was an ist bemerkenswert?

Ich hatte in einer Oberstufenklausur die Funktion f: y = ex • x2 vorgegeben, und die SchülerInnen sollten ihr Minimum und ihr Maximum berechnen.

Hintergrund dabei ist, dass das Minimum und das Maximum mit der ersten Ableitung bestimmt werden, diese hier aber nur mit der sogenannten

(kurz vorher im Unterricht erarbeiteten)

"Produktregel" möglich ist.

Meine Wahl fiel dabei ausgerechnet auf f: y = ex • x2, weil das

(als Produkt einer Exponential- und einer Potenzfunktion)

eine der einfachsten Funktion ist

(noch einfacher wäre nur f: y = ex • x gewesen),

bei der überhaupt die Produktregel benötigt wird

(es sollte also vor allem das Prinzip "Produktregel" abgeprüft werden, nicht hingegen rechnerische Raffinesse)

Bei der Vorbereitung der Klausur war natürlich zu überlegen, ob die Funktion  f: y = ex • x2 denn überhaupt ein Minimum bzw. Maximum hat, ob die Ableitung also überhaupt "sinnig" ist

(mal abgesehen davon, dass die Ableitung bzw. Steigung einer Funktion auch dort interessant sein kann, wo bzw. wenn kein Maximum oder Minimum vorliegt).

Nun bin ich nicht so schlau, der Funktionsgleichung f: y = ex • x2 auf Anhieb anzusehen, wie ihr Graph aussieht und ob er ein Maximum/Minimum hat - weshalb ich sie mir den Graphen von einem Computerprogramm habe anzeigen lassen, wobei eben

heraus kam, womit klar war, dass die Funktion f: y = ex • x2 tatsächlich, wie erhofft, ein

(von den SchülerInneN dann mittels Produktregel zu berechnendes)

Minimum und ein Maximum hat.

Damit

(und nachdem ich die Aufgabe komplett durchgerechnet hatte)

war ich erstmal zufrieden - und habe die Aufgabe dann in der Klausur gestellt

(Nebenbei: die Rechnung zur Bestimmung der Extremwerte interessiert mich hier nicht die Bohne - und ist in zu finden.)


Halten wir fest, was allein mich zu der Aufgabe bewogen hat:

  1. sollte die frisch erarbeitete Produktregel nicht nur anwendbar, sondern auch nötig sein,
  2. sollte die Funktion dennoch möglichst einfach sein,
  3. sollte (mindestens) ein

(mittels Produktregel zu berechnendes)

Minimum und/oder Maximum vorliegen.

Sämtliche sonstigen Eigenschaften der Funktion f: y = ex • x2 und insbesondere - abgesehen vom Minimum und Maximum - der Verlauf des Gesamtgraphen waren mir also herzhaft egal

- so dass man den Graphen eigentlich auch auf den Bereich hätte beschränken können, in dem das Maximum und das Minimum liegen, also in der Nähe des Ursprungs:

Insbesondere interessierten überhaupt nicht die grundlegenden Eigenschaften der beiden Teilfunktionen, also der Exponentialfunktion ex und der Potenzfunktion x2. Sie waren nur beliebige Anlässe für die Anwendung der Produktregel.


Kleine Selbstkritik zwischendurch: wer (wie ich mit dieser Aufgabe) nur ein Rechenschema (eben die Produktregel) abprüft, erntet im besten Fall auch nur die Beherrschung von Rechenschemata, aber nicht ein tieferes Verständnis von Funktionen bzw. Funktionsarten.


Erst bei einem Blick während der Klausur ist mir aufgefallen, dass eben gerade nicht der Bereich um das Maximum und das Minimum herum interessant ist, sondern ganz im Gegenteil just der Bereich "drumherum":

D.h. so, als wenn es das Maximum und Minimum gar nicht gäbe, sondern der Funktionsgraph so aussähe:

Was aber soll daran viel interessanter sein als das Maximum und das Minimum?

Zur Beantwortung dieser Frage sind zwei Vorüberlegungen nötig:

  1. Wie so oft in der Mathematik, so hat man auch hier die Wahl zwischen Pest und Cholera:

(und aus diesem zweiten Grund hatte ich sie in der Klausur gegeben),

für die folgenden Überlegungen ersetze ich nun aber doch ex durch 2x, gehe also von der Funktion k: y = 2x x2 aus

(und das auch deshalb, weil man die beiden Teilfunktionen h: y = 2x und j: y = x2 so gefährlich leicht verwechseln kann).

  1. Oben, d.h. in der Klausur, war die Kombination aus ex und x2 nur gegeben worden, weil die Kombination aus Exponential- und Potenzfunktion überhaupt nur mit der Produktregel ableitbar ist, d.h. die Funktionen

(also einerseits die Exponentialfunktion m: y = ex und andererseits die Potenzfunktion j: y = x2 )

interessierten gar nicht "um ihrer selbst willen", sondern nur als Anlass für die Anwendung der Produktregel.

Jetzt aber

(beim veränderten Beispiel k: y = 2x x2 )

sollen die beiden Funktionen h: y = 2x und j: y = x2 inhaltlich "ernst genommen", d.h. ausdrücklich als Exponential- und Potenzfunktion betrachtet werden.


Zwischendurch sei noch erwähnt, dass der Graph der Funktion k: y = 2x x2   nicht viel anders aussieht als der von f: y = ex • x2: der grundsätzliche Verlauf bleibt erhalten

(und ebenso, was uns hier allerdings nicht mehr sonderlich interessiert, das Minimum und das Maximum).

Der Graph von  k: y = 2x x2  sieht nämlich so aus:


Auch aus diesem Graphen sei wieder der uns nicht mehr interessierende Bereich um das Minimum und Maximum herum heraus geschnitten:

Uns interessiert also nicht mehr das Verhalten des Graphen in der Nähe des Ursprungs, sondern glatt im Gegenteil sein Verhalten für sehr kleine negative und (vorerst) sehr große positive x.


Im Gegensatz zur obigen Klausur-Aufgabenstellung sei nun nämlich mal überlegt, wie dieser Graph von k: y = 2x x2  sich denn überhaupt erst aus den beiden Teilfunktionen, also

und deren spezifischen Eigenschaften ergibt.

Dazu seien nun endlich zusätzlich zum Graphen der Funktion k: y = 2x x2  auch die Graphen der beiden "Teilfunktionen"  h: y = 2x und j: y = x2  eingeblendet:

Bemerkenswert an den beiden Funktionen h: y = 2x und j: y = x2  ist u.a.:

  • h: y = 2x ist
  1. für sehr kleine x                sehr klein,
  2. für sehr große x hingegen sehr groß;
  • j: y = x2  ist
  1. für sehr kleine x                sehr groß,
  2. für sehr große x ebenfalls sehr groß.

Aber was heißt schon "sehr" (groß/klein)?

Schauen wir uns dazu unsere ursprüngliche Funktion k: y = 2x x2  an, die ja ein Produkt aus den beiden Funktionen h: y = 2x und j: y = x2  ist.

Bei den beiden Fällen b. gilt trivialerweise:

"sehr groß" "sehr groß" = "noch sehr viel größer",

d.h. der rechte Teil der Grafik ist wenig aussagekräftig - und somit lassen wir auch ihn weg:

Viel interessanter ist der Fall a.:

"sehr klein" "sehr groß" = ???

Denkbar sind da folgende Fälle:

  1. 1/100 100 = 1, also  

"sehr klein" "sehr groß" = "mittel":

der kleine erste Faktor 1/100 und der große zweite Faktor 100  "neutralisieren" sich gegenseitig; 

  1. 1/1000 100 = 1/10, also  

"sehr klein" "sehr groß" = "sehr klein":

der kleine erste Faktor 1/1000 ist erheblich "stärker" als der große zweite Faktor 100;

  1. 1/10 100 = 10, also  

"sehr klein" "sehr groß" = "sehr groß":

der kleine erste Faktor 1/10 ist erheblich "schwächer" als der große zweite Faktor 100.

Welcher der drei Fälle A., B. oder C. liegt denn nun aber bei "unserer" Produktfunktion k: y = 2x x2 vor?: offensichtlich der Fall B., da ja

Im linken Bereich erweist sich also die Exponentialfunktion h: y = 2x  als erheblich "stärker" als die Potenzfunktion  j: y = x2 .
Bzw. die Exponentialfunktion h: y = 2x  wird erheblich schneller kleiner als die Potenzfunktion  j: y = x2 größer wird.

Kommen wir damit aber doch nochmal zum Fall b:

  • h: y = 2x ist
  1. für sehr große x sehr groß;
  • j: y = x2  ist
  1. für sehr große x sehr groß.

Nun hatten wir aber oben schon gesehen, dass dieser Fall witzlos ist, da ja immer

"sehr groß" "sehr groß" = "noch sehr viel größer"

gilt, da also keine interessanten Sonderfälle zustande kommen können.

Deshalb multiplizieren wir die Funktionen h: y = 2x  und  j: y = x2  nicht mehr wie in unserer Produktfunktion k: y = 2x x2 , sondern wir dividieren h: y = 2x  durch  j: y = x2 und erhalten die neue Bruchfunktion

n: y =

Bei der Division sehr großer Zahlen sind nun folgende Fälle denkbar:

Denkbar sind da folgende Fälle:

  1. 1000 : 1000 = 1, also  

"sehr groß" : "sehr groß" = "mittel":

der große Dividend 1000  und der große Divisior 1000  "neutralisieren" sich gegenseitig; 

  1. 1000 : 10 = 100, also  

"sehr groß" : "sehr groß" = "sehr groß":

der große Dividend 1000 ist erheblich "stärker" als der große Divisor 10

  1. 10 : 1000 = 1/100, also  

"sehr groß" : "sehr groß" = "sehr klein":

der große Dividend 10 ist erheblich "schwächer" als der große Divisior 1000.

Welcher dieser Fälle liegt nun aber bei n: y = für sehr große positive x vor?

Schauen wir uns dazu den Graphen dieser Funktion in diesem Bereich an:

Zwar braucht steigt die Bruchfunktion n: y = ab ca. 3 erst mal ziemlich langsam, braucht sie also einige Zeit, um sich von der Division durch j: y = x2 zu erholen, aber ganz rechts steigt sie dann doch rasant an, womit dort der Fall B. vorliegt.

Im rechten Bereich erweist sich also die Exponentialfunktion h: y = 2x  als erheblich "stärker" als die Potenzfunktion  j: y = x2 .

Fassen wir die Erkenntnisse für den linken und rechten Bereich zusammen:  

für (absolut gesehen) sehr große negative und sehr große positive x erweist sich die Exponentialfunktion h: y = 2x  als erheblich "stärker" als die Potenzfunktion  j: y = x2 .

Ich höre schon den Einwand, dass diese Erkenntnis nun wahrhaft nicht neu und allemal einfacher zu haben sei:


(vgl. Bild )

Aber

  1. wird damit nur klar, dass die Exponentialfunktion h: y = 2x  für sehr große positive x erheblich "stärker" als die Potenzfunktion  j: y = x2 ist, aber nicht für  sehr große negative

(was man sich mit dem Kehrwert der Exponentialfunktion allerdings leicht erschließen könnte - und doch unanschaulich bliebe),

  1. ging es mir ja nicht darum, wirklich Neues zu erschließen, sondern nur darum, der  Produktfunktion k: y = 2x x2  "gerecht" zu werden.

Zuguterletzt sei festgehalten: das Aussehen des Funktionsgraphen von  k: y = 2x x2  wird

(vgl. ),

Noch genauer gesagt: beim linken Extremum, also dem Maximum für x = -2, geht in

(von links kommend) der Einfluss von h: y = 2x in den von j: y = x2 über.

Und (erst) so gesehen ist die Betrachtung des mittleren Bereichs eben doch interessant!