was Mathematik ist

... denn darum geht´s mir ja vor allem!

vgl. auch

Die Frage nach dem, was Mathematik ausmacht, ist

Das weite Spektrum der Definitionsmöglichkeiten von Mathematik sei durch einige Zitate angedeutet:

In diesen Zitaten zeigt sich teilweise eine ungeheure Arroganz (die bei Doxiadis später durchaus auch problematisiert wird), aber ebenso auch ein enormer Anspruch bzw. eine Anfrage, wo so was immerhin ansatzweise im Schulunterricht vermittelt wird.

Es gibt drei grobe Definitionsmöglichkeiten von Mathematik:

  1. Mathematik funktioniert platonisch, d.h. sie ist gegeben und nur noch entdeck-, aber nicht erfindbar; ihre Gegenstände existieren a priori in einer "idealen" Welt, bzw. die Mathematik ist vielleicht sogar eine ideale, meta-physische Welt (laut Galilei die Sprache Gottes) jenseits der physischen Wirklichkeit - und damit vor und neben aller (manchmal gut platonisch als schnöde verachteten) Anwendbarkeit.
    Bemerkenswert ist da, dass die VerfasserInnen der Lehrpläne für Mathematik in NRW bei der Bestimmung, welche Inhalte vor allem vermittelt werden müssten, ausdrücklich von "Ideen" sprechen: eine begriffliche Nähe zu Platon, die entweder naiv-versehentlich oder aber absichtlich geschehen sein muss.

  2. die formalistische bzw. konstruktivistische Definition der Mathematik: sie ist aus der physischen Welt abgeleitet und "nur" deren Abstraktion; und Platons Ideen und Kants Kategorien sind - etwa laut Konrad Lorenz - nicht a priori da, sondern erst ex posteriori Ergebnisse der biologischen Evolution.

  3. Mathematik ist ein sozial-kulturelles, diskursives Konstrukt, wie etwa Reuben Hersh oder als kulturelle Relativisten verschriene EthnomathematikerInnen vermuten.

Dabei ist es allemal erstaunlich, wie aggressiv die Diskussion oftmals wird bzw. im Fall Hersh derzeit gerade ist. Vgl. etwa die Auseinandersetzung zwischen Martin Gardner und Reuben Hersh im Rahmen des derzeitigen fächerübergreifenden "Science War".

Es gibt Leute, die vermuten, dass "richtige" MathematikerInnen letztlich alle verkappte Platoniker sind.

 

"Die [Schul-]Mathematik hat sich [bei der modischen "Anwendungsorientierung"] mit dem mechanistischen Denken und dem Geld verbunden - nach Ansicht einiger Leute ist diese Kombination die Monstrosität unseres Zeitalters."
(Philip J. Davis, Reuben Hersh)

Für solche platonische MathematikerInnen ist es aber ein Skandal, wenn Nicht-MathematikerInnen bestimmen wollen, als was Mathematik in Schulen zu vermitteln sei - nämlich (nur noch) als Hilfswissenschaft bei der Lösung von Anwendungsproblemen. Solch eine Anwendbarkeit ist für platonisch denkende MathematikerInnen wohl eher ein rundum erstaunliches und durchaus willkommenes Abfallprodukt der "eigentlichen" Mathematik.

Umgekehrt wären aber insbesondere jene Fälle von Interesse, in denen die Mathematik nicht vorweg (vor ihrer naturwissenschaftlichen Anwendbarkeit) zur Verfügung stand und dann eben "nur" noch angewandt werden musste, sondern in denen sie überhaupt erst aus naturwissenschaftlichen Fragestellungen entwickelt wurde (z.B. in der Vektor-, Differenzial- und Gruppentheorie).


Mathematik ist schizophren:

"Die Geschichte der Wissenschaft ist die Wissenschaft selbst."

Denn der Versuch der Mathematik, alles mittels weniger logischer Grundprinzipien aus eben so wenigen Axiomen herzuleiten (und diese ggf. nachträglich zu "rekonstruieren"), also einen evolutionären Baum zu erstellen

(und sich dann noch wie Tarzan von Ast zu Ast zu schwingen, d.h. strukturelle Analogien herzustellen):

„Die Mathematik wird oft als ein gewaltiger Stammbaum dargestellt, dessen Wurzeln, Stamm, äste und Zweige die verschiedenen Unterarten repräsentieren; ein Baum, der mit der Zeit heranwächst.“ (Philip J. Davis, Reuben Hersh: "Erfahrung Mathematik").

ist ja gerade durch und durch historisch.
Nehmen wir nur eins der berühmtesten Beispiel aus der jüngsten Geschichte: Andrew Wiles hat den letzten Satz von Fermat vermutlich nur deshalb beweisen können, weil in seinen Beweis die halbe Mathematik(-geschichte) des 20. Jahrhunderts einfloss. Und mangels dieser historischen Masse hat Fermat wohl nur versehentlich gemeint (vorgetäuscht?), einen Beweis seines Satzes gehabt zu haben.


Es gibt sicherlich verschiedenste Definitionen von Mathematik, die auch von persönlichen Sichtweisen und Interessen abhängen.

Vorweg seien einige genannt:

Hier aber soll folgender Aspekt im Vordergrund stehen:

Mathematik ist (nicht mehr und nicht weniger als) eine Sammlung von logischen Verfahren, um einen (egal welchen) Sachverhalt aus einem anderen zu folgern:

 

"Oft tun wir Muster als etwas ab, da keine wirkliche Substanz besitzt, während wir uns fest auf scheinbar konkrete individuelle Fälle verlassen. Muster sind wirklicher als Felsen oder Atome oder schwarze Löcher. Muster, das sind wir. Eine allgemeine wissenschaftliche Aussage lautet, daß im Zeitraum von sieben Jahren jedes Atom in unserer Körper ersetzt wird. Wenn Ihr »Selbst« durch die Atome definiert wäre, aus denen Sie sich zusammensetzen, dann wären Sie alle sieben ein neuer Mensch."
(K. C. Cole)

 Mathematik handelt nicht von Dingen, sondern von den Beziehungen zwischen ihnen:

x > y bedeutet eben nur "größer", wobei

  • x und y zwei Zahlen
  • Xaver und Yvonne
  • ...

sein können.

Und vielleicht passt die Mathematik gerade deshalb so besonders gut zur Physik - oder genauer: einer mathematisch verstandenen Physik:

"Zweck unserer Beschreibung der Natur ist nicht, das wahre Wesen der Phänomene zu enthüllen, sondern so weit wie irgend möglich Beziehungen zwischen den mannigfachen Aspekten der Erfahrungen herzustellen."
(Niels Bohr)

Hier nicht behandeln möchte ich das schwierige Problem, was eigentlich "logisch" bzw. "Logik" bedeutet.

  1. Vorteil: Mathematik ist die einzige Wissenschaft, die absolut logisch, restlos überzeugend (wenn man die Verfahren versteht) und nach "strengen" Regeln folgern kann;

  2. Nachteil: Mathematik kann ausschließlich mathematische Sachverhalte aus mathematischen Sachverhalten folgern ("Schuster, bleib bei deinen Leisten!");

  3. Den Mathematiker interessieren weniger die Sachverhalte selbst als die Folgerung vom einen auf den anderen.

wenn beispielsweise irgendein Sachverhalt für zwei Dimensionen (Länge und Breite) und auch für drei Dimensionen (zusätzlich Höhe) gilt, so fragt er sich unausweichlich sofort: gilt es auch für vier, fünf, sechs oder letztlich allgemein "n" Dimensionen (wobei n irgendeine natürliche Zahl, also z.B. 17324 ist)? Die entsprechende Folgerung ist für einen Mathematiker allemal auch dann faszinierend, wenn er sich beim besten Willen unter 17324 Dimensionen rein gar nichts mehr anschaulich vorstellen kann: die Folgerung funktioniert faszinierenderweise, obwohl dabei die Anschauung aussetzt.

Genau das fasziniert einen Mathematiker: dass die Folgerungen wunderbar weiter führen, obwohl die Anschauung längst den Bach runtergegangen ist.

Wichtig dabei ist: unser Mathematiker bleibt zwar nicht mehr Herr der Anschauung, aber doch der logischen Folgerungen. Er versteht jeden Folgerungsschritt, ja, er hat ihn selbst erschaffen!

Genau das aber schreckt Nicht-Mathematiker auch so ab, genau das ist ihnen so schwer zu vermitteln (und sollte doch ansatzweise zu vermitteln versucht werden).

Eine der wichtigsten (und in Schulen allzu sehr vernachlässigten?) Folgerungen ist die "Strukturmathematik": dass gewisse mathematische Teilgebiete zwar inhaltlich rein gar nichts miteinander zu tun haben, aber analog aufgebaut sind, d.h., dass ein Beweis im einen Teilgebiet evtl. auf das andere übertragbar ist.

  1. ist Mathematik oft ein großes Spiel (für das Kind im Manne): "mal gucken, was sich so alles folgern lässt?"

  2. "Folgern" heißt zu zeigen, dass zwei Sachverhalte A und B gleich bzw. äquivalent sind, dass es also letztlich schnuppe ist, ob man A oder B behauptet: notfalls kann man ja nachträglich immer wieder den einen Sachverhalt (z.B. B) aus dem anderen (z.B. A) folgern.

Das ist auch eine Sache der Denkökonomie (oder Faulheit): man muss sich nur noch wenige Sachverhalte (letztlich nur die dreieinhalb sogenannten "Axiome", also Grundlagen, die der "gesunde" Menschenverstand niemals in Frage stellen würde) und wenige logische Verfahren merken - und kann daraus potentiell immer wieder das gesamte mathematische Gebäude folgern.

"Folgerung" heißt auch: zwei Dinge können völlig unterschiedlich und auf Anhieb ganz und gar unähnlich aussehen und doch verborgen gleich sein. Mittels der Folgerungen ist es sozusagen möglich, den hinterhältigen Dingen ihre Masken zu entreißen.

Besonders gern zeigen Mathematiker aber, dass ein auf Anhieb sehr schwieriger und unübersichtlicher Sachverhalt A letztlich dasselbe ist wie ein sehr einfacher Sachverhalt B, also z.B. 7x - (4x + 3x) = 0

Die Mathematik zeigt:

Beispiele für ineinander überführbare Sachverhalte:

Sachverhalt A = /

Sachverhalt B

6:2

3

eine (egal welche!) Zahl ist durch 2 und durch 3 teilbar

die Zahl ist durch 6 teilbar

eine (egal welche!) Zahl ist durch 6 teilbar

die Zahl ist durch 2 und durch 3 teilbar

zwei Dreiecke stimmen in allen drei Seiten überein

sie sind "kongruent" bzw. deckungsgleich

eine auf den ersten Blick unlösbare quadratische Gleichung:

0 = x2 + px + q

das (wenn auch komplizierte und unübersichtliche) Verfahren, um die Lösung(en) zu finden (falls vorhanden):

x = - p/2 ±

(vollständige Induktion)

a) die erste Ampel ist grün und

b) jede folgende Ampel ist grün, falls die vorherige grün war

alle Ampeln sind grün

ein Dreieck ist rechtwinklig

für seine Seiten gilt a2 + b2 = c2

für die Seiten eines Dreiecks gilt

a2 + b2 = c2

es ist rechtwinklig

Das Problem ist halt immer "nur" der Weg von links (A) nach rechts (B).

Ich weiß, daß ich mich hier andauernd mathematisch ungenau ausgedrückt habe: ein Gleichheitszeichen bedeutet fachsprachlich eben keine Folgerung, und eine Gleichheit ist auch weder eine Ähnlichkeit noch eine Äquivalenz.

Diese Unsauberkeit,

also die Vermengung von Gleichheit, Ähnlichkeit, Folgerung und Äquivalenz,

ist aber doch gerade der Gag, nämlich die Erkenntnis einer Grundstruktur der Mathematik, ja, der Mathematik selbst.

Ganz so unsauber ist die Argumentation aber nichtmal: beispielsweise hinter der Folgerung

0 = x2 + px + q              ...             x = - p/2 ±

                            Zwischenschritte

steckt ja von Anfang an die Frage danach, was das x eigentlich ist, also x = ? (eine Gleichung).

vgl. auch .

PS: Mathematik ist noch viel mehr:

ich bin zwar nicht einer Meinung mit Richard Feynman (Nobelpreisträger für Physik und allemal erstklassiger, enorm anschaulicher Populärwissenschaftler!), dass Physik & Mathematik die einzigen Zugänge zur Schönheit der Natur seien

(obwohl ich durchaus verstehe, ja, es oftmals selbst erlebe, dass der naturwissenschaftliche Zugang wunderschön sein kann!):

es gibt da allemal andere, genauso schöne Zugänge: z.B. Literatur oder einfach nur In-der-Natur-Sein.

Aber ich bin mir mit Feynman allemal sicher, dass Mathematik nunmal derzeit (auch wieder mit Feynman:) "leider" der einzig mögliche Zugang zur Physik ist.


Eigentlich ist es doch nur eine logische Konsequenz, dass die neue (?) Methode des Selbstlernens auch ein neues Bild davon nach sich zieht (oder umgekehrt?), was Mathematik eigentlich ist, nämlich nicht ein bereits fertiges, sondern ein erst zu bauendes oder zu erkundendes Gebäude. Mathematik ist dann (auch und gerade in Klausuren) nicht mehr als statisch und Anhäufung von Aufgaben, sondern als (u.a. historischer) Erkenntnisprozess darzustellen.
Das entspricht nebenbei auch den Richtlinien, die von einer Produkt- zu einer Prozessorientierung kommen wollen.

(Dabei bin ich mir durchaus des Problems bewusst, dass Mathematik als vermutlich einziges Schulfach von ewigen, überhistorischen und kulturunabhängigen "Wahrheiten" handelt.)

Die Mathematik ist demnach ein "Lebewesen", das sich langsam und organisch entfaltet.


Als weitere Definitionsmöglichkeit von Mathematik siehe auch

.