unkollegiale Kollegen

  „[...] weil Teams oft schlechtere Ergebnisse produzieren als brillante Köpfe, die sich mit eigensinnigen, ungewöhnlichen Vorschlägen entfalten dürfen. Man lässt sie nur so selten. Denn der Team-Begriff ist längst zum großen verbindenden Narrativ der Arbeitswelt geworden.“
(Quelle:
)

Ich meine mit "unkollegiale Kollegen" nicht jene Lehrer

(solche Typen gibt's aber in jedem Beruf und vergiften die halbe Berufswelt),

die

(in Zeiten des Lehrermangels fordern ja viele Jungkollegen schon bei der Einstellung eine umgehende Verbeamtung)

 und die Rechte älterer und somit verdienterer Kollegen grob missachten

(und es soll ja [garantiert schlechte] Lehrer geben, die diesen Beruf überhaupt nur wegen der [angeblich] langen Ferien, der freien [?] Nachmittage und des verlässlichen Gehalts gewählt haben; vgl. ),

(das Um-sich-Schlagen der zu kurz Gekommenen),

(allerdings muss man natürlich - insbesondere als Klassenlehrer - manchmal zwischen Schülern und Kollegen vermitteln).

Sondern ich meine hier jene nur vermeintlich unkollegialen Lehrer-Kollegen, die

(überhaupt wenig davon halten),

(Sowieso sind die meisten Lehrer Einzelkämpfer, und zwar notgedrungen,

Kommt hinzu, dass es wohl schier unmöglich ist, sich mit bis zu 20 Fachkollegen auf ein "progressives" gemeinsames Programm zu einigen: dazu gibt's einfach immer viel zu viele Kollegen, denen jede Phantasie für Kreatives abgeht und die vielmehr dringend vorgegebene Leitplanken benötigen.)

Die partielle Missachtung von Lehrplänen und kollegiumsinternen Absprachen ist dabei eine zweischneidige Angelegenheit:

  1. rächt es sich spätestens angesichts zentraler Prüfungen, wenn ein Lehrer verbindlichen Unterrichtsstoff vernachlässigt:

  1. machen aber die inzwischen allzu eng gestrickten Lehrpläne fast vollständig kreativen und ansteckenden Unterricht kaputt.

Kommt hinzu, dass die so eng gestrickten Lehrpläne sowohl unter Lehrern als auch unter Schülern systematisch die Falschen fördern, nämlich die zwar Bienenfleißigen, aber auch Kreuzbraven, Unkreativen und Sterbenslangweiligen.

(Vgl. etwa .)

Außerdem vermitteln die gängigen Lehrpläne oftmals ein höchst einseitiges Bild von dem, was die einzelnen Fächer eigentlich sind. Besonders schlimm ist das z.B. im Schulfach Mathematik, wo großteils eine Stumpf-"Mathematik" vermittelt wird, die mit den eigentlichen Freuden  und Denkweisen der Mathematik rein gar nichts zu tun hat und auf sehr viele Schüler nur abschreckend und abgrundtief frustrierend wirken kann.

Ein Lehrer, der sich nur teilweise an die Lehrpläne hält, ist also keineswegs automatisch ein schlechter Lehrer. Dazu eine kleine Anekdote, die meiner (falschen?) Erinnerung nach mal von der Erziehungswissenschaftlerin Elsbeth Stern erzählt wurde:

"Auf die Frage an einen Chemielehrer, der bei den SchülerInneN gerade wegen seiner gelungenen Vermittlung des Fachlichen sehr angesehen war, was sein »Geheimrezept« sei, antwortete dieser: »Ich habe nie die Lehrpläne gelesen.«"

(... und als diese Anekdote [vor vielen Kultusbürokraten] gerade erzählt war, brach ein Schrei der Empörung aus: das sei ja eine glatte Aufforderung zum Rechtsbruch!)

Nun sind die Lehrpläne ja in der Tat kategorisch verpflichtend, aber man kann doch immerhin nach den (wenigen) Lücken und Freiräumen in ihnen suchen

(vgl. Bild ).

Eine großzügige Auslegung der Lehrpläne erfordert allemal Mut. Umgekehrt ist allerdings leider denjenigen Kollegen nicht beizukommen, die sich immer kreuzbrav an die Lehrpläne und sonstige Vorschriften halten.

Mehr noch: was ein richtiger Beamter ist, verbietet sich in vorausseilendem Gehorsam sogar noch selbst, was (noch) nicht bereits verboten ist, bzw. schreibt sich geradezu masochistisch selbst vor, was (noch) nicht vorgeschrieben ist:

ich habe Konferenzen erlebt, auf denen sich immer dieselben verknusterten Kollegen durch zweierlei hervortaten:

(wobei es oftmals herzhaft egal zu sein schien, was da vorgeschrieben wurde, Hauptsache, es wurde überhaupt feste vorgeschrieben):

so schreiben z.B. die NRW-Mittelstufenlehrpläne für das Fach Deutsch nur den Erwerb (mehr oder minder sinniger) "Kompetenzen" vor, lassen sie den (einzelnen!) Lehrern aber ausdrücklich die Freiheit, anhand welcher Texte diese "Kompetenzen" angeeignet werden;

diese Freiheit haben viele Kollegen dann aber überlesen und vielmehr dafür plädiert, nun doch auch alle Texte verbindlich vorzuschreiben - und überhaupt die erworbenen "Kompetenzen" in dann erst möglichen klassenübergreifenden Vergleichsklausuren abzuprüfen

(der derzeitige Mythos, ja Wahnwitz der Vergleichbarkeit).

Wenn Lehrer (teilweise) auf die Lehrpläne pfeifen, können sie

(trotzdem oder sogar gerade deswegen)

besonders geeignet erscheinen, z.B. mathematisches Denken und überhaupt  Mathematik mal "anders" oder überhaupt endlich mal die Buntheit der Mathematik zu vermitteln

(vgl. etwa  ).

Diese zweite Möglichkeit scheint der Willkür Tür und Tor auf die Gefahr hin zu öffnen, dass Lehrer allzu sehr ihre mathematischen Privathobbies austoben

(und die Schüler ausbaden lassen).

Man kann solche Freiräume aber durchaus auch als Chancen verstehen:

Paul Janositz (Tagesspiegel): "Ist der Lehrplan [im Fach Mathematik] nicht schon vollgestopft?"
Günter M. Ziegler (Professor für Mathematik an der TU Berlin, Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung): "Ja, die Lehrer brauchen mehr Freiräume. Sie hecheln mit dem Stoff hinterher, statt sagen zu können: heute erzähle ich euch etwas Spannendes aus der Mathematik, das steht nicht im Lehrplan, aber es begeistert mich selbst. [...] Wir brauchen sicherlich auch mehr Zeit für den Mathematikunterricht [...]. Nicht um mehr Stoff zu pauken, sondern um mehr bunte Mathematik zu zeigen."
(Quelle: )