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BildWillkommen zu Matheplanet

am 11.6.2002

Bildung Korrektur einer Schieflage Pisa ist das klassische Symbol einer Schieflage. PISA ist eine moderne Studie, deren Ergebnisse eine Schieflage des deutschen Schul- und Bildungssystems vermitteln.

Diskussionen und Meinungen zum Schulwesen gibt es nicht erst seit PISA, aber seitdem beteiligen sich alle an der Diskussion.

Heiner Stauff ist Lehrer für Mathematik und Deutsch und veröffentlicht auf seinen Internet-Seiten mathe.stauff.de eine bemerkenswerte Anzahl von Beiträgen, Essays, Meinungen und Thesen für einen anderen Mathematik-Unterricht. Seine Seite führt den Titel


die andere Seite der Mathematik

.
Mit PISA verbindet ihn lediglich das Thema. Er ist keiner, der erst seit neuestem den Mathematik-Unterricht als reformbedürftig erkannt hat.

Stauffs Seiten richten sich an LehrerInnen, und handeln von Unterrichtsentwürfen, Unterrichtsthemen, erlebten Situationen im Unterricht und - ohne übertreibung - der ganzen Mathematik, von der Stauff sagt, sie sei "vermutlich einziges Schulfach [das] von ewigen, überhistorischen und kulturunabhängigen "Wahrheiten" handelt."

[siehe dazu das vollständige Zitat Bild ; H.St.]

Stauff kritisiert die Orientierung auf die Anwendbarkeit, die dem Mathematik-Unterricht heute abverlangt wird: "Mir wird in der derzeitigen mathematik-pädagogischen Diskussion viel zu viel über [außermathematische] Anwendungen [und auch Computer, die allemal - alles zu seiner Zeit - ein geeignetes Hilfsmittel sein können], aber viel zu wenig über den eigentlichen Beruf des Mathematiklehrers, nämlich die INNERMATHEMATISCHE VERANSCHAULICHUng, gesprochen!

Das ist das allgegenwärtige Stichwort, die Innermathematische Veranschaulichung. für Stauff ist, "was da üblicherweise als Mathematik 'verkauft' wird (der ewig gleiche, abgenagte und festbetonierte Aufgabenlehrgang), [...] gar keine Mathematik.", und weiter wird der Gedanke geführt:

"Aber was soll das denn eigentlich sein, diese innermathematische Veranschaulichung, die ich ja offensichtlich von außermathematischen, also anwendungsorientierten Veranschaulichungen absetze?
Schauen wir uns dazu die übliche Funktion von Anwendungsaufgaben im Mathematikunterricht an: für Mathematiker ist jede andere Wissenschaft/Anwendung nur eine Hilfswissenschaft mit dem einzigen Zweck, mit ihrer Hilfe innermathematisch Wichtiges zu veranschaulichen.
"

Stauff beschreibt pointiert die Lage und forscht nach den Ursachen und Wurzeln der Probleme:

"Von Mathematik wird (auch in der Schule) immer - und mit Recht! - behauptet, sie sei allüberall anwendbar, ja, geradezu Fundament unserer (technischen) Kultur. Nur wird genau das in all den Aufgaben nie sichtbar. Wenn sie dann mal sogenannte 'Anwendungsaufgaben' sind, ist diese Anwendbarkeit an den Haaren herbeigezogen bis geradezu irrwitzig:

'Wenn ich heute halb so alt bin wie mein Vater, wie alt wird meine Mutter dann in 100 Jahren sein?'

[...] Und wenn die Mathematik dann tatsächlich mal was mit der Alltagswirklichkeit zu tun hat, verkompliziert sie alles nur unnötig. Dass beispielsweise die Form eines Dings sich nicht ändert, wenn ich es verschiebe, drehe oder spiegele, ist doch jedem (auch nichtmathematischen) Menschen selbstverständlich. Spätestens aber, wenn man die davon sprechenden 'Kongruenzsätze' durchgenommen hat, ist es schrecklich kompliziert.
Oder genauer: man merkt vor lauter Kompliziertheit nichtmal mehr, daß da von etwas nach wie vor ganz Selbstverständlichem die Rede ist [...]
"

Bei Sätzen wie diesen überkommt einen spontane Zustimmung und man möchte gleich mitdiskutieren.

Auf der Suche nach den richtigen Konzepten befaßt sich Stauff auch eingehend mit dem Spektrum der Definitionsmöglichkeiten von Mathematik und der ästetik der Mathematik und er beschreibt das Wesen und das Erscheinungsbild des Mathematikers:

"Genau das fasziniert einen Mathematiker: dass die Folgerungen wunderbar weiter führen, obwohl die Anschauung längst den Bach runtergegangen ist. [...]
Genau das aber schreckt Nicht-Mathematiker auch so ab, genau das ist ihnen so schwer zu vermitteln (und sollte doch ansatzweise zu vermitteln versucht werden).
"
[Diese Seiten empfehle ich auch den Nicht-Lehrern und Nicht-Eltern und Nicht-Schülern. (...)]

für Stauff geht es im Mathematik-Unterricht um

  1. 'Erziehung' zur Abstraktion,
  2. Das Unveränderliche im Veränderlichen,
  3. Das Denken in Analogien und die kritische Unterscheidung, wann (in welchen Punkten) eine Analogie vorliegt und hilfreich ist - und wann nicht,

und er erkennt:

"Mein Bild von Mathematik besagt schlichtweg, dass man gar nicht so viel rechnen und Regeln beherrschen, [...] muß. Mein Ziel ist es also, immer zu zeigen, wie naheliegend mathematische Probleme oft sind [...]"

und fordert "keine einzige Mathematik mehr ohne Eingehen auf die mathematischen Denkweisen (und Zusammenhänge)!". Seiner Forderung will sich Stauff in jeder Beziehung unterwerfen, sogar beim unbestrittenen Spitzenreiter der Langeweile- und Unverständnisskala in der Mathematik-Ausbildung: den Termumformungen.

Entdecke die "andere Seite"

Die ganze Site mit ihrem vielfältigen, reichhaltigen und tiefgründigen Angebot ist eine gleichermaßen ernste wie unterhaltende Lektüre.
Es geht garnicht nur um Mathematik, sondern auch um eine Entwicklungsgeschichte der Kultur und des Denkens am Beispiel der Mathematik.

Als Vorschlag für einen ersten Rundgangs ist folgende Auswahl zu verstehen:

  1. These Anschauliche Mathematik
  2. Umfangreiche Einführung
  3. Was Mathematik eigentlich ist
  4. ästhetik der Mathematik
  5. Beschreibung von Unterrichtsentwürfen:

    - Projekt mathematische Denkweisen
    - Der schönste Beweis aller Zeiten
    - Projekt Zufall
    - Projekt Unendlichkeit

Eine wahre überfülle herrscht an Artikeln und Verweisen zwischen den Artikeln. Beim ersten Besuch der anderen Seite der Mathematik wird man das feststellen. Das ist keine Seite zum Surfen, sondern zum Lesen und Mitdenken.
Leider ist kein Pfad vorgegeben, auf dem der Interessierte geordnet an allen Themen vorbei geführt wird. Das hätte ich mir noch gewünscht, einen Pfeil auf jeder Seite, der sagt, wo der Rundgang weitergeht.
Darum mein Tipp: Hast Du einen für Dich interessanten Artikel gefunden, dann lies ihn ganz - und am nächsten Tag einen anderen.

Matroid 2002


Reaktionen (vgl. Bild )

  1. und natürlich anonym:

"Es sollte uns nicht darum gehen durch Darbietung vieler Erfolgserlebnisse auch uninteressierten Schuelern die Illusion eines nach dem Schulabgang weiterhin spassigen und einfach zu meisternden Studiums zu geben ..."

Ein alter Grundsatz im Geschäftsleben besagt, dass auf anonyme Briefe

(eine Pest im Internet, das "endlich" den grundfrustrierten Feiglingen ein Ventil bietet)

"sowieso" nicht geantwortet wird, sondern sie umgehend entsorgt werden.

Wenn ich hier dennoch reagiere,

die uralte Selbstdefinition des Faches Mathematik in ebenso ungeschminkter wie fast entwaffnender Ehrlichkeit und unverhüllter Nacktheit:

  • "was uns nicht umbringt, macht uns hart" (Nietzsche), d.h. die Schulmathematik kann gar nicht hart genug sein, um auf das (allemal entsetzliche) Leben (Studium, natürlich der Mathematik) vorzubereiten,

  • das Schulfach Mathematik hat - wie kein anderes und als vornehmste Aufgabe - der Selektion (!) (uninteressiert geborener SchülerInnen) zu dienen!

Überhaupt muss man sich diese Sprache samt ihren Unterstellungen mal auf der Zunge zergehen lassen (bzw. mit eigenen Unterstellungen zurückschießen):

(dass überhaupt irgendwas vielleicht doch mal erstaunlich einfach ist

"Was den Menschen früher als höchste Intelligenzleistung galt, Mathematik oder auch Schachspielen, gerade das kann man einer Maschine am einfachsten beibringen - auf der Grundlage von Algorithmen und Kalkülen. Die wirklichen Probleme liegen an anderer Stelle [...] [nämlich vor allem bei der Bewertung von Eindrücken und Erlebnissen]"
[Gerhard Vollmer; was allerdings nun auch wieder nicht ganz mein Bild von Mathematik ist]

oder gar - horribile dictu - Spaß macht)

ist ja "sowieso" Illusion:

der Mathematiker als sich selbst kasteiender Asket, bzw. eine Medizin ist nur dann gesund, wenn sie bitter ist.

  1. als Anwort eines gewissen "McJoe" auf 1.

"die Erfolgserlebnisse - sie sind aber das grundlegend wichtige in der Mathematik! ohne sie hat niemand die Motivation sich auf den Hintern zu setzen und über ein Problem länger als 3 Minuten nachzudenken. Und erst wenn man das tut, VERSTEHT man, wieso [...] die Mathematik auch mit Musik vergleichbar ist..."


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