Textaufgaben ohne Rechnen

Textaufgaben sind der (O-Ton eines Schülers) "Horror" aller SchülerInnen, und zwar mit gutem Grund:

  1. , weil ihre Mathematisierung oftmals wahrhaft nicht einfach ist
    (und je echter das Problem, desto teuflischer oftmals die Mathematisierung, aber auch die benötigte Mathematik),

  2. , weil die Aufgaben meist (als "eingekleidete Mathematik") dümmlichstes Niveau haben.

Da ziehen SchülerInnen rein innermathematische Aufgaben (Rechnen) oftmals vor, weil die wenigstens ehrlich sind (vgl. auch "das Anwendungsproblem").


Hier soll es aber nicht um Sinn und Zweck sowie die Güte von Textaufgaben gehen, sondern darum, wie man sie - wenn man es schon möchte und sinnvolle Aufgaben gefunden hat - im Unterricht einsetzen kann.

Oftmals werden

(vermutlich aus Zeitdruck: "ach ja, wir müssen ja laut Richtlinien auch noch Textaufgaben machen")

miteinander vermengt

(oder beim Rechnen während einer Textaufgabenbehandlung kommen wieder uralte rechnerische Probleme hoch, die die Dramaturgie der Textaufgabe regelrecht zerbrechen: "tut mir leid, aber vergesst die Anwendungsaufgabe, denn wir müssen offensichtlich erst noch mal die quadratischen Gleichungen wiederholen").

Nun mag es zwar sinnvoll sein, Rechenverfahren überhaupt erst aus anschaulichen Anwendungen zu destillieren (vgl. "Anschauung statt Anwendung"). Hier aber geht es mir um die (vielleicht allzu übliche) Gegenrichtung:

  • erst Entwicklung der Rechenverfahren und deren (noch innermathematische) Übung,

  • dann - und zwar strikt getrennt davon - die Mathematisierung von Textaufgaben.

Natürlich müssen auch Textaufgaben mal "zu Ende gerechnet werden", d.h. muss der vollständige Durchgang bewältigt werden:

  1. Mathematisierung der Textaufgabe,

  2. innermathematische Rechnung bis hin zur mathematischen Lösung,

  3. (Problematisierung der) Lösung im Hinblick auf die ursprüngliche Textaufgabe.

Unter der (zweifelhaften?) Voraussetzung aber, dass die Rechenverfahren bereits entwickelt und gesichert sind, könnte ich mir durchaus auch vorstellen, in einer ganzen Unterrichtseinheit den 2. Punkt, also die Rechnung, weg zu amputieren.

Denkbar wäre da etwa, dass alle oder einige der gegebenen Textaufgaben auf Gleichungen hinaus laufen, die schon vorher (im innermathematischen Teil) behandelt und gelöst wurden, so dass nur noch darauf verwiesen würde.

Oder die Lehrkraft könnte Rechnung samt Lösung kurz in die Klasse geben

("zum öden Rechnen sind wir uns zu schade, das lassen wir andere machen").

Trotz des Wegfalls von 2. müssten dennoch Perspektiven auf 3. vorkommen:

"welches Ergebnis [welche Größenordnung] ist zu erwarten bzw. was kann überhaupt heraus kommen (woran dann ein eventuelles [falsches] Rechenergebnis gemessen würde)?"

Über solch eine reine "Mathematisierungs-, aber nicht Rechen-Unterrichtseinheit" müsste natürlich auch eine ganz andere, viel (sekundär-)textlastigere Klausur geschrieben werden.

Ich bin mir sicher, dass dadurch auch mal andere (der Mathematik distanzierter gegenüber stehende) SchülerInnen neue mathematische Chancen bekämen (vgl. "die mathematische Hintertreppe" ). Aber ich halte solch eine "neuartige" Klausur, die vielleicht sogar auf einen mathematischen Aufsatz hinausliefe, keineswegs für einfacher (und schon gar nicht für "un-mathematischer").

Ich will nicht fundamentalistisch werden: vielleicht sollte man in eine entsprechende Klausur auch "Sicherungs-", also übliche Rechenaufgaben mit einbauen.


Textaufgaben müssten im Laufe der Schuljahre gestuft werden:

  1. (wie fast ausschließlich im Unterricht üblich) Aufgaben zur direkt vorher behandelten Mathematik. Die SchülerInnen wissen also beispielsweise:

"vorher waren quadratische Gleichungen dran, und jetzt muss ich den Text solange plündern, bis ich [als »Zielfunktion«] eine quadratische Gleichung habe. Dann kann ich mich erleichtert zurücklehnen und nur noch diese abarbeiten."

  1. , was ich mal PISA-Aufgaben nennen möchte: eine Aufgabenart, die in deutschen Schulen (wegen des Stoffdrucks und aus Zeitmangel?) viel zu selten behandelt wird, weshalb mich auch die Ergebnisse "der" deutschen SchülerInnen in PISA gar nicht wundern (vgl.   ):

Aufgaben nämlich, bei denen

Im Grunde sind das ja erst die (erste Art von) "richtigen" Anwendungsaufgaben: bei Anwendungsproblemen steht ja nicht (wie in 1.) auf einem großen Schild Hilfslinien oder Rechenanweisungen dran.

Hier wäre bei "Textaufgaben ohne Rechnen" ein weiterer Schritt nötig: es müssten

(eben das, was man "eingekleidete" Mathematik nennt, bei der die SchülerInnen nur das wieder raus holen müssen, was die Lehrkraft bzw. Schulbuchautoren drin versteckt haben),

(und erst wenn man das erkannt hat, kann man sich die weitere Rechnung sparen).

Genau bei solchen Aufgaben macht aber PISA vielleicht einen zentralen Fehler: es wird auch wieder nur das (ganz richtige oder ganz falsche) rechnerische Endergebnis, nicht aber der (vielleicht halbwegs oder sogar ganz richtige) Gedankengang abgeprüft.

  1. Aufgaben, die (mit einigen guten Gründen) noch viel seltener in der Schule behandelt werden und dennoch überhaupt erst die eigentlichen Anwendungsaufgaben sind:

(z.B. "untersuche den freien Fall"),

(z.B. "Algenentwicklung im Mittelmeer").

Ein noch weitgehend innermathematischer Ansatz sind da sogenannte "Steckbriefaufgaben", bei denen aus gewissen Vorgaben (z.B. Nullstellen) sozusagen "rückwärts" auf eine möglicherweise dahinter "steckende" Funktion geschlossen werden muss.