echte


Lernspiralen
und Wissensnetze

 

 

Warum ins Übertragene und Virtuelle schweifen,
wo das Wortwörtliche und Materielle liegt so nah?!

"Wenn alles, was in der Welt geschieht, in das System einiger weniger Naturgesetze gefasst werden kann, dann müssen viele anscheinend verschiedene Erscheinungen miteinander in Beziehung stehen. Und tatsächlich ist die Welt, so wie die Physiker sie sehen, wie ein großes, in sich zusammenhängendes Netzwerk. Angefangen bei dem, was unseren Sinnen unmittelbar zugänglich ist, wird dieses Netzwerk, je weiter wir es verfolgen, immer enger, bis schließlich jeder Faden an einem der [...] großen physikalischen Prinzipien endet.
Aus dieser Sicht der Natur kann eine wichtige Folgerung gezogen werden. Wenn jede Erscheinung, der wir begegnen, uns am Ende zu einem der allgemeinen Gesetze führt, dann ist es gleichgültig, wo wir beginnen. Alles kann als Ausgangspunkt für eine Erkundung der materiellen Welt dienen."
(James Trefil)


  • "Gewisse Ereignisse bilden wichtige Knotenpunkte auf den Pfaden, die sich kreuz und quer durch das [Wissens-]Netz des Wandels ziehen [...] Viele Reisen durch das [Wissens-]Netz passieren solche Kreuzungen: James Watt [der Erfinder bzw. Verbesserer der Dampfmaschine] ist eine; auch die Infinitesimalrechnung; dasselbe gilt für die Romantik, Newton, den Steinkohleteer."
    (James Burke; und ich liebe diese vordergründig aberwitzige Kombination aus Mathematik [Infinitesimalrechnung, Newton], Kunst [Romantik] und popeligem - aber genauso wichtigem - Steinkohleteer)
     

  • "In einer künftigen Welt, die sich für die altmodische, auf Spezialistentum ausgerichtete Erziehungsmethode viel zu schnell verändert, könnten wir davon profitieren, wenn wir den jungen Menschen das Reisen durch das [Wissens-]Netz als primäre Lernerfahrung nahebringen würden. [...] In den Schulen könnten die Jugendlichen dazu angeleitet werden, sich ihren individuellen Weg durch das [Wissens-]Netz zu bahnen und sich selbst Lösungswege auszudenken [...]"
    (James Burke)

Klarstellung
Inhalt = Methode
Spiralen
Netze

Klarstellung

Was hier nicht gemeint ist:

Johanna Heitzer: Spiralen; ein Kapitel phänomenaler Mathematik; Klett

(die Methode nur um der Methode willen, und Hauptsache, wir fühlen uns im Matheunterricht alle ungemein wohl),

wie er letztens auf einer Tagung ernsthaft auch für den Mathematikunterricht vorgeschlagen wurde:

FRIEDENSNETZ

Wir knüpfen aufeinander zu,
wir knüpfen aneinander,
wir knüpfen miteinander,
Schalom, ein Friedensnetz.
Wir knüpfen aufeinander zu,
wir knüpfen aneinander,
wir knüpfen miteinander,
Schalom, eine Friedensnetz.

(nunja, Jugendliche dürfen das, sie brauchen solche Harmonieseligkeit)

Sondern:

  • "Lernspirale" im guten alten Sinne von "Spiralcurriculum" - nur eben in Form einer echten, anfassbaren Spirale;

  • "Wissensnetz" als echtes, anfassbares Netz, mittels dessen die Mathematik (bzw. der mathematische Erkenntnisfortschritt in der Schule) strukturiert wird.

Inhalt = Methode

Auch wenn man es nicht immer so leicht übertragen kann, sollte man es vielleicht dennoch probeweise zum Kriterium einer sinnvollen Methode machen, dass

  • sie die Methode dieselbe Form wie der zu vermittelnde Inhalt hat
    (wie in der Literatur, wo oftmals "Form = Inhalt" gilt),

  • bzw. für MathematikerInnen gesagt: dass methodische Form und fachlicher Inhalt zueinander kongruent sind bzw. miteinander korrelieren:

  • wenn der Inhalt "rund" ist, darf die Methode nicht "eckig" (oder gar von beliebiger Form) sein;

  • wenn der Inhalt spiral- bzw. netzförmig ist, muss auch die Methode spiral- bzw. netzförmig sein;

  • oder genauer: wenn die Struktur des Inhalts spiral- bzw. netzförmig ist, muss auch die Methode spiral- bzw. netzförmig sein.

Um es an o.g. Beispiel klar zu machen:

Die erste Frage muss also sein, ob der Inhalt der (Schul-)Mathematik spiral- bzw. netzförmig ist.

Mir aber scheint, es gibt überhaupt kein anderes Fach, das so netzförmig ist wie die Mathematik

(mit allen

Die "mathematische Strenge" besagt ja

(wenn man jetzt mal von erkenntnistheoretischen Problemen absieht, die es durchaus auch in der Mathematik gibt),

dass die gesamte Mathematik über vorher lückenlos bewiesene Zwischenschritte aus den wenigen unzweifelhaften (aber auch unbeweisbaren) Anfangspostulaten bzw. -axiomen aufgebaut werden soll, so dass sich etwa folgendes mathematisches Gebäude ergibt:

Unter der Voraussetzung, dass die Zwischenschritte tatsächlich lückenlos und logisch sind, ist dieses mathematische Gebäude also sozusagen "unkaputtbar" und "atombombensicher".

(Dabei sei hier mal das Problem weggelassen, dass die Fundamente, also Axiome wackeln könnten bzw. dass, wers aufs Gesamtgebäude abgesehen hat, am besten Sprengsätze an den Fundamenten anbringe, wie es ja beispielsweise auch Lobatschewski und Riemann mit ihrer nichteuklidischen Geometrie getan haben, indem sie das Parallelenaxiom weggesprengt und ohne es eine ganz neue [Parallel-]Mathematik aufgebaut haben, die erst Felix Klein wieder in eine Gesamtmathematik einbauen konnte.)

Während in der Illustration der Einfachheit halber nur vier mathematische Fakten gezeigt wurden (A, B, C und D), sind es in Wirklichkeit natürlich zigtausende, wobei - sobald sie bewiesen sind - ausnahmslos alle über Zwischenschritte auf die untersten Wurzeln rückführbar sind.

(Isolierte Fakten, die noch nicht auf vorher bewiesene und letztlich auf die Fundamente zurückführbar sind, sind bislang nur Vermutungen.
Und wirklich interessant wirds erst bei Gödel, der - vereinfacht gesagt - bewiesen hat, dass es mathematische Fakten gibt, die man [innerhalb des Gebäudes] niemals wird beweisen können, die aber dennoch richtig sein können, denen man aber - so Alan Turing - vor einem eventuellen Beweis auch nicht ansehen kann, ob sie überhaupt beweisbar sind.)

Die Illustration zeigt also, dass die Mathematik "von Natur aus" und in ihrem Innersten netzförmig, also im Grunde ein großer Text (denn lat. textum = Gewebe) ist

(und Teil eines viel umfassenderen Kultur- bzw. Wissensnetzes).

Interessant dabei ist, dass sich - wie alle Wissensgebiete heutzutage - auch die Mathematik innerlich immer mehr in Spezialgebiete aufspaltet, die derart weit voneinander entfernt liegen (deren gemeinsame Wurzeln derart weit zurück liegen), dass wohl kaum jemand mehr einen Gesamtüberblick hat.

Es ist mal behauptet worden, der Mathematiker Jules Henri Poincaré (1845 - 1912) sei der letzte gewesen, der noch grade einen Gesamtüberblick über die seitdem maßlos explodierende Mathematik gehabt habe.

Um so erstaunlicher

(oder doch aufgrund der gemeinsamen Fundamente gar nicht so erstaunlich?)

ist es, dass

Die Mathematik ist zudem "von Natur aus" nicht nur netz-, sondern auch spiralförmig

(und das eben keineswegs nur für angeblich begriffsstutzige SchülerInnen,

In der Illustration oben war das bei der Herleitung von Punkt D angedeutet worden, wozu man

  D

C

A

Viele spätere (weiter oben liegende) Fakten bauen auf viel Früherem auf, und zudem wird der Baum/die Spirale nach oben hin immer breiter.

Die Mathematik befindet sich also genauso in (kultureller) Evolution wie auch Lebewesen, die sich immer weiter ausdifferenzieren, aufeinander aufbauen und parallel existieren.

Da also der Gegenstand (die Mathematik) ein Netz bzw. eine Spirale ist, liegt es nahe, ja scheint es nur folgerichtig, auch die Methode netz- bzw. spiralförmig aufzubauen.

Dafür scheint es noch einen anderen Grund zu geben: wie beispielsweise Alexander R. Lurija in

gezeigt hat, scheinen sogenannte "Gedächtniskünstler" ein "ganz einfaches" (?) Mittel für ihre Gedächtnisleistungen zu haben: sie ordnen die Einzelfakten wortwörtlich in imaginäre Räume (beispielsweise auch die Geschichte eines Spaziergangs) ein, die sie dann "nur" noch (beispielsweise auch in einer freien Rede) abzugehen haben. Man könnte auch sagen, dass ihnen die Fakten nicht äußerlich bleiben (nur kurzfristig auf Prüfung hin eingepaukt, aber letztlich zum einen Ohr rein, zum anderen raus), sondern dass sich diese "Gedächtniskünstler" mitten in den Dingen bewegen.

Die Mathematik scheint mir viel eher für jahrgangsübergreifende Großspiralen bzw. -netze als für  kleine geeignet.

Spiralen

Der gesamte Kanon der Schulmathematik wäre dringendst nach folgenden Kriterien zu durchforsten - und radikal auszumisten!:

  1. Was ist innermathematisch nötig, d.h.

  1. führt zu einer für die Mathematik bezeichnenden (Einzel-)Erkenntnis,

  2. wird später noch mal gebraucht:

  1. nur sporadisch oder sogar ein einziges Mal,

  2. mehrfach oder sogar immer wieder,

  1. ist Teil eines wichtigen, immer wieder auftauchenden roten Fadens?

  1. Was wird außermathematisch (in anderen Fächern und evtl. auch späteren Anwendungsberufen) gebraucht?

(also die angeblich ach so wichtige Prozentrechnung und der ebenfalls ganz ungemein bedeutsame Dreisatz?)

  1. Wer A sagt (was nötig ist), muss auch B sagen (was zugunsten von A weggelassen werden kann - und muss!).

(Um gleich "Butter bei de Fische" zu geben, z.B.

(Das ist genauso wie mit den derzeit explodierenden neuen Arbeitsbelastungen für LehrerInnen: solche einzuführen hat überhaupt nur ein Recht, wer auch sagt, wo er konkrete und gleichwertige Entlastungen [von bisherigen Tätigkeiten] durchsetzt.)

Im Folgenden soll es mir nur um 1., also das innermathematisch Notwendige gehen.

Hier wäre wohl zu differenzieren nach

  1. dem mathematisch wirklich Bezeichnenden, d.h. den Stoffen, die zentrale mathematische Ideen bzw. Denkweisen verdeutlichen,

  2. den (dafür) nunmal unabdingbaren Techniken.

Nur diese Dinge (oben 1c) sollten - wenn überhaupt - von der Kultusbürokratie bzw. Fachkonferenzen verpflichtend gemacht werden, was u.a. hieße, die ellenlangen Rahmenrichtlinien auf wenige Seiten (und ganz wenige Punkte pro Schuljahr) "einzudampfen".

Zweifelsohne muss es gerade dann, wenn man eine - wie unten angedeutet - jahrgangsübergreifende Spirale aufmachen will, aber zumindest schulintern einen Minimalkonsens geben. Um es nur an einem einzigen Punkt zu verdeutlichen:

All das heißt gerade nicht, dass andere Punkte verboten wären. Sondern im Gegenteil eröffnen sich da vielfältige Möglichkeiten für Exkurse (siehe  1a) und Projekte:

etwas bislang schier Undenkbares müsste ermöglicht werden: die MathematiklehrerInnen erhalten Entscheidungsspielraum, und man traut ihnen "eigenverantwortliches" Handeln (im Hinblick auf die Mathematikspirale) zu.

Wichtig ist noch die Unterscheidung zwischen dem, was (s.o. unter 1.)

  1. später nur sporadisch oder sogar ein einziges Mal,

  2. mehrfach oder sogar immer wieder

gebraucht wird.

Angenommen mal, man braucht den Strahlensatz Jahre später nur noch ein einziges Mal (und dann auch nur sehr kurz) bei der Einführung der trigonometrischen Funktionen. Unter dieser vielleicht zweifelhaften, aber doch gängigen Voraussetzung gehört er nicht in die eigentliche Spirale, sollte man also auch nicht darauf vertrauen bzw. gar vorwurfsvoll bestehen, dass die SchülerInnen ihn noch erkennen und beherrschen, sondern einfach nur kurz nachschlagen.

Es darf eben nicht alles, was irgendwann (vor Jahren) mal da war, seitdem aber nie wieder benutzt wurde, als selbstverständlich vorausgesetzt werden - wie es beispielsweise in Parallelklausuren in der 10. Klasse passiert, wenn da urplötzlich wieder die ach so wichtige Prozentrechnung auftaucht, die seit Jahren nicht wieder durchgenommen bzw. benutzt wurde.

Wenn etwas aber wichtig genug erscheint, in der Spirale aufzutauchen, dann wird Vorsorge getroffen werden müssen, dass es tatsächlich immer wieder (unscheinbar und variiert) auftaucht.

Im Folgenden sehe ich mal von allen technischen Schwierigkeiten ab, also z.B.

Solche Schwierigkeiten lassen sich gewiss überwinden - wenn man nur will.

Zudem könnte beispielsweise ein Klassenraumwechsel oder die Neuzusammensetzung eines Kurses ja sogar eine Chance sein: dann fängt man halt mit der (sukzessiven) Rekonstruktion einer Spirale oder eines Netzes an, was ja immerhin eine schöne strukturierende Wiederholung und Selbstvergewisserung wäre.

Es wäre also durchaus denkbar, dass eine große Spirale (evtl. sogar mit Jahrgangsbezeichnungen versehen) wie ein Tannebaum in der Klassenraumecke steht

und daran immer wieder mittels Fäden Verbindungen quer über die "Stockwerke" vorgenommen werden (s.u. bei den Netzen).

Allerdings sollte (wie im Folgenden die Netze) die Spirale wohl eher langsam "mitwachsen", damit sie für einen Anfänger nicht frustrierend endlos erscheint (mit dem allzu vagen Versprechen von oftmals verschwindend geringem oder völlig verstelltem "Licht am Ende des Tunnels"). 

Wichtig (auch bei Netzen) ist, dass

  • die Methode - und damit, wie oben gezeigt, der Inhalt - sicht- und einsehbar wird und

  • die SchülerInnen nicht nur unwissentlich einer vor ihnen (warum eigentlich?) streng geheim gehaltenen, aber latent andauernd vorhandenen Methode folgen, sondern sie ausdrücklich und in vollem Bewusstsein TUN .

Netze

scheinen mir nun doch sinnvoller und praktikabler als Spiralen.

Dabei ist heute wohl dringend darauf hinzuweisen:

"alles hängt irgendwie, irgendwo, irgendwann mit allem zusammen,
aber nix Genaueres weiß man nicht".

Um so notwendiger ist es, das "Netz" wieder - wie hier - wortwörtlich zu verstehen und zu gestalten.

Hier seien kurz stichwortartige Ideen für ein reales Netz im Unterrichtsraum entwickelt:

(z.B. sollten 10-Klässler wissen, was in einem eventuellen Leistungskurs auf sie zukommt - und ob sie das überhaupt interessiert),

Mit solch einem Blick in die Zukunft wird das Netz zu einem erkenntnisleitenden und vielleicht auch motivierenden Forschungsvorhaben!

Insgesamt ist es der Sinn solch eines Netzes, augenfällig zu zeigen:

  • woher kommen wir
    (also auch: worauf können wir bereits mit einigem Stolz zurück schauen),

  • wo stehen wir,

  • wohin "wollen" wir ?

Als Bespiel für ein zu erstellendes Netz sei der "Geometriestammbaum" genannt:

Die Erstellung solcher langfristigen Netze hat nicht nur für SchülerInnen, sondern auch für LehrerInnen Vorteile: letztere haben regelrecht permanent vor Augen,

Vielleicht ein wenig arg dick aufgetragen und damit (immer schon) verdächtig patentrezepthaft:

Mit der Erstellung des Netzes werden die SchülerInnen zu "Herren" ihres eigenen mathematischen Schicksals, statt dass ihnen immer nur

  • "die" fertige Mathematik,
  • die Lehrkraft
  • mit Walter Benjamin der "Angelus novus"

die (mathematischen) Trümmer vor die Füße knallt ("friss oder stirb"):

"Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heisst. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füsse schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schliessen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm."

 

Insbesondere - darauf vertraue ich mal - kann solch ein Netz massiv dazu beitragen, dass
  • nicht nur (die ja in der Tat auch wichtigen) Einzelfakten (das Baumaterial, die Bäume),
  • sondern auch die grundsätzlich-langfristigen mathematischen Denkweisen (der Wald) deutlicher
  • und damit (im Rückschluss) auch die Einzelfakten besser verstanden werden.