in keiner Lebens-/Anwendungs-Situation brauchbar

(etwa so wie irrationale, d.h. hinter dem Komma weder endliche noch periodische Zahlen, also z.B.

π  = 3,14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288 41971 69399 37510 58209 74944 59230 78164 06286 20899 86280 34825 34211 70679 usw. usf. bis ins Aschgraue.

"Mathematiker: π ist die Zahl, die das Verhältnis vom Umfang eines Kreises und seinem Durchmesser angibt.
Physiker: π ist 3,1415927 plus/minus 0,00000005.
Ingenieur: π ist ungefähr 3")
.

Beweise sind aber nunmal das Herz der Mathematik, und wenn man sie aus der Mathematik herausschneiden würde, wäre sie tot bzw. bliebe nur noch Rechnen übrig

(vgl. ).


Mathematische Beweise sind per se paradox - und erst dadurch so überaus erstaunlich: da wird

(manchmal in wenigen Sekunden)

(z.B. beim Satz des Pythagoras für sämtliche = unendlich viele rechtwinklige Dreiecke)

bewiesen

(unendlich viel Zeit hat der sterbliche Mensch und haben auch alle Mathematiker zusammen ja eh nicht).


Die Mathematik ist die einzige Wissenschaft, die etwas

(aber nicht alles!)

allgemeingültig beweisen kann, alle anderen Wissenschaften beruhen "nur" auf Erfahrungswerten, also Statistik:

"bisher ist es immer gutgegangen, und dann wird's wohl auch in Zukunft gutgehen".

So gesehen ist die Mathematik dann sogar die einzige Wissen(!)schaft

(wenn wir hier mal Goedels Unvollständigkeitssatz diskret verschweigen).

Die Mathematik ist also durchaus geeignet, eine "gesunde" Skepsis gegenüber allen Behauptungen zu trainieren, die im nicht-mathematischen Raum aufgestellt werden

(ein Aspekt, der in der Schule fast nie vorkommt, aber doch mindestens ein Schulhalbjahr wert wäre).

Vgl. etwa

Das heißt aber nicht, dass sich die Mathematik als universeller Besserwisser aufspielen darf: die Beweisfähigkeit der Mathematik wird nämlich durch ihren äußerst begrenzten Blickwinkel erkauft: letztlich handelt die ("reine") Mathematik nicht von der realen, komplexen Welt, sondern von einer idealen (platonischen) Welt.

Entsprechend sollte man mit der Übertragung der Mathematik auf alles Außermathematische extrem vorsichtig sein

(Ingenieure können ein Lied davon singen!),

statt die Mathematik zum Maßstab allen sonstigen Wissens (Glaubens?) zu machen:

"Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit. Mathematische Theorien über die Wirklichkeit sind immer ungesichert - wenn sie gesichert sind, handelt es sich nicht um die Wirklichkeit."
(Albert Einstein)


Der größte Vorteil der Mathematik als Schulfach

(und gleichzeitig wohl das, was am allermeisten Schüler abschreckt)

ist aber, dass sie wie kein anderes Fach logisches Denken und argumentative Genauigkeit trainiert

(bzw. trainieren sollte),

also sehr "streng" ist

(aber wer mag schon Strenge?; und doch haben Schüler oftmals Respekt vor Lehrern, die "streng, aber gerecht" sind).

diese Logik und Genauigkeit ist aber ein wichtiger Beitrag zur "Weltbetrachtung".


Summa summarum: an der (Schul-)Mathematik hat also gerade das den höchsten Bildungswert, was sie von allen anderen Schulfächern unterscheidet und was nicht (direkt) anwendbar ist.

Genau das

(also ein Verständnis für die Zweckfreiheit von Allgemeinbildung, aber auch der Spaß an der Kunst  [!] Mathematik: )

ist aber so schwierig zu vermitteln

(an Schüler, deren Eltern und sowieso an Schulpolitiker und -bürokraten).

 


Ich will hier nicht nochmal die (sonstigen) wichtigsten mathematischen Denkweisen wiederholen. Siehe dazu vielmehr mathematische Denkweisen .