Mythos Unterrichtsausfall

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(, 28.10.05)

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(, 25.09.06)

Gleich vorweg: ich möchte hier nicht die schwarzen Schafe (oder - mag sein, dass es die gibt - ganze "schwarze" Kollegien) entschuldigen, die - wie in jedem Beruf - auch im Lehrerberuf vorkommen:

(Und dennoch sind mir die Kategorisierungen oftmals allzu voreilig. Nehmen wir etwa die berühmten Klischee-Arbeitslosen [angeblich die Mehrheit], die nicht mehr arbeiten wollen, sondern sich lieber in der "sozialen Hängematte" der Arbeitslosenunterstützung ausruhen.

Da wird man doch fragen dürfen und müssen: warum? [Was ja nichts entschuldigt!]

Nicht arbeiten wollen und nicht [mehr] arbeiten können liegen oft verdammt nah beieinander!

[Eine Arbeitsvermittlung hat mal herausgefunden, dass Arbeitslose sehr genau einschätzen können, wozu sie [nicht] fähig sind, und das Nicht-Wollen hat seine Ursache oftmals darin, dass sie systematisch in Stellen vermittelt werden, die sie nicht ausfüllen können.]

Kommt hinzu, dass die Arbeitslosigkeit längst [oder schon immer] jene erreicht hat, die dringend arbeiten wollen, ja sogar hochqualifiziert sind - die man aber nicht arbeiten lässt: die Hetze gegen Arbeitslose [und der Versuch, ihnen ein individuelles Versagen einzureden, sie also mundtot zu machen] ist nur noch ein ideologisches Ablenken von den eigentlichen Ursachen.

Der Vergleich Arbeitslose/LehrerInnen scheint auf den ersten Blick unfreiwillig entlarvend, wo doch LehrerInnen "hochbezahlte Teilzeitkräfte" [um 14 h immer schon im Baumarkt] sind und - soweit man Gerüchten trauen darf - zwischen den Ferien ab und zu sogar "arbeiten".

Wer so denkt, hält aber [wieder mal] eine erhellende punktuelle oder strukturelle Analogie für eine komplette Gleichsetzung [in allen Punkten].

Der einzige hier gemeinte Vergleichs- bzw. Analogiepunkt ist der, dass, wer nicht bzw. nur uninspiriert arbeiten will, vielleicht - etwa wegen systematischer Überlastung - nicht mehr [richtig] arbeiten kann.)


Aber na klar doch möchte ich mich auch hier wieder massiv in die laufende Diskussion einmischen, um


Wenn ich "Mythos Unterrichtsausfall" sage, so bezweifle ich ja


Meist wird ja nur - und zwar vor allem von Eltern- und Bürokratenseite - lautstark der (nochmals: ja in der Tat vorhandene) Unterrichtsausfall beklagt

- und dann mit allen nur erdenklichen (also blödsinnigen!) Mitteln für Abhilfe gesorgt:

(Gesunde) LehrerInnen werden gnadenlos zusätzlich für "Vertretungsstunden" eingesetzt, in denen sie

eigentlich gar keine Chance haben, wirklichen Unterricht zu "fahren":

die Unlust von LehrerInnen an Vertretungsstunden beruht ja weniger auf Faulheit (oder genauer: Arbeitsüberlastung) als vielmehr fast schon auf Angst

(vor Klassen, die einen nicht als reguläreN LehrerIn haben und daher [mangels Möglichkeiten zur disziplinarischen Konsequenz] überhaupt nicht ernst nehmen).

Blödsinnig ist das blinde Vertreten auch deshalb, weil damit nur rein rechnerisch das Soll erfüllt wird: eine Schule kann dann im "Idealfall" hinterher nachweisen, dass keine einzige Stunde ausgefallen, sondern jeder Fachlehrerausfall vertreten worden ist. Wie (nämlich inhaltsleer), ist dabei völlig egal.

(So ganz nebenbei unterstelle ich gerne einigen Eltern, dass es ihnen überhaupt nicht um die "Bildung" ihrer Kinder geht, sondern allein darum, sie "versorgt" [beaufsichtigt] zu wissen.
Dafür mag es mehr oder minder objektive Gründe geben [die Eltern müssen arbeiten], aber es macht sich auch immer mehr ein Versorgungsanspruch breit:


Was heißt das nun konkret, dass neuerdings kein Unterricht mehr ausfallen darf? Zwei Beispiele:

  1. LehrerInnen mit sowieso schon voller Stelle (also am Rande des Nervenzusammenbruchs :-), aber auch solche, die aus guten (z.B. familiären) Gründen "reduziert" haben, müssen teilweise erhebliche Dauervertretungen ableisten.

  2. Eine Kollegin von einer anderen (als meiner) Schule musste, weil sie auf eine einwöchige Klassenfahrt fuhr, für ihre zu Hause bleibenden Klassen (21 Stunden!) eine komplette Woche detailliert vorbereiten, so dass die vertretenden KollegInnEn ihr Material einsetzen konnten. Da ist eine Klassenfahrt (Vorbereitung, die Fahrt selbst) oftmals schon anstrengend genug - und dann auch noch massenhaft Zusatzarbeit! Man muss nicht faul sein, um sich langsam zu fragen, ob man überhaupt noch mit Klassen wegfahren will (muss?).


Und wenn tatsächlich (viel) Unterricht ausfällt, wird ja nie gefragt: weshalb?

Nur drei exemplarische Eindrücke:

  1. anderweitige schulische Veranstaltungen,

  2. längere Krankheit von "nur" zwei KollegInnEn.

Zu 1. (anderweitige schulische Veranstaltungen):

natürlich sollte der eigentliche Unterricht im Vordergrund stehen

(und wird doch immer mehr durch Korrekturen und formalen Schwachsinn unterhöhlt).

Aber Schule ist (u.a. als soziale und Erziehungs-"Bildungsstätte") mehr als eben nur Unterricht: Schule ist auch

  • oftmals liegen Lehrerausflüge in der Nähe von Ferien, weil da weniger wichtiger Unterricht ausfällt! [s.u.]

  • viele andere Betriebe haben auch Betriebsausflüge, und zwar selbstverständlich während der "Arbeitszeit";

  • ich persönlich empfinde solche Lehrerausflüge [ist doch egal, wohin] als ausgesprochen bereichernd und daher wichtig: um endlich mal auf anderer als nur schulischer Ebene ins Gespräch zu kommen.)

Die Entscheidung, wie viele solcher außerunterrichtlichen Angebote man "fahren" möchte (und wie viel auf Kosten des Unterrichts, also durch Unterrichtsausfall), ist also ganz offensichtlich nicht einfach zu fällen.

Ein Problem sehe ich allerdings darin, dass (aus jeweils guten Gründen!) immer mehr angeboten wird, aber keiner daran denkt, wie man dafür Platz schafft, wo man also auch mal Althergebrachtes und vielleicht überlebtes streichen muss.

(In Schulen dürfte nichts Zusätzliches beschlossen werden, ohne dass immer anderes gestrichen wird.
Ein anderes Problem ist natürlich, dass es da oftmals an "Erbhöfe" bzw. subjektives Interesse und Engagement von EinzellehrerInneN geht, also "Streit", Abstimmungen und Kompromisse gar nicht vermeidbar sind.)

zu 2. (längere Krankheiten):

Das Merkwürdige ist, dass (zumindest an "meiner" Schule) KollegInneN eigentlich nie länger krank sind:

Wenn dann KollegInnEn aber tatsächlich mal länger krank sind (und meiner Erfahrung nach sind sie dann auch wirklich krank!), läuft's doch immer auf dasselbe hinaus:

(evtl. bei marginalen Erleichterungen woanders, also Verkürzung der Unterrichtszeit in den regulären Klassen; was allerdings weder am erhöhten Vorbereitungs- noch am erhöhten Korrekturaufwand etwas ändert).

Ich wette, jede Lehrkraft grummelt wegen solcher Zusatzbelastung natürlich ein wenig, übernimmt sie aber doch kurzfristig gerne

(aus Solidarität mit der erkrankten Lehrkraft, den SchülerInneN [ihrem Anspruch auf "Bildung"] und der unter Druck stehenden Schulleitung).

Aber solche Zusatzbelastung ist eben nicht längerfristig auszuhalten - und zumutbar (wenn die zu vertretende Lehrkraft mehrere Monate krank ist).

LehrerInnen haben da mit Recht das Gefühl, Lückenbüßer (und zuguterletzt auch noch Sündenbücke) für kultusbürokratisches Versagen zu sein:

"die da oben" haben überhaupt kein Recht, den "schwarzen Peter" Unterrichtsausfall nach unten (an die LehrerInnen) weiterzugeben, sondern wer Unterrichtsausfall beklagt, muss auch etwas dagegen tun, nämlich "FeuerwehrlehrerInnen" für solche Notfälle einstellen.

Der Gipfel an Blödsinnigkeit ist es aber, wenn jetzt auch noch die Vertretungsgelder zusammengestrichen werden (vgl. Bild ).

Und "FeuerwehrlehrerInnen" nicht als "Durststrecke" für JungkollegInnEn nach dem Referendariat, die sich mit solchen Stellen nur ihre eigene reguläre Einstellung erschweren

(weil sie sofort nicht mehr weiter beschäftigt werden, sobald mit dem nächsten Zeitvertrag ein "Kettenvertrag" und damit arbeitsrechtlich das Anrecht auf reguläre Einstellung entstehen würde),

sondern "richtige" LehrerInnen, die zeitweise in ihrem Bezirk mit ganzer Stelle für eine halbe Vertretungen abgeordnet werden

(die andere Hälfte geht für

Fahrerei und doppelte schulische Verpflichtungen wie z.B. Konferenzen drauf).

Das koste (beim sowieso anstehenden Staatsbankrott) zu viel? Dann sehe man sich mal an, was andere (in PISA führende) Länder an Geld für Bildung ausgeben. Man bekommt das "Zukunftskapital" Bildung nun mal nicht umsonst!

(Dabei wüsste ich allerdings im Bildungsbereich viele Anlässe, um massiv Geld zu sparen!)

Zu ergänzen ist, dass Schulen früher so viel "Überhang" (LehrerInnen mit Freiraum) hatten, dass (auch längere) Vertretungen problemlos durchgeführt werden konnten. Aber dieser gesunde "Überhang" ist ja auch abgebaut worden, jetzt sind sämtlich KollegInnEn auch ohne Vertretung schon voll ausgelastet.

("Überhang" ist ein unpassendes Wort,  da es unberücksichtigt lässt, dass dadurch überhaupt erst zumutbare Vertretungen möglich waren. Eine Schule, die mit 100 %, also ohne "Überhang" fährt, hat in Wirklichkeit längst zu wenig LehrerInnen fürs Alltagsgeschäft, bei ihr herrscht rasanter Lehrermangel.)

Zudem überlegt ja keiner, weshalb LehrerInnen krank werden.

(Wobei ich sogar wette, dass LehrerInnen im Schnitt weniger krank sind als Angehörige vieler anderer Berufe!)

Ich kann und will über den Lehrerberuf nicht grundsätzlich klagen

(er hat auch einige Vorteile, und zwar nicht nur die angeblich ewigen Ferien).

Aber der Lehrerberuf ist allemal ganz schön nervenaufreibend, und ich frage mich ernsthaft, wie ich ihn noch mit 60 Jahren bestehen soll. Aber ich wette, im Rahmen der zunehmenden Rentenproblematik werden wir alle bis 70 arbeiten müssen - und tot überm Lehrerpult zusammenklappen: "hier kommt keiner lebend raus!"

üblicherweise liegen die Zeugniskonferenzen etwa eine Woche vor dem eigentlichen Ferienbeginn, und in dieser letzten Woche - seien wir ehrlich - läuft kaum mehr richtiger Unterricht bzw. nur unter enormem Druck durch die Lehrkraft

(der ihr selbst nicht recht gefällt: SchülerInnen arbeiten - wofür man ja sogar Verständnis hat -  anscheinend doch nur unter Druck und nicht aus Interesse).

Die SchülerInnen wissen ganz genau: "es geht um nichts [keine Zensuren] mehr", und oftmals

(nach all zu langen Schulwochen und in Vorfreude aller [auch der LehrerInnen!] auf die Ferien)

"ist die Luft einfach raus".

Im besten Fall legt man also genau in diese Zeit o.g. (ja durchaus auch wichtigen) außerunterrichtlichen Aktivitäten.

Eine fast notwendige Folge der "Durchhängezeit" ist, was jede Schulleitung natürlich (und doch aussichtslos) zu verhindern versucht:

die LehrerInnen zeigen (in ihrer "Not") mehr oder minder fachfremde "Videos" (Hauptsache eckig), um die SchülerInnen für die restliche Zeit "ruhig zu stellen". Und das geht so weit, dass SchülerInnen an einigen Schulen tagelang jeweils sechs Stunden nacheinander Videos gucken (müssen?).

Wäre es da nicht an der Zeit, nicht mehr aussichtslos dagegen anzugehen, sondern es zur Kenntnis zu nehmen und realistisch zu reagieren?

Mein Vorschlag:

PS:

Ein Mini-Unterrichtsausfall besteht darin, dass LehrerInnen zu spät im Klassenraum erscheinen oder ihn zu früh verlassen.
Natürlich geht das nicht an, wenn es systematisch passiert und jeder Stunde 10 Minuten raubt.
Aber bei allem Verständnis für Schulleitungen, die ihrerseits unter Elterndruck stehen und diesen "nur" weiter geben: es geht sehr wohl an, wenn es sich in Grenzen hält: wir sind keine Uhrwerke, und es gibt sogar dramatische Situationen im Unterricht (z.B. bei vollständigem Abschluss eines Stoffs), die ein früheres Ende erfordern.
(Und wir sind keine Tierbändiger für die restlichen drei Minuten!)
Zudem gibt es allerbeste Gründe, nicht maschinengenau pünktlich im Unterricht aufzutauchen:

  • in einer 5-Minuten-Pause konnte man beim besten Willen nicht von A nach B kommen;

  • in der "großen" Pause gab's mal wieder 10000 Kleingeschäfte
    (man schaue sich nur mal die Hektik in einem Kollegium während der sogenannten "Pausen" an!),

  • oder man brauchte "den Kopf frei" für die nächste Stunde oder - horribile dictu - "einfach nur" Erholung.

PPS: haben die eigentlich keine anderen Sorgen?:


jWestfälischde Nschrichten, 5.5.2018)

Muss man denn wirklich derart viel Geld und „manpower“ zum Fenster rauswerfen, nur um dann eine nette Statistik zu haben?