Bilder, Bilder, Bilder!


David Tenier der Jüngere

vgl. auch

 

"Nicht die Menschen müssen in das Innere der Wissenschaft gebracht werden, sondern die Wissenschaft muß ihren Platz im Inneren der Menschen bekommen. Erst dann, wenn uns das wissenschaftliche Denken so zu eigen geworden ist, daß wir den alten Elfenbeinturm aus dem Kopf werfen und die Wissenschaft dafür hinein holen können, sind wir auf dem richtigen Weg. In dem Fall darf man endlich von einem öffentlichen Verständnis für Wissenschaft sprechen.
Wie erreicht man dieses Ziel eines inneren Bildes von der Wissenschaft? Hier wird die Ansicht vertreten, daß die Antwort in der Verbindung zur Kunst steckt. Mit ihrer Hilfe kann die Wissenschaft eine Form bekommen, mit der die Wahrnehmung und die Erlebnisfähigkeit der Menschen angesprochen wird."
(Ernst Peter Fischer in: Der Elfenbeinturm im Kopf )


"Die Anziehungskraft [...] [neuer Medien] lassen die Forderung um so dringlicher erscheinen, über Bilder auch zu sprechen."
(Barbara Maria Stafford)


"Bilder sind keine unschuldigen Illustrationen - sie wirken buchstäblich an der allmählichen Verfertigung der Gedanken mit."
(Klappentext von   ; vgl. 8/2007)


"Wir müssen uns klar darüber sein, daß die [u.a. mathematische] Sprache [in der Quantenphysik] [...] nur ähnlich gebraucht werden kann wie in der Dichtung, in der es ja auch nicht darum geht, Sachverhalte präzise darzustellen, sondern darum, Bilder im Bewußtsein des Hörers zu erzeugen und gedankliche Verbindungen herzustellen."
(Niels Bohr)


"[...] daß er [Niels Bohr] die komplizierten Atommodelle nicht nach der klassischen Mechanik berechnet hatte, daß sie sich ihm vielmehr intuitiv auf Grund der Erfahrung als Bilder angeboten hätten."
(Werner Heisenberg)

 

Natürlich sind Bilder (insbesondere in der heutigen medialen Bilderflut) durchaus problematisch:

(Georges Simenon:  "Es sind die Bilder, die [fatal?] Recht behalten");

auf Mathematik bezogen: Bilder geben oftmals (wie auch viele Computerprogramme; vgl. ) die Ergebnisse vor, würgen also jeden eigenen Erkenntnisprozess vorzeitig ab;

(wenn man mal vom Sehprozess absieht);

"ein Bild sagt mehr als 1000 Worte" ist also eine durchaus ambivalente Aussage;

... wobei das Problem ist, dass man aufgrund der Verwechslung bzw. sogar Gleichsetzung von Bild und Abgebildetem ("Wirklichkeit"?) oftmals gar nicht merkt, wo die Bilder nicht stimmen und (u.a. SchülerInnen) irreführen;

zudem können Bilder sogar ganz falsch und damit erkenntnisbehindernd sein:

"Schon der Versuch,
ein Bild [der Elementarteilchen] zu entwerfen
und über sie in anschaulichen Begriffen zu denken,
bedeutet, sie vollkommen falsch zu verstehen."
(Werner Heisenberg)

D.h. auch: für einige Sachverhalte gibt es beim besten Willen keine Bilder (vgl. ) - was man allerdings nie voreilig behaupten sollte: das (populär-)wissenschaftliche Genie zeigt sich oftmals gerade darin, dass es auch für das Komplizierteste ein erstaunlich einfaches Modell findet bzw. oftmals überhaupt erst durch einfache Bilder auf das Komplizierteste kommt:

(vgl.   )


Dennoch aber muss die Schulmathematik ganz erheblich bildlicher werden.

Damit meine ich

sondern eine , d.h. ein Bild-Werden der zentralen mathematischen "Ideen" und Tätigkeiten:

(die SchülerInnen sollen demnächst bei Parabeln z.B. an Antennen denken)

- wie es meist in sogenannten "Anwendungsaufgaben" geschieht, die eh oft nur Vorwand letztlich doch wieder nur für Mathematik sind -

die Antenne zur Parabel verkommen.


Es ist schon fast eine Binsenweisheit, dass es verschiedene Lerntypen (vgl. "jeder auf seine fa&ccdil;on") und darunter eben auch den visuellen gibt, der vor allem aus Bildern lernt (und viele Menschen scheinen sogar synästhetisch zu lernen, d.h. durch Verknüpfung mehrerer Wahrnehmungsweisen):

"Manche Mathematiker, circa 10 von 100, denken in Formeln. So ist ihre Intuition. Die übrigen denken in Bildern, ihre Intuition ist geometrisch. Bilder bringen viel mehr Informationen als Wörter. Viele Jahre haben wir versucht den Schülern abzugewöhnen, dass sie Bilder benutzen, weil sie nicht genau sind. Das ist ein trauriges Missverständnis.
Zwar sind Bilder nicht genau, aber sie helfen beim Denken, und so eine Hilfe ist nicht zu verachten."
(Ian Stewart)

Fischer spricht in seinem ersten oben angeführten Zitat von den Naturwissenschaften, in denen äußeres zum inneren Bild wird. Die Mathematik (solange es um rein innermathematische Sachverhalte geht) scheint aber genau umgekehrt funktionieren zu müssen: zum Inneren (Innermathematischen) muss ein äußeres Bild gefunden werden.

Neueste Forschungsergebnisse scheinen zu beweisen, dass mathematische Inhalte, die scheinbar unvisualisierbar sind, dennoch bildlich gedacht werden:

"Bei der Untersuchung der Hirnleistung rechnender Menschen fanden Forscher [...] ihre Vermutung über das Arbeitsgedächtnis bestätigt. Bei allen Probanden leistete es Schwerstarbeit. Das galt besonders für jenen [Gehirn-]Bereich, der sich mit der Zwischenspeicherung räumlich-visueller Informationen beschäftigt; Hirnforscher nennen ihn den »räumlich-visuellen Notizblock«. Dieser Befund ist insofern bemerkenswert, als Zahlen an sich keine räumlich-visuelle Qualität haben. Eine Neuronengruppe, die gewöhnlich immer dann aktiv wird, wenn wir unsere Finger bewegen, lief ebenfalls heiß. Offensichtlich hinterlässt die frühkindliche Art des Zählens und Rechnens Spuren im Gehirn: Die gleichen Neuronen, die damals beansprucht wurden, beteiligen sich auch an den Rechenleistungen der Erwachsenen.
[...]
Nach eigenem Bekunden strukturiert er [ein sogenannter Rechenkünstler] den Dschungel der Zahlenwelt mit Hilfe visueller Vorstellungen."
(Spektrum der Wissenschaft, 6/2001, S. 16f)

(Überhaupt tun wir vielleicht sehr viel mehr als [wir] denken: meiner Erinnerung nach ist aus mal gezeigt worden, dass wir selbst beim Leiselesen fast alle Muskeln zum Sprechen aktiviert haben - und diese erst im letzten Augenblick blockiert werden.)

Nur ein Beispiel:

Bei der Erkundung mehrfacher Nullstellen kubischer Funktionen liegt es natürlich nahe, das auch graphisch zu tun:

  1. sind Funktionen eben auch visuell als Graphen darstellbar;

  2. liegt der Gedanke nahe, mehrfache Nullstellen durch Zusammenschieben (also Bewegung!; vgl. "Bewegte Mathematik") zweier (oder dreier) vorher getrennter Nullstellen zu erhalten:


© Robert Hohm

Um aber eindrücklich zu "kapieren", was da passiert, scheint mir noch mehr nötig:

  1. ein "inneres" Bild, das den doch ziemlich abstrakten Vorgang visualisiert, der da passiert. Schauen wir uns dazu nochmals an, was

die linke Nullstelle wandert gegen die mittlere, und dabei wird der linke "Berg" (zwischen linker und mittlerer Nullstelle) immer kleiner, bis die mittlere Nullstelle eine doppelte Nullstelle wird (ein Berührpunkt).
Nehmen wir nun das Bild des Berges mal wörtlich - und ergänzen, dass die x-Achse der Meeresspiegel ist:
da versinkt ein Berg im Meer (wird immer kleiner bis hin zu einem Hügel, einer Sandbank usw.) - und urplötzlich ist er ganz abgetaucht, berührt aber noch gerade den Meeresspiegel von unten.

Etwa so ähnlich (nur eben zusätzlich mit Rand) erklärt man sich die Entstehung von Atollen (vgl. ).

jetzt wandert auch noch die rechte Nullstelle gegen die mittlere, und dabei wird das rechte "Tal" (zwischen rechter und mittlerer Nullstelle) immer höher, bis die mittlere Nullstelle eine dreifache Nullstelle wird (ein Sattelpunkt).
Nehmen wir nun auch hier das Bild, in diesem Fall also das Tal, wieder wörtlich:
da steigt ein Tal langsam aus dem Meer empor (wird immer weniger tief und breit bis hin zu einem Fluss, einem Rinnsal usw.) - und urplötzlich berührt es gerade eben den Meeresspiegel von unten.

Das entsprechende Bild wäre hier das Auftauchen neuer Inseln aus dem Meer.

Das Bild (ein ins Meer absinkender Berg bzw. ein aufsteigendes Tal) st keinerlei "Anwendung" und hat natürlich rein gar nichts mit der mathematischen Sache zu tun - und veranschaulicht sie dennoch wunderbar.

1. Intermezzo: Natürlich wird auch hier wieder eine Geschichte (ein Prozess) erzählt.
2. Intermezzo:

Selbstverständlich kann man in gleicher Weise auch akustisch arbeiten:
Warum merken wir uns denn den "Satz des Pythagoras"? Vermutlich doch wegen seiner eingängigen Akustik:

a       2         +   b      2                =     c         2

a Quadrat   plus   b Quadrat     gleich  c  Quadrat

/    -     -  |  _  | /      -     -  |   _   | /      -   - 

(also ein Daktylus [ / - - ] bzw. ¾-Walzertakt!)  


Solche Verbildlichungen wären weiter auszubauen, aber Anfänge sind gemacht: