Wissenschaft
= Konjunktiv
Hier sei doch mal ausnahmsweise sogar der Titel erklärt:
er ist (bewusst) widersprüchlich, da
Der Titel widerlegt also die Wissenschaft mit ihren eigenen Mitteln.
Und "Konjunktiv" wurde bewusst grau geschrieben, weil sich - so meine Behauptung - auch in der Wissenschaft eine konjunktivische "Grauzone" auftut.
Es gibt drei Arten Konjunktive:
Hier meine ich die ersten beiden Möglichkeiten.
Letztens hat mir jemand
verklickern wollen, dass jeder, der mit dem Kopf nach Süden schläft, auf die Dauer depressiv werde - und das sei "wissenschaftlich erwiesen". |
Es mag erstaunlich erscheinen, dass ich hier ausgerechnet (!) den Inbegriff der Sicherheit, nämlich (Natur-)Wissenschaft, als unsicher darstelle, denn gibt es etwas Sichereres als "das ist wissenschaftlich erwiesen"?
... wobei es massenhaft Fälle gibt, in denen - etwa in der Reklame - mit "das ist wissenschaftlich erwiesen" Schindluder getrieben wird.
Aber all diese vielen Schindluder-Fälle bestätigen ja nur, dass Wissenschaft als Inbegriff der objektiven "Wahrheit" gilt.
"Wissenschaftler haben jetzt nachgewiesen, dass Rauchen doch nicht schädlich ist. |
Wenn "das ist wissenschaftlich erwiesen" in Reklame
(z.B. für Kosmetika)
auftaucht, glaube ich es sowieso nicht.
Aber auch bei tatsächlich wissenschaftlichen Äußerungen bin ich allemal gesund skeptisch. Vgl. etwa die doppelte Behauptung, dass erstmals ein Exoplanet gefunden worden sei, auf dem es Wasser gebe:
Oder skeptisch bin ich auch gegenüber allen derzeit modischen gentechnischen, neurobiologischen sowie kosmologischen Behauptungen
(dass irgendwas genetisch bedingt oder jetzt "endgültig" bewiesen sei, dass der Mensch keinen freien Willen habe; oder auch, dass die Schöpfung des Universums durch eben durch einen Schöpfer vollständig ausgeschlossen sei;
all die genannten einseitigen Behauptungen beruhen einzig und allein auf derzeit wieder modischem, in Wirklichkeit aber geradezu reaktionärem und letztlich nur fatalistischem rein mechanistischem Denken!:
"milieutheoretischer Optimismus,
eine grundlegende Position in den Diskussionen um die Anlage-Umwelt-Problematik. Der milieutheoretische Optimismus geht davon aus, dass psychische Merkmale und Verhaltensweisen im Wesentlichen als durch die Umwelt bedingt (als Resultate von Lernvorgängen) anzusehen sind. Demgegenüber schreibt der milieutheoretische Pessimismus dem Umwelt- und Erfahrungskomplex nur geringe Wirksamkeit zu, da er ererbte Anlagen letztlich für ausschlaggebend hält."
[Brockhaus-Wissen 2004])
Da möchte ich den Wissenschaftlern immer nur zurufen: "Seid euch mal nicht so sicher, auch da wird noch eine Widerlegung oder zumindest doch Relativierung folgen!"
Vgl. etwa
Natürlich gibt es allerbeste Gründe dafür, dass (Natur-)Wissenschaften als Inbegriff der Sicherheit gelten:
(aber - um mathematisch zu sprechen - nur ein relatives Maximum, während später ein noch höheres [und doch wieder nur relatives] Maximum folgen wird;
wenn aber ein Maximum fälschlich für ein absolutes und also der Weisheit letzten Schluss gehalten wird, kann das sogar erkenntnisbehindernd sein);
"Heute mag die Wissenschaft, wenn sie will, behaupten, daß sie auf Ketzerverbrennungen verzichtet. Sie kann sogar behaupten, nie zu ihnen Zuflucht genommen zu haben. Ich bin mir da allerdings nichts so sicher."
Lord John William Strutt Rayleigh,
Nobelpreis für Physik 1904Ist es aber nicht gerade diese indikativische Dogmatik und Rechthaberei, die viele Leute aus der "Kirche" der Wissenschaft heraus und beispielsweise in die Esoterik hinein treibt?
(... wobei es bemerkenswert ist, dass in der Esoterik
- einerseits oftmals alles geglaubt wird, Hauptsache, es ist geradezu absurd unwissenschaftlich,
- andererseits aber häufig doch wieder wissenschaftliche Anerkennung und Bestätigung gesucht wird, indem wissenschaftliches Vokabular übernommen und wissenschaftliche Beweise erwünscht bzw. vorgegeben werden: die Wissenschaft setzt auch dort Maßstäbe, sie ist ubiquitär.)
Wäre es also nicht besser, wenn die Wissenschaftler ein wenig "konjunktivischer" und leiser würden - und Erkenntnistheorie lernen würden?
Wäre es nicht sogar für sie selbst gut, weil überhaupt erst der Konjunktiv Denk- und somit Entdeckungsmöglichkeiten eröffnet?
(Vgl. auch historische Konjunktive und Zeitreisen;
oder Albrecht Schöne: "Aufklärung aus dem Geist der Experimentalphysik; Lichtenbergsche Konjunktive" sowie die vielen anderen Arbeiten Schönes über den Konjunktiv, also etwa "Zum Gebrauch des Konjunktivs bei Robert Musil" oder "Versuch über Goethesche Humanität. Oder zum Gebrauch des Konjunktivs Plusquamperfekt in einem Brief an Johann Friedrich Krafft";
dabei mag die Untersuchung des "Konjunktivs Plusquamperfekt" bei Goethe als typische Übertreibung der anbetend-fliegenbeinzählenden Goetheforschung erscheinen - und doch zeigt sich nichts Geringeres als Goethes Humanität eben erst bzw. sogar in seinem Konjunktivgebrauch).
Schönste Beispiele sind die Relativitäts- und die Quantentheorie:
(bislang ist meines Wissens keine einzige Abweichung der Wirklichkeit von ihnen bekannt),
(z.B. auch deshalb, weil sie sich in gewissen Teilen regelrecht widersprechen).
Könnte es sogar sein
(aber das ist nur das unklare, wenn nicht gar dumpfe "Gefühl" eines Laien),
dass
(wenn sie denn überhaupt jemals möglich sein wird; vgl. )
So sehr Jugendliche nach Sicherheiten schnappen, so sehr ist doch der Theoriecharakter von Wissenschaften in Schulen zu betonen, ja gehört er regelrecht zur Allgemeinbildung!
Der eigentliche Anlass für diesen Aufsatz:
in dem Buch heißt es auf S. 127 f:
"[...] lieferte Timothy Severin den Beweis dafür, dass irische Mönche nordamerikanischen Boden betreten haben könnten."
Da wurde also eine Möglichkeit bewiesen, und somit könnte man gleich fragen, ob das denn überhaupt ein Beweis im eigentlichen Sinne ist.
Naturwissenschaft kann nämlich gar nichts im eigentlichen, streng mathematischen Sinne beweisen, sondern immer nur statistisch extrapolieren:
D.h., Naturwissenschaft handelt per se von Möglichkeiten. Dennoch ist es natürlich das beste Argument für naturwissenschaftliche Erkenntnisse, wenn sie nicht nur bereits bekannte, sondern auch (wie sich dann später herausstellt) zukünftige Fälle beschreiben, ja diese sogar vorhersagen können |
Leider fährt René Oth aber auf der nächsten (Text-)Seite aber wider alles Erwarten folgendermaßen fort:
Da erscheint also der Indikativ "betreten haben", womit sich insgesamt ergibt:
"[...] lieferte Timothy Severin den Beweis dafür, dass irische Mönche nordamerikanischen Boden betreten haben [...]."
Dieser doppelte Indikativ ist aber nicht nur unlauter und unwissenschaftlich, sondern auch schlichtweg falsch: dass Timothy Severin die Strecke mit dem nachgebauten Boot befahren hat, beweist (alleine) noch lange nicht, dass bereits Brendan sie befahren hat.
Überhaupt legt Oth nette Schlenker hin, wenn er erst sagt, "dass irische Mönche nordamerikanischen Boden betreten haben", und dann "und wahrscheinlich bis nach Florida und den Bahmas vorgestoßen sind" nachschiebt.
Zwar ist es nachgerade schon lieblos, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, aber dennoch lohnt sich das hier: "wahrscheinlich" lässt zwar eine Lücke des Irrealis
(eine Rückversicherung: "ich lasse mich auf nichts festlegen")
und bedeutet dennoch "vermutlich doch".
Überhaupt ist Oth sprachlich arg (raffiniert?) schwammig bis geradezu schlampig, wenn er erst sagt, dass
"[...] Sankt Brendan und seine Mönche angeblich bereits 900 Jahre vor Kolumbus mit Erfolg angesteuert hatten [...]",
dies später aber als bewiesen ausgibt. Denn "angeblich" bedeutet doch "es wird zwar so vorgetäuscht, stimmt aber nicht" bzw. "scheinbar" (nicht zu verwechseln mit "anscheinend").
Auch und gerade in der (Natur-)Wissenschaft muss man solch ein feines Ohr für sprachliche "Kleinigkeiten" und somit dafür gewinnen, ob etwas fälschlich als unumstößliches Faktum ausgegeben wird.
Ein wenig arrogant gesagt: es lohnt sich, wie ich Mathe- und Deutschlehrer zu sein.